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Kultur: Pieck und Ulbricht als Reizfiguren

Ausgrenzung, Verfolgung, Vernichtung.Drei Worte, die zu Recht zu einem Synonym für den Nationalsozialismus geworden sind.

Ausgrenzung, Verfolgung, Vernichtung.Drei Worte, die zu Recht zu einem Synonym für den Nationalsozialismus geworden sind.Mit den Gefangenen, Gefolterten und Getöteten muß jede Erinnerung an das Dritte Reich beginnen.Erst danach darf der Blick auf die nicht gerade zahlreichen Gegner des Diktators fallen - trotz aller Wertschätzung vor dem "Aufstand des Gewissens".Denn ein Volk von Widerstandskämpfern waren die Deutschen unter Hitler mitnichten.Eher drängt sich ein halbes Jahrhundert später der Eindruck auf, es habe - einmal ganz abgesehen von der überall anzutreffenden Gleichgültigkeit - einen regelrechten Wettbewerb im Denunzieren vermeintlicher oder wirklicher Gegner gegeben.Die Gestapo zumindest glaubte zwischenzeitlich, sie könne der Flut der Spitzelberichte nicht mehr Herr werden.

Dessenungeachtet war im Nachkriegs-Deutschland mehr von Hitlers Gegnern als von seinen Opfern die Rede.Ein menschlich verständlicher Akt der Verdrängung eigener Schuld.Die Frauen und Männer des Widerstands standen eben für das andere, bessere Deutschland.Und wurden zum festen Bestandteil der nationalen Selbstfindung.Die Verschwörer des 20.Juli, der Kreisauer Kreis um von Moltke, Carl Goerdeler - die bürgerlich-konservativen Oppositionellen wurden oft zu Lichtgestalten (v)erklärt.Dagegen fand in Zeiten des Kalten Krieges der Widerstand der Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten wenig Beachtung, obwohl diese zumeist von Anfang an das NS-Regime bekämpft hatten und dafür den höchsten Blutzoll zahlten.Erst in den siebziger Jahren begann sich das Bild zu wandeln.Die Historiker entdeckten dank oral history und Regionalforschungen den linken Widerstand - und kritisierten den bürgerlichen.Prompt war er da, der Streit über den "wahren Widerstand".Der Blick auf den immer wiederkehrenden Streit um die Gedenkstätte Deutscher Widerstand in der Stauffenbergstraße lehrt: über den deutschen Widerstand wird immer noch kontrovers diskutiert.

In die Schußlinie gerät das Haus im ehemaligen Bendlerblock immer dann, wenn der Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Hitler am 20.Juli 1944 vor der Tür steht.In diesem Jahr kommt die Kritik vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität.In einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Presseerklärung hieß es, die Gedenkstätte habe endlich "lange überfällige Korrekturen" am präsentierten Bild des kommunistischen Widerstandes vorgenommen.Auf mehrfache Anregung des Forschungsverbundes seien etwa die nicht eindeutig kommentierten Fotos von Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck aus dem Raum "Exil und Widerstand" entfernt worden.Also Lorbeeren für die Forscher von der FU? Das sehen die beiden Leiter der Gedenkstätte, Peter Steinbach und Johannes Tuchel, ganz anders.Daß Räume mit finanzieller Unterstützung des Bundes umgestaltet wurden, sei zwar zutreffend, aber auf Hinweise des Forschungsverbundes habe man damit nicht reagiert.Pieck und Ulbricht seien zudem keinesfalls verschwunden.Hier schmücke sich jemand mit fremden und fragwürdigen Federn, sagt Steinbach und verweist darauf, daß eine Ausstellung wie die über den deutschen Widerstand ohnehin sich ständig verändere.Schließlich gelte es, neue Forschungen zu berücksichtigen."Und das tun wir auch!" Jochen Staadt vom SED-Forschungsverbund sieht das allerdings anders: "Man muß sich schon fragen, warum trotz jahrelanger Kritik erst jetzt etwas verändert wurde", und er hat auch eine Erklärung parat: Die Gedenkstätte sei Mitte der achtziger Jahre konzipiert worden.Damals habe es noch zwei deutsche Staaten mit unterschiedlichen Geschichtsauffassungen gegeben.Um in Zeiten ideologischen Tauwetters die DDR nicht vor den Kopf zu stoßen, hätten die Gedenkstättenverantwortlichen versucht, die unterschiedlichen Geschichtsbilder der NS-Vergangenheit in der Ausstellung unter einen Hut zu bringen.Eine Rücksichtnahme, die selbst nach der Wiedervereinigung Bestand gehabt habe, warum auch immer.

Das Haus in der Stauffenbergstraße keine unabhängige Institution, womöglich von links unterwandert? Starker Tobak für Peter Steinbach.Entsprechend heftig fällt die Reaktion des Historikers aus.Vermutungen, in das Ausstellungskonzept werde reingefummelt, weist er vehement zurück: "Gegen politische Einflußnahme habe ich und werde ich mich immer mit Händen und Füßen wehren." Auch Wolfgang Bergsdorf, im Bundesinnenministerium zuständig für Kultur, kann eine Einflußnahme von außen - egal von welcher Seite - nicht feststellen.Von einseitiger Parteinahme für linken oder konservativen Widerstand ist dann beim Gang durch die individuell gestalteten Räume nichts zu merken.Auch anerkannte Forscherkollegen wie die Historiker Hermann Graml und Klaus Hildebrand halten das Konzept für überzeugend.Dennoch hat es in den vergangenen Jahren nicht an Vorwürfen gegen die Macher der Dokumentation gemangelt.Und stets war der Umgang mit dem linken Widerstand das Thema.

Mitte der achtziger Jahre ging es zum Beispiel um die "Rote Kapelle".Die Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack wollten viele nicht in der Ausstellung berücksichtigt sehen.Sie seien einfach nur Spione im Auftrag Moskaus und damit Hochverräter gewesen, hieß es.Ein damals schon überholtes Bild, das seinen Ursprung wohl in den Gestapo-Akten hatte.Trotz der Ressentiments blieb Steinbach dabei: Die "Rote Kapelle" gehört zum Widerstand und damit auch in die Gedenkstätte.Ebenso wie das "Nationalkomitee Freies Deutschland", eine auf Initiative der sowjetischen Führung in Krasnogorsk gegründete Organisation, der emigrierte deutsche Kommunisten und Kriegsgefangene angehörten.1994 beschwerte sich Franz Ludwig Graf Stauffenberg darüber, daß das Nationalkomitee in die Ausstellung mit einbezogen wurde.Dieses habe nichts mit dem Widerstand zu tun gehabt.Peter Steinbach warf daraufhin Stauffenberg vor, er übe massiven Druck auf die Bundesregierung aus, um kommunistische Widerstandskämpfer aus der Gedenkstätte zu verbannen.Steinbach drohte damals mit Rücktritt.Denn für ihn war und ist es eine Selbstverständlichkeit, Hitlers linke Gegner zu berücksichtigen."Mir müssen ja die Personen nicht politisch gefallen.Aber sie haben nun mal Widerstand geleistet."

Hinter diesen Worten verbirgt sich das "integrative Widerstandskonzept", mit dem die Gedenkstätte auf Initiative des damaligen Regierenden Bürgermeisters Richard von Weizsäcker gegründet wurde: Alle Deutschen, die sich gegen den Nationalsozialimus wehrten und den Krieg beenden wollten, sollten berücksichtigt werden.Ein sinnvoller Ansatz, um die Bandbreite des Widerstandes in einer Ausstellung widerzuspiegeln.Aber auch ein Ansatz, der den Wilhelm Piecks und Walter Ulbrichts einen Platz einräumen muß, freilich ohne deren spätere Verbrechen zu verschweigen.Mit Rechtsstaatlichkeit hatten viele Kommunisten nichts am Hut, darin unterschieden sie sich von den konservativ-bürgerlichen Widerstandskämpfern.Für diese galt es, die Majestät des Rechts wiederherzustellen, selbst wenn es sie das Leben kosten sollte.Genau deshalb stehen sie im Zentrum der Dokumentation.Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Stauffenberg, Goerdeler und viele ihrer Mitstreiter alles andere als Demokraten im bundesrepublikanischen Sinne waren.Keiner würde auf die Idee kommen, diese Verschwörer wegen ihrer konservativen Gesinnung oder wegen ihrer zumindest fragwürdigen Haltung gegenüber den Juden aus den Räumen zu verbannen.Dieses könnte aber einigen sozialistischen und kommunistischen Widerstandskämpfern drohen.

Im Bericht der Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur" heißt es im Kapitel über die Gedenkstättenkonzeption des Bundes vielsagend: "In der demokratischen Erinnerungskultur der Deutschen gilt es, vor allem solcher Kommunisten zu gedenken, die mit der eigenen Bewegung brachen, die in beiden Diktaturen Widerstand leisteten und das sehr oft mit ihrem Leben oder erneuter Verfolgung bezahlen mußten." Für Ulbricht, Pieck und andere würde dann in der Ausstellung kein Platz mehr sein.Ein einseitiges, verzerrtes Geschichtsbild wäre die verhängnisvolle Folge.Einen Teil der Vergangenheit späterer DDR-Bürger würde man damit ausblenden, und zehn Jahre nach der Wende könnte das Wort vom Geschichtsimperialismus die Runde machen.Diese Gefahr sieht Wolfgang Bergsdorf nicht.Es ginge nicht darum, kommunistische Widerstandskämpfer im Moskauer Exil auszublenden.Aber es müsse eben deutlich werden, daß sie das eine totalitäre System bekämpften und gleichzeitig ein anderes aufbauten und unterstützten."Leute wie Pieck und Ulbricht waren keine Ikonen des Widerstands." Das wird keiner ernsthaft behaupten.Doch Gegner wenigstens eines menschenverachtenden Systems waren sie eben auch.

ACHTUNG

Der Deutsche Wetterdienst bat uns folgende Suchmeldung zu veröffentlichen.Gesucht wird Frau Ursula Keller.Nähere Informationen gibt es unter http:// www.dwd.de/general/dkeller.html .

CHRISTIAN BÖHME

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