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Kultur: Pieps und Klick

Lässige Gestalten bevölkern die Wände der Berliner Literaturwerkstatt, jugendliche Silhouetten im Casual-Look. Je ein farbiges Detail belebt die schemenhaften Tuschezeichnungen; es korrespondiert mit der "Lebensanleitung" am unteren Bildrand.

Lässige Gestalten bevölkern die Wände der Berliner Literaturwerkstatt, jugendliche Silhouetten im Casual-Look. Je ein farbiges Detail belebt die schemenhaften Tuschezeichnungen; es korrespondiert mit der "Lebensanleitung" am unteren Bildrand. "Trying to find language for himself", lautet einer der Bildtexte. Der Österreicher Bertram Hasenauer hat Sentenzen des Dalai Lama mit Textmotiven aus Modemagazinen kombiniert. Er liefert Nachrichten aus dem Nervenzentrum einer Generation der irritierenden Unverbindlichkeit.

Eine passendere Illustration hätte man sich für den 9. Open Mike-Wettbewerb nicht denken können. Denn in den meisten der vorgetragenen 24 Texte dominierte eben diese Unverbindlichkeit, das selbstgenügsame Sich-Einkuscheln in die eigene kleine Erfahrungswelt. Draußen gab diesiges Novemberwetter die Stimmung vor, Abschiedswetter mithin, denn es war der letzte Open Mike in Pankow vor dem Umzug in die Kulturbrauerei, drinnen stieg der Dampf literarisch hochinteressierter Hundertschaften auf. Knapp 800 Einsendungen hatte es diesmal gegeben, auch das semi-professionelle Publikum war sprunghaft angestiegen, so dass man sich allerorten auf die Füße trat.

An den Ursprung des Open Mike, die Slam Poetry, erinnert nicht mehr viel. Der Lesereigen in seiner jetzigen Form ermöglicht vor allem den Kurzschluss literarischer Neulinge mit dem Betrieb und seinen Fährnissen. Lektoren und Literaturagenten können hier akquirieren; "Frischlinge", die auffallend oft das Leipziger Literaturinstitut Leipzig (eine Brutstätte des Konformismus?) durchlaufen haben, können sich anbieten. So kommt es zu immer mehr "Kleingruppen, die ihr Revier abschreiten", wie es im rätselhaft osmotischen Text von Torsten N. Siche heißt, der lobend erwähnt wurde.

Gleich zu Anfang machte Joachim Unseld seinem Lektorenärger Luft: Der Leiter der Frankfurter Verlagsanstalt beklagte Biederkeit, mangelnde formale Anstrengung, die schematische Schilderung begrenzter Erfahrungsräume einer "ins Unendliche gedehnten Adoleszenz". Der Text von Nils Mohl, den er nach dieser Gardinenpredigt präsentierte, kam überraschend temperamentvoll daher und offenbarte Performance-Qualität: ein Junggesellenblues im Widerspruch zwischen dem "Trickser Bewusstsein" und dem "verhassten Konterfei im Alibert". Neben Susanne Eversmann (Verlag Antje Kunstmann), Angelika Klammer (Jung und Jung), Günther Opitz (S. Fischer) und Dirk Vaihinger (Nagel & Kimche) hatte Unseld das heroische Amt der Vorauswahl versehen.

Mit dem Heidelberger Literaturkritiker Michael Braun wurde eigens ein Lektor für die Lyrikeinsendungen berufen. Dieses Novum erwies sich als Erfolg: Zwar hatte Braun mit dem Siegener Performance-Dichter crauss und dessen "Projekt der Weltbeendung" und mit Nico Bleutge nur zwei Kandidaten entsandt, doch ging Bleutge als Sieger hervor. Die stets sphinxhaft schweigende Jury - Adolf Muschg, Jens Sparschuh, Julia Franck - erkannte die Qualität von Bleutges Gedichtzyklus "peilung". Im Sinne Thomas Klings geht es dem 29-Jährigen aus Tübingen um die Schärfung des Blicks: das Gedicht als Präzisionsinstrument, als Schule des Sehens. Souverän hatte sich die Jury für lyrische Qualität inmitten unauffälliger Prosa entschieden.

Allzu oft machte es einfach nur "Pieps und Klick", das allerdings brillant vorgetragen wie in der Satire des "Sensationsjournalisten, Schundliteraten und Billigfilmers" Andreas Neuenkirchen. Zu einem aggressiven Psycho-Talk setzte Mia Frimmer an. Geisterbahnen, Wohnwägen, Badezimmer sind die ahistorischen Handlungsorte neuester deutschsprachiger Prosa. Eine Ausnahme machte der in München lebende Serbokroate Juraj Miler, der tatsächlich vom Jugoslawien-Krieg erzählte, wenn auch enttäuschend linear.

Einer trat an, der Unverbindlichkeit den Spiegel vorzuhalten. Tilman Rammstedt, 1975 in Bielefeld geboren, jetzt in Berlin als Texter und Musiker der Gruppe "fön", erwarb sich mit seinem atemlos vorgetragenen "Ausflug mit L." den Status des Publikumslieblings. Mit der Leichtigkeit von Eric Rohmers Jahreszeiten-Zyklus entwirft er eine Gebrauchsanweisung der Liebe voller reizvoller Komplikationen und Vorbehalte.

Am Terminus der "kräftezehrenden Unverbindlichkeit" erkenne man den Schriftsteller, so Adolf Muschg. Erika Anna Markmillers "Miniatur in f-moll", als dritter Siegertext mit 3000 Mark ausgezeichnet, ist eine familiäre Dance Macabre mit wenigen Elementen, die um so wirkungsvoller eingesetzt werden. Die 27-jährige Organistin orientiert sich an der musikalischen Form der Passacaglia, die durch strenge Monotonie ihren Sog entwickelt. Markmillers "Miniatur" übersetzt dieses Schema in Literatur, den Zwang des Klavierspielens "zwischen Knochenweiß und Ärmelschwarz". Eine exakt gearbeitete Talentprobe, die so etwas Rares wie Kunstwillen verriet, eine Stimme, von der man noch hören dürfte. Immerhin.

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