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Der Krieg als bürokratischer Akt. US-Soldaten im Jahr 2007, bei einer Zeremonie in Camp Victory bei Bagdad.

© dpa

Phil Klays Irakkriegsgeschichten: Aufmerksamkeitsstufe Rot

Verletzt bei Kampfhandlungen und auch das Leben gegeben: „Wir erschossen auch Hunde“, Phil Klays beeindruckende Irakkriegsgeschichten.

Wer über den Krieg schreibt, schreibt über den Tod und das Überleben und darüber, wie schwer es für den einzelnen Soldaten ist, in den Friedensalltag zurückzukehren. Nur selten ist davon die Rede, dass der Krieg auch ein bürokratischer Akt ist und eine eigene Sprache erzeugt. „EOD entschärfte die Bomben. SSTP versorgte die Verletzten. PRP fertigte die Leichen ab. Die o8er schossen DPICM ab. Ich und der PFC verteilten das Geld.“

So beginnt eine der Geschichten von Phil Klays Erzählsammlung „Wir erschossen auch Hunde“. Sie heißt „OIF“, das ist die Abkürzung für „Operation Iraqi Freedom“, wie die US-Regierung und die US-Army den Irakkrieg und die anschließende Besatzungszeit bis zum Abzug der Truppen Ende 2001 genannt haben.

Der 31 Jahre alte Phil Klay war als Marine von Januar 2007 bis Februar 2008 in der irakischen Provinz Al Anbar, also nicht nur einmal sieben Monate, wie es Usus ist, sondern zweimal, und er hat sich, so kann man das der seinen Erzählungen vorangestellten Widmung entnehmen, freiwillig gemeldet: „Für meine Eltern, deren drei Söhne sich in Kriegszeiten zum Militär meldeten“. Mit der nur dreieinhalb Seiten umfassenden Geschichte „OIF“ treibt er den in der Armee herrschenden Abkürzungsirrsinn auf die Spitze. Jeder Satz darin enthält Kürzel wie die oben genannten, doch selbst diese Erzählung ist mehr als eine Parodie, schließt sie doch mit den gleichermaßen zynischen wie verzweifelten Worten, „dass WIA heißt“, also „wounded in action“, verletzt bei Kampfhandlungen, „dass ich nicht alles gegeben habe“.

Damit ist natürlich das eigene Leben gemeint, obgleich jede von Klays Geschichten davon erzählt, dass genau das gemeint ist: Die Protagonisten sind zwar nicht im Irak-Krieg gestorben, ihr Leben aber haben sie trotzdem hingegeben. Es ist nach dem Einsatz ein anderes geworden; den Krieg tragen sie stets mit sich herum, ob sie nun unter schweren Behinderungen leiden oder unter PTBS, der posttraumatischen Belastungsstörung.

Klay erzählt jede Geschichte aus der Ich-Perspektive

Klay hat seine Erzählungen im Irak und in den USA angesiedelt. Hier sind seine Helden in Kampfeinsätze verwickelt, haben gerade erstmals jemand erschossen, müssen die Leichen ihrer Kameraden bergen oder langweilen sich im Lager; dort versuchen sie ihre Erlebnisse aufzuarbeiten und ein halbwegs normales Leben führen, was nur schwer möglich ist. Allein einkaufen zu gehen, kann zu einem Problem werden, wie jener Irakkriegsveteran weiß, der in seiner Heimatstadt Wilmington, North Carolina unterwegs ist: „In einer Stadt können sie dich aus tausend Ecken erwischen. Das macht dich anfangs ganz verrückt. Aber dann gehst du vor wie gelernt, und es funktioniert. In Wilmington hast du kein Squad, keinen Partner, nicht mal eine Waffe. Du erschrickst zehnmal, weil du merkst, dass sie nicht da ist. Du bist hier sicher, also müsstest du auf Aufmerksamkeitsstufe weiß sein, bist du aber nicht.“

Klay erzählt jede Geschichte aus der Ich-Perspektive. Erstaunlich ist, dass man dabei nie den Eindruck hat, hier würde nun allein der Ex-Marine Klay sein Leben durch das Erzählen retten wollen, hier würde in einer Tour ein nur notdürftig fiktionalisiertes Alter ego seiner selbst herumspringen. Nein, diese Soldaten haben die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht, waren in den unterschiedlichsten Funktionen im Irakkrieg. Mal ist es ein Pfarrer, der als Beichtvater wie als Prediger im Kriegseinsatz ist und dann damit konfrontiert wird, dass es auch Marines gibt, „die jemanden töten, den man nicht töten soll“ – einfach um des Tötens und einer Erfolgsquote willens, womit einer der Beteiligten im Nachhinein nicht klar kommt. Oder es erzählt einer aus einer Einheit, die „PRP“ abgekürzt wird, für „Personnel Retrieval and Processing“, die die Gefallenen birgt und für den Transport in die Heimat vorbereitet. Dieser Soldat weiß später genau, wie er seine Erlebnisse ganz konkret an den Mann oder eben die Frau zu bringen hat: „Die Kerle mögen es witzig, viel Blut und Eingeweide und am Ende ein breites Grinsen. Frauen mögen es traurig, mit einem versteinerten Blick in die Ferne, auf die Schrecken des Krieges, die sie nicht sehen können.“ Dann wieder berichtet jemand, der als Foreign Service Officer beim Wiederaufbau des Iraks helfen soll – und der zum Beispiel eine Ladung mit 50 Baseball-Trikots bekommt, für ein Land, in dem niemand Baseball spielt). Oder es gibt einen Angehörigen der koptisch-orthodoxen Kirche, der in einer Propganda-Abteilung tätig ist und sich gerade deshalb als „Teil eines Waffensystems“ der US-Army fühlt, weil er die Sprache der Iraker spricht. „Sprache ist eine Technologie. Ich wurde ausgebildet, sie so einzusetzen, dass ich die Kampfkraft meiner Einheit verstärke.“

Der Krieg zeigt sich hier im größt- und schlimmstmöglichen Facettenreichtum

Als Leser bekommt man diesen Krieg und die Anforderungen, die an die Soldaten gestellt werden, im größt- und schlimmstmöglichen Facettenreichtum präsentiert (außer aus der irakischen Sicht, versteht sich). Unter anderem deshalb dürfte „Wir erschossen auch Hunde“ die bislang beste literarische Arbeit über diesen Krieg sein. Sie ist vielschichtiger als Kevin Powers vergangenes Jahr veröffentlichter Irakkriegsroman „Die Sonne war der Himmel“ oder das Afghanistan-Kriegsbuch des „Vanity-Fair“-Reporters Sebastian Junger von 2009, „War“. Klays Geschichten sind erschütternd und erhellend, funktionieren als klassische Short Stories und haben gleichzeitig durchaus dokumentarischen Charakter. Natürlich meint man manche Motive aus Filmen wie beispielsweise Michael Ciminos „The Deer Hunter“ oder Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ zu kennen, von den All-American-Boys, die zu Mördern werden, bis hin zu der unstillbaren Sehnsucht nach dem Krieg. Aber Klay spricht die Sprache der Soldaten aus eigener Erfahrung – sie spiegelt das Männertümelnde, das Verschworene genauso wieder wie die amtlich-bürokratischen Vorgänge (es gibt ein Glossar mit den oben erwähnten Abkürzungen).

Über den Tod und die jeweiligen Traumatisierungen hinaus kreist hier vieles um eine große Leerstelle: um den Sinn dieses Krieges, dieses Einsatzes. Kaum einer der Protagonisten vermag ihn zu erkennen. „Amerika ist kaputt, Mann“, sagt einer und stimmt damit die Grundmelodie der Geschichten an. Selbst wenn tatsächlich einmal einer der heimgekehrten Soldaten behauptet, dass es doch gut gewesen sei, sein Leben für etwas eingesetzt zu haben, „dass größer ist, als man selbst“, ist das mehr Ausdruck einer hilflosen Sinnsuche als eine feste Überzeugung. Wer einmal im Krieg war, kehrt auch als Überlebender nie wieder daraus zurück.

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