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Wegelagerer. Auf die rettende „Unbekannte“ muss das „Ich“ lange warten, in nervender Gesellschaft.

© Monika Rittershaus

Peymann-Premiere in Wien: Pack? Tetrapack!

Peymann ist zurück an der Wiener Burg – mit der Handke-Uraufführung „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“.

Die österreichischen Zeitungen bringen lustige Peymann-Retro-Anekdoten. Im Foyergedränge in der Wiener Burg treten sich Bühnen- und lokale Politprominenz auf die Füße. Und mancher raunt gar vom „Theaterereignis des Jahres“. Claus Peymann – einst dreizehn denkwürdige Jahre lang Burgtheaterdirektor – kehrt für eine Inszenierung nach Wien zurück. Erstmals seit 1999, seit seinem Weggang nach Berlin ans BE.

Die Wiener Aufgekratztheit ist nachvollziehbar. Der Regisseur und die Stadt – einander in herzlicher Hassliebe zugetan – hatten sich ja nichts geschenkt. Unvergessen, wie Peymann 1988 der „ Zeit“ munter in den Block diktierte: „Wenn Sie wüssten, was für eine Scheiße ich hier erlebe!“ Und wie Jörg Haider, damals relativ dienstjunger FPÖ-Chef, sich mit der Karl-Kraus-Paraphrase revanchierte: „Hinaus mit diesem Schuft aus Wien!“

Der Zankapfel seinerzeit: Peymanns mittlerweile legendäre Uraufführung von Thomas Bernhards „Heldenplatz“, dieses für Österreich wenig schmeichelhaften Textes, an dessen Skandalpotenzial Bühnenfans heute mit wehmutsfeuchten Augen zurückdenken. Wann schlägt der öffentliche Erregungspegel schon derart aus, dass an einem Premierenabend leidenschaftlich Pferdemisthaufen vor die Theatertüren gekippt werden?

Peymann spürte Erwartungsdruck wie ein Fußballer vorm Elfmeter

Kein Wunder also, dass Peymann seine Wiener Zeit jetzt rückblickend zur „Königsetappe“ adelte und sich angesichts des aktuellen „Erwartungsdrucks“ mit einem Fußballspieler „unmittelbar vor dem Elfmeter“ verglich. Dass er das Tor unbedingt machen wollte, sagen Insider, sei unter anderem daran zu erkennen gewesen, dass Peymann tatsächlich seit November an der Burg geprobt habe.

Der Mitspieler: ebenfalls ein guter Bekannter. Peter Handke, beziehungsweise dessen jüngster Theatertext „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“. Peymann’sche Handke-Uraufführungen – angefangen in den 1960er Jahren im Frankfurter Theater am Turm – hatten Regisseur wie Autor zu ihrem (berechtigten) Theaterruhm verholfen. Wofür Handke, der selbst nicht zur Premiere erschien, sich nun auf seine Art revanchierte: Er verkündete in aller Lässigkeit, davon zu träumen, dass „dieser oder jener junge Regisseur“ seine Stücke „in die Hand nimmt, in die Luft wirft und schaut, was für Figuren im Raum entstehen“. Als der 78-jährige Peymann am Samstagabend seinen Anlauf zum Elfmeter nahm, war das Spiel also längst im Gange und konnte im Grunde kaum noch unterhaltsamer werden.

Wurde es dann auch nicht. „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ – ein stolzer 180-Seiter, der letztes Jahr bereits in Buchform erschienen war – konfrontiert uns mit einem „Ich“ das sich zunächst in ein „erzählendes“ und ein „dramatisches“ aufspaltet und uns dann unverzüglich wissen lässt, manchmal gern „Arschficker“ zu sagen, „allein des Klanges wegen“. Bevorzugte Empfänger dieser Grußadresse sind „tätowierte Schwimmlehrer, menschgewordene Fischgrätmuster, Sprechblasenkrebse, Rundinformierte, Freiheitsliebende, Gotteskrieger, Friedenssoldaten“. Kurzum: all jenes „Pack, Doppelpack, Tetrapack“, das sich Handke zufolge eben so herumtreibt auf dem Planeten in zeitgeistiger Gesichts- und Geschichtslosigkeit – und das er „die Unschuldigen“ nennt: diese „ewig Heutigen, Unberührbaren, Unbeleckten“.

Dass diejenigen, die selbst gern mal Fischgrätmuster tragen, diese ausgedehnte Ich-gegen-die-(post-)moderne-Welt-Tirade einfach achselzuckend als rührend gestrig abtun könnten, verkompliziert der Autor clever: Es lassen sich (Selbst-)Ironie-Implantate finden auf der langen Landstraße durch den Text. Denn auf einer solchen, der letzten „nichtgegoogelten auf Erden“ freilich, steht Handkes Doppel-Ich und wartet – ein bisschen so wie Wladimir und Estragon auf Godot – auf die rettende „Unbekannte“. (Wobei sich der Handkesche Anspielungskosmos eher aus Shakespeare- denn aus Beckett-Stücken speist).

Statt der schönen Frau im schwarzen Kleid (Regina Fritsch) kommen erst mal all die hässlichen Mobiltelefonierer, Sonnenbrillenblender und Lichtschutzklamottenträger, zu denen Peymann die „Unschuldigen“ verniedlicht hat, über Karl-Ernst Herrmanns schön schräg-geschwungene Bühnen-Landstraße. Und leider kommen sie auch weniger „geteufelt“, wie es bei Handke steht, als vielmehr offensiv getölpelt.

Handkes Ernsthaftigkeitsverzweiflung endet im übersichtlichen Freund-Feind-Schema

Kein Wunder, dass Christopher Nell in der „Ich“-Hauptrolle mit seinem Wanderrucksack über der Anzugswestenschulter ebenfalls eher Putzigkeit ausstrahlt als Handkes vitalen und in seiner Dringlichkeitsredundanz authentisch nervenden Weltekel (was definitiv eine Qualität bedeutet). Und Martin Schwab, der diesem „Ich“ als „Wortführer der Unschuldigen“ mit dürrem Pferdeschwanz dialektisch- dialogisch gegenübertritt, versprüht auch eher Märchenerzähler-Charme als Schärfe, während sich Maria Happel als weibliches Wortführer-Pendant im roten Kleid vor allem in komische Lach-Koloraturen empor schrauben muss. Wo Handkes „Ich“ – wie größenwahnsinnig auch immer – durchaus mit einer gewissen Ernsthaftigkeitsverzweiflung um ein Gegenüber ringt, ist Peymanns Regie von Anfang an auf der sicheren Seite im übersichtlichen Freund-Feind-Schema.

Es ist, kurzum, die Peymann-Symptomatik aus den jüngsten BE-Jahren: Kaum wird im Text ein Sturm angekündigt, wirbelt auf der Bühne die Windmaschine los; und sagt ein Schauspieler „Rabe“, macht er dazu garantiert „krah, krah“.

So gesehen hätte Peymann den Elfer in der Burg – und demnächst im koproduzierenden Berliner Ensemble, wo die Aufführung ab dem 30. April zu sehen ist – verschossen. Dann allerdings: ein Blick in die Seitenloge, erster Rang. Dort sitzt er, der Regisseur, und durchlacht und durchleidet und vollzieht quasi (still) jeden Ausfallschritt, der unten auf der Bühne getätigt wird, in einer derart entwaffnenden kindlichen Selbstvergessenheit mit, dass man selbst als „ewig Heutige, Unberührbare“ konstatieren muss: Für Peymann ist das Ding klar im Tor. Daran ändert auch der eher freundlich als triumphal zu nennende Schlussapplaus nichts. Und irgendwie hat das auch was Gutes.

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