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Der amerikanische Philosoph Jason Brennan, 37.

© Amy Rogalski

Philosoph Jason Brennan: „Demokratische Entscheidungen sind nicht unbedingt richtige Entscheidungen“

Brexit und Trumps Aufstieg haben das Vertrauen in die Vernunft der Wähler beschädigt. Der Philosoph Jason Brennan plädiert dafür, nur noch informierte Bürger entscheiden zu lassen.

Der amerikanische Politikwissenschaftler und Philosoph Jason Brennan, 37, stellt in seinem soeben erschienenen Buch „Gegen Demokratie“ (aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Ullstein Verlag, Berlin, 464 Seiten, 24 €) eine provokante These auf. Er behauptet, dass das Wahlrecht für alle oft zu fatalen Ergebnissen geführt habe und deshalb nur noch politisch informierte Bürger wahlberechtigt sein sollten. Brennan lehrt Strategie, Wirtschaft, Ethik und Öffentliche Ordnung an der Georgetown University in Washington D.C. Vor wenigen Tagen präsentierte er sein Buch in Berlin.

Mr. Brennan, Sie plädieren in Ihrem Buch für eine Epistokratie, eine sogenannte Philosophenherrschaft, in der nur noch gebildete, politisch informierte Bürger wählen dürfen.

Wenn man sich die Modelle ansieht, wie Demokratien nach philosophischen Vorstellungen funktionieren sollten und dann die empirischen Daten, wie es in Wirklichkeit zugeht, besteht ein großes Missverhältnis. Klar ist, dass die Qualität unserer Regierungen zum großen Teil von der Qualität der Wähler abhängt. Aber die meisten von ihnen sind schlecht informiert und wissen kaum etwas über Politik. Als Ergebnis hat man dann eine schlechte Regierung. Die Folge sind womöglich Kriege, Mauern oder eine schlechte Sozialpolitik.

Sie folgen Platon, der das Volk für zu dumm, irrational und unwissend hielt, um sich eine gute Regierung zu geben. Aber sind die meisten heute nicht besser informiert als vor 2500 Jahren?

Platon hatte keine Daten, um seine Behauptungen zu stützen, aber wir haben sie, ganz besonders in den USA. Trotzdem lag Plato größtenteils richtig. Die Leute sind nicht unbedingt inkompetent, aber sie haben keinen Anreiz, sich anders zu verhalten. In der Wirtschaftslehre nennen wir das rationale Ignoranz. Die Leute entscheiden sich nur, Informationen zu konsumieren und zu behalten, wenn es für sie nützlich oder interessant ist.

Wie erklären Sie sich diese Ignoranz?

In einer Demokratie zählt die individuelle Wahl so wenig, dass es keinen Unterschied macht, ob man wählt oder nicht. Da die Menschen das wissen, haben sie keinen Anreiz. Und der durchschnittliche Wähler weiß wenig, bis zur vollkommenen Ignoranz.

Diese Gruppe nennen Sie Hobbits.

Genau, wie in „Herr der Ringe“. Hobbits scheren sich nicht um die Außenwelt, sie interessieren sich nur für ihre eigenen Bedürfnisse. In einer modernen Demokratie ist das Gegenstück dazu der Nichtwähler. Der hat keine stabile Ideologie, keine starken Meinungen, beschäftigt sich nicht mit Politik und partizipiert nicht daran. Eine weitere Kategorie sind die Hooligans. Sie sind voller Vorurteile und nehmen keine abweichenden Meinungen an. Sie umgeben sich nur mit Leuten, die ihrer Meinung sind und sehen Vertreter anderer Parteien als hassenswerte Feinde.

Die dritte Gruppe sind die Vulkanier, wie Sie sie in Anlehnung an Mr. Spock in „Star Trek“ nennen.

Ein Idealtyp. Rationale, leidenschaftslose Denker, die sich vorbehaltlos für das beste Argument entscheiden.

Zu welcher Spezies zählen Sie sich?

Auch ich bin nicht frei von Vorurteilen, ich denke, das ist niemand. Aber ich versuche, meinen Hooligan zu bekämpfen und mehr wie ein Vulkanier zu werden (lacht).

"Die Qualität unserer Regierungen hängt von der Qualität der Wähler ab"

Der amerikanische Philosoph Jason Brennan, 37.
Der amerikanische Philosoph Jason Brennan, 37.

© Amy Rogalski

Sehen Sie den Brexit und die Wahl Trumps als Bestätigung Ihrer These?

Diese Entscheidungen haben sicher die Bereitschaft vergrößert, zuzuhören und etwas kritischer nachzudenken. Ich denke, die Leute sehen den Brexit und Trump als pathologische Entwicklungen innerhalb der Demokratie, und sie erkennen – das belegen die Daten –, dass Dinge durch falsche Informationen und irrationales Verhalten gesteuert werden.

Und die Lösung dafür soll weniger Demokratie sein, an der sich nur Auserwählte beteiligen dürfen?

Es ist klar, dass die Demokratie im Allgemeinen besser funktioniert als alle anderen Regierungsformen. Aber vielleicht gibt es Wege, sie zu optimieren. Ich finde zum Beispiel, dass der BMW 340i ein wunderbares Auto ist, aber trotzdem könnte man ihn nach 10 Jahren mal überarbeiten. Demokratie, wie wir sie kennen, hat einige systemische Fehler wie das erwähnte niedrige Wissen, ein hohes Niveau an Vorurteilen und Wut. Wenn Leute sagen, sie wünschen sich mehr Demokratie, um Probleme zu lösen, haben sie eine ideale Demokratie im Hinterkopf, in der sich alle wie Vulkanier verhalten. Aber in Wirklichkeit verschärft es das Problem, wenn zu viele Leute involviert sind: Es führt zu einer tieferen Spaltung und verursacht mehr statt weniger Ärger. Wir sollten Lösungen suchen, die auf einer realistischen Wiedergabe der menschlichen Psychologie beruhen und nicht auf Wunschvorstellungen.

Wer fällt denn die Entscheidung darüber, wer schlau genug ist, um wählen zu dürfen?

Darauf gibt es zwei Antworten: Eine ist, dass in einer Form der Epistokratie niemand wählen darf, bis er oder sie die Qualifikation dafür erworben hat. Es gibt darüber hinaus noch viele weitere Arten der Epistokratie, in der wortwörtlich jede einzelne Person ein Wahlrecht hat, man aber statistische Methoden verwendet, in denen die Wählerstimmen nach dem jeweiligen Wissenslevel bewertet werden.

Und das soll funktionieren?

Die Frage, was einen guten Wähler ausmacht, ist in der Theorie einfach zu beantworten. Aber Standards auf Personen anzuwenden, ist etwas anderes. Wenn man mich als Jugendlicher gefragt hätte, was eine gute Freundin ausmacht, hätte ich eine sehr gute abstrakte Antwort geben können. Aber wenn ich diese Standards auf konkrete Personen hätte anwenden sollen, wäre ich sicher krachend gescheitert. Durchschnittliche demokratische Systeme verstehen sehr gut, was ein guter Wähler und was ein guter Repräsentant ist, aber sind sehr schlecht darin, auf der Basis dieser Standards die entsprechenden Personen zu benennen.

Macht mehr politische Teilhabe die Leute immer radikaler?

Der amerikanische Philosoph Jason Brennan, 37.
Der amerikanische Philosoph Jason Brennan, 37.

© Amy Rogalski

Aber ob etwas oder jemand gut oder schlecht ist, ist ja auch eine Frage des Standpunkts.

Hier in Deutschland – in den Staaten übrigens nicht – gibt es unter den Philosophen eine populäre Sichtweise: Dass es keine wirklichen Standards im Sinne von Wahrheit gibt, wenn es zu demokratischen Entscheidungen kommt. Es heißt nur: Wir sehen das anders, das ist eine Frage des Standpunkts. Ich denke nicht, dass man auf dieser Basis Argumente für die Demokratie unterstützen kann. Es ist seltsam anzunehmen, dass wir eine Verpflichtung haben, Demokratie zu nutzen, wenn es nicht die erforderliche Wahrheit beinhaltet. Wenn die USA zum Beispiel ein Referendum veranstalten, ihre Nuklearwaffen auf einer kleinen Insel zu testen, und die Bürger stimmen aus Spaß dafür, bedeutet das ja nicht, dass das Ergebnis richtig ist, nur weil die meisten dafür gestimmt haben. Demokratie beinhaltet auch bestimmte Werte und Wahrheiten.

Auf der anderen Seite sagen Sie, dass politische Teilhabe die Menschen nicht klüger und aktiver, sondern dümmer und träger macht.

Ja. Ich will erklären, was politische Teilhabe mit uns macht: Der britische Ökonom John Stuart Mills glaubte, die meisten Leute seien Hobbits, aber wenn sie sich politisch beteiligen, werden sie Vulkanier. Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter hatte die Hypothese, dass die meisten von uns Hobbits seien und durch politische Teilhabe Hooligans werden. Wir studieren das nun seit 65 Jahren, und es sieht so aus, als ob Schumpeter recht hatte: Je mehr sich Leute politisch beteiligen, desto mehr werden sie wie Hooligans, desto wütender und hasserfüllter werden sie. Politik ist ein dreckiges Geschäft, warum sollte sich jeder damit befassen müssen?

Wolfgang Thierse, ehemaliges Mitglied des Deutschen Bundestages, hat kürzlich ein Wahlrecht von Geburt an vorgeschlagen, das die Eltern dann bis zum 12. Lebensjahr wahrnehmen sollen.

Ich mag die Idee nicht. Andererseits: Warum sollte nicht mein sechsjähriger Sohn wählen dürfen? Die meisten Erwachsenen wissen ja auch nichts über Politik und fällen schlechte Entscheidungen.

Apropos: Was hat sich seit Trumps Präsidentschaft in den USA verändert?

Das tägliche Leben hat sich an der Oberfläche nicht besonders verändert. Aber wir bemerken eine geringere Anzahl Bewerbungen von Studenten aus dem Ausland. Redner und Gastdozenten aus bestimmten Ländern bekommen keine Erlaubnis zur Einreise, und es gibt ein bisschen weniger Tourismus. Das gesamte Gebiet der Hauptstadt Washington D.C. ist sehr liberal und demokratisch – mit Ausnahme von Trump und den republikanischen Senatoren. Die sitzen jetzt mittendrin, und viele glauben, dass bald alles zusammenbricht. Ich denke auch, dass Trump eine ziemlich schlechte Wahl war und schlimmer ist als der Durchschnitt der amerikanischen Präsidenten. Aber ich glaube nicht, dass er die USA ruiniert. Ich hoffe, dass ich recht behalte.

Das Gespräch führte Sabine Sasse.

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