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Der Pianist Daniil Trifonov, 23.

© Dario Acosta Photography

Pianisten-Talente: Die Kunst des Anschlags

Daniil Trifonov und Igor Levit gelten als die derzeit weltbesten jungen Pianisten. Sie stammen beide aus dem russischen Nischni Nowgorod und spielten jetzt in Berlin. Ein Vergleich.

Ein junger Mann mit widerspenstiger Frisur betritt die Bühne, verbeugt sich sehr artig und klemmt sich hinter den Flügel. Schön sieht das nicht aus – weil der Hocker extrem hochgefahren ist, und Daniil Trifonov dazu tendiert, beim Spielen einen Buckel zu machen. Was der 23-jährige Russe dann aber musikalisch zu sagen hat, mit welcher Grazie, welcher Seelentiefe er Tschaikowskys 1. Klavierkonzert interpretiert, das haut die Leute um. Sie wollen ihn überhaupt nicht wieder gehen lassen, erklatschen sich eine Zugabe, dann eine zweite und applaudieren immer noch weiter, fasziniert, verblüfft, beseelt.

Daniil Trifonovs Philharmonie-Debüt mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin ist in der Tat ein denkwürdiges Ereignis. Weil solche Begabungen sehr, sehr selten sind: Künstler, bei denen sich höchste Virtuosität bereits in diesem Alter mit einer derartigen gedanklichen Reife paart.

Daniil Trifonov ist an diesem Abend natürlich nicht aus dem Nichts aufgetaucht. Spätestes als die Deutsche Grammophon 2013 den Mitschnitt seines Soloabends aus der New Yorker Carnegie Hall veröffentlichte, wurden die Fachleute auf den 1991 in Nischni Nowgorod geborenen Pianisten aufmerksam, der in Moskau und Cleveland studiert hat. Die Talentscouts vom Deutschandradio haben ihn in ihrer Debüt-Reihe präsentiert, gerade erst am vergangenen Sonntag zeigte Arte ein TV-Porträt des Pianisten. Darin berichtet er mit Unschuldsmiene, wie er in einer öffentlichen Badeanstalt für Aufsehen sorgte, als er das gesamte 2. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninov im Becken auf einer imaginären Tastatur durchspielte – um durch Wasserwiderstand ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich bei dem brachial schweren Stück seine Schulter- und Rückenpartie am effektivsten schonen lassen.

Geradezu gespenstisch wirkt die Geschmeidigkeit, mit der Daniil Trifonov in Tschaikowskys kaum minder schwerem Werk die vertracktesten Akkordketten meistert. Wie bekommt er nur diese spinnenwebfeinen Läufe hin, dieses Pianissimo von packender Präsenz? Da technische Schwierigkeiten für ihn offensichtlich nicht existieren, kann er sich ganz auf den Ausdruck fokussieren. Als wär's ein Nocturne von Chopin, präpariert er also aus dem alten Wunschkonzertschinken nie gehörte Klangfarben, atmosphärische Schattierungen und harmonische Details heraus. Seine Anschlagskunst ist dabei so differenziert, dass man meint, hier sei gar keine Mechanik mehr nötig, um zwischen dem Interpreten und den klingenden Saiten zu vermitteln. Als könne dieser Pianist die Töne tatsächlich direkt mit dem eigenen Körper, dem eigenen Atem erzeugen.

Als Lang Lang die Weltbühne betrat, war da zunächst nur perfekt trainierte Fingerfertigkeit. Und immer noch ist der Chinese dabei, wirklichem Stückdeutungsvermögen entgegenzureifen. Wer Daniil Trifonov mit Kollegen vergleichen will, muss schon andere Namen heranziehen: Daniel Barenboim, was die grenzenlose Musikalität angeht, und Martha Argerich, in Bezug auf die verblüffend früh ausgeprägte Persönlichkeit. Frederik Hanssen

Und wie hat sich Igor Levit mit dem Konzerthausorchester geschlagen?

Der Pianist Igor Levit, 27.
Der Pianist Igor Levit, 27.

© Felix Groede/DG

Der schönste Moment dieses Abends mit dem Konzerthausorchester unter Lawrence Foster: Igor Levits Zugabe vor der Pause. Schumanns C-Dur Fantasie op. 17, der letzte Satz, „langsam getragen, durchweg leise zu halten“, so die Anweisung des Komponisten. Über der Wellenbewegung der Triolen erscheint die Melodie wie ein stilles Gebet. Auch Igor Levit beugt sich zentimeternah über die Tasten, wie immer ringt der Pianist um Ausdrucksintensität, Kontemplation, den Wesenskern des Werks. Ton und Verklärung: Zum Ende hin entgleitet ihm vor lauter Piano auch mal ein Akkord, aber es macht nichts: Im Saal herrscht endlich Hochspannung.

Wie Daniil Trifonov stammt auch Igor Levit aus Nischni Nowgorod, dem ehemaligen Gorki. Als Achtjähriger kam er mit der Familie nach Deutschland. Die Metropole an der Wolga scheint kein schlechter Ort für Pianisten zu sein, schließlich kam hier schon Wladimir Aschkenasi zur Welt. Und wie Trifonov muss man in Berlin nicht mehr für Levit werben; nach Auftritten in kleineren Sälen und seiner ersten CD mit späten Beethoven-Sonaten gab er im Dezember ein gefeiertes Recital im Kammermusiksaal.

Klar, auch Levit beherrscht die virtuose Klavierliteratur und überhaupt ein enormes Repertoire. Aber der 27-Jährige konzentriert sich zunehmend aufs Kontrapunktische, auf motivische, polyfone Verflechtungen von Bach bis Schubert. Ein passionierter Forscher, der zu Beginn dieser Woche vom Glück seiner Entdeckungsreisen berichtete, bei „2 mal Hören“ im Werner-Otto-Saal. Auf dem Programm Beethovens letzte Klaviersonate op.111. Da führte Igor Levit mal eben vor, wie jenes in den Anfangstakten versteckte, auf Bachs „Es ist vollbracht“-Arie anspielende Motiv nicht nur in op. 111 permanent wiederkehrt, sondern sich in ebenso wandelnder Gestalt in den vorhergehenden Sonaten findet, sogar im „Fidelio“.

Und von wegen Musik des Verstummens im finalen Variationssatz der Sonate, wie der ärgerlich geschwätzige Moderator Arno Lücker insistierte. Diese Musik entlässt einen in Schönheit, nicht in den Tod, widersprach Levit und improvisierte vergleichende Studien. Ein Ende auf der schwachen Taktzeit, da schlagen doch keine Türen zu, es geht hinaus und weiter! Levits op. 111, eine Herzensangelegenheit bei hellwachem Verstand.

Am Freitag dann sein Berliner Debüt mit Orchester, mit Ravels Klavierkonzert G-Dur. Der forsch zupackende Foster am Pult und der Tiefenpsychologe Levit, leider musizieren sie aneinander vorbei. Im Adagio, das auf so wundersame Weise Streicher-Espressivo mit selbstvergessen perlenden Klaviermelismen vereint, ist von Levit wenig zu hören. Auch in den Ecksätzen, diesen Seelenwanderungen in einer an Gershwin gemahnenden Großstadtklangwelt, finden Solist und Orchester kaum zueinander. Der französische Abend mit weiteren Werken von Fauré, Debussy und Roussel überzeugt insgesamt nicht: zu laut, zu nüchtern, zu vordergründig das Konzerthausorchester unter Leitung des Amerikaners. Igor Levits Orchesterdebüt in Berlin, es steht noch aus. Christiane Peitz

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