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Pina Bausch (1940–2009) tanzt ein Solo in ihrem Stück „Danzón“, das 1995 uraufgeführt wurde und bis heute auf dem Spielplan steht.

© Jochen Viehoff/Bundeskunsthalle

Pina Bausch im Gropius-Bau: Die Katze, die Königin

Der Berliner Martin-Gropius-Bau widmet Pina Bausch und ihrem Tanztheater eine umfassende Ausstellung. Die Hommage will dabei ein ungetrübtes Fest sein, Skandale bleiben außen vor.

Es ist eine in aller Prachtfülle der großen Pina-Bausch-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau leicht zu übersehende Trouvaille. Pina, wie die 2009 an einem Tumor gestorbene Königin des Tanztheaters noch immer von Freunden und Fans so liebevoll wie vertrauensnah genannt wird – Pina hatte ihrer Wuppertaler Compagnie bei der Entwicklung eines neuen, immer noch titellosen Stücks während der Proben meist einen kleinen Fragenkatalog gegeben. Einmal, 1989 bei dem später „Palermo Palermo“ genannten Tanzabend, war dabei ein Stichwort „Bäume“. Wie sieht euer Baum aus?

Also zeichneten die Tänzerinnen und Tänzer ihr Bild von einem Baum. Und nun hängen in einer Art Seitenkabinett der den Lichthof und den linken Flügel des Gropius-Baus bespielenden Schau schlicht gerahmt 14 Blätter. Mit Bäumen, die mal einem aus wenigen Strichen bestehenden kalligrafischen Symbol ähneln, mal der Kinderzeichnung eines Kugelbaums, mal Laub zeigen, mal keines, mal ein eher tropischen Gewächs. Aus der stilistischen Vielfalt der kleinen Skizzen lässt sich ganz beiläufig auch die wunderbare Multikulturalität des Bausch-Ensembles ablesen. Sie wurden aus allen Erdteilen angezogen von Pinas Magnetismus, sie bildeten selber ihren kleinen Weltenbaum – und ein Welttheater.

Ein Theater im Theater

„Pina Bausch und das Tanztheater“ wurde von der Bonner Bundeskunsthalle übernommen und für Berlin noch erweitert. Herzstück der von ihrem Sohn Salomon Bausch, der Tanzexpertin Miriam Leysner und dem aus den Niederlanden stammenden Bonner Intendanten Rein Wolfs kuratierten Ausstellung ist dabei die den Lichthof nahezu füllende, maßstabgetreue Kopie der Lichtburg. So hieß das für Pina Bausch zum heute legendären Probenraum umgestaltete ehemalige Wuppertaler Kino.

Tatsächlich betritt man ein Theater im Theater: eine Art Arena mit Fünfzigerjahreleuchten an den grünlichen Tapeten, dazu der Rest einer Rangempore und eine kleine Seitenbühne mit Vorhang, sonst nur der nackte Tanzboden, ein paar Stühle am Rand, eine Übungsstange und rundum vier große Standspiegel, die den Raum für die Akteure sowohl weiten wie im doppelten Sinn reflektieren. Zudem hängen als auratisch rührende Memorabilia noch einzelne Kostüme an den Wänden. Fast wollen sie einem als geisterhafte bunte Schatten der daraus gewichenen, oftmals bewunderten Körper erscheinen.

Filmaufzeichnungen, Fotos und Notizen

Die außerhalb dieses Zentralraums gruppierten Vitrinen und Wandkästen mit Fotos, Programmheften, handschriftlichen Notizen und Choreografiebüchern, die Videogeräte, Bildtafeln und großen Filmscreens folgen dem Leben der 1940 in Solingen geborenen Gastwirtstochter und ihrer Werkbiografie von Beginn an. Das Konzept entspringt Pina Bauschs großer Rede, die sie in Japan 2007 bei der Entgegennahme des internationalen Kyoto-Preises gehalten hat (im selben Jahr, als sie auch den Goldenen Löwen der Biennale in Venedig erhielt). Damals hatte sie als einen Schlüssel ihrer Eingebungen die Bilder ihrer Kriegs- und Nachkriegskindheit genannt und am Ende zu ihrer nicht versiegenden Neugier gesagt: „Manchmal bringen uns die Fragen, die wir haben, zu Erfahrungen, die viel älter sind, die nicht nur aus unserer Kultur stammen und nicht nur von hier und heute handeln.“ Daraus entstehe für sie dann eine Art kollektives, kosmopolitisch verbindendes (Unter-)Bewusstsein. Auch der bereits erwähnte Baum hat darum viele Zweige.

Man sieht Pina Bausch in den Filmaufzeichnungen und auf den oft großformatigen Fotos selber tanzen, etwa das legendäre „Café Müller“ von 1978. Und natürlich die Inbilder des 1973 von ihr gegründeten Wuppertaler Tanztheaters, Szenen aus Stücken wie „Nelken“ und „Arien“; ein ganzer Raum dokumentiert die Auseinandersetzung mit Shakespeares „Macbeth“, die 1978 zu dem grandios dramatischen Abend „Er nimmt sie an der Hand und führt sie in das Schloss“ wird, mit der tollen Protagonistin Mechthild Großmann. Viele kennen sie heute nur noch als Chefin von Axel Prahl und Jan-Josef Liefers im Münsteraner „Tatort“. Großmann las jetzt, mit ihrer markant rauchigen Stimme, zur Berliner Ausstellungseröffnung auch Pinas Kyoto-Rede. Hochinteressant die Aufzeichnungen während der Probenarbeit, die sich in Pina Bauschs Anmerkungen zu Shakespeares Szenen und bei den Regie/Choreografie-Notizen dank ihrer kräftigen, aber auch kindlich weichen Handschrift leicht mitverfolgen lassen.

Tänzer/innen wurden plötzlich zu Menschendarstellern

Für das große Publikum wohl noch nie zu sehen: die Dokumente aus Pinas frühen privaten Fotoalben und die von Anfang an sorgsam bewahrten Programmzettel und -hefte seit ihren Studienzeiten an der Essener Folkwang-Schule und ab 1960 an der New Yorker Juilliard School. Da steht auf dem Besetzungsblatt für einen Folkwangabend mit Prokofjews „Peter und der Wolf“ im Juli 1957 in der Villa Hügel in Essen: „Die Katze – Pina Bausch“. Die Schülerin des Tanzexpressionisten Kurt Jooss reüssiert auch bald in New York, sie gehört Ende 1960 beim ballettösen „Tannhäuser“-Vorspiel an der Metropolitan Opera (Dirigent George Solti, mit Hermann Prey) bereits zu den namentlich Genannten im Corps de Ballet.

Damals, das zeigen die alten Bilder, ähnelte die junge Pina mit dem schmalen Gesicht, den dunklen Haaren und Augen verblüffend der jungen Maria Callas; sie lässt die Diva (die sie bei aller persönlichen Bescheidenheit war) bereits ahnen, wenngleich der Körper noch etwas von leicht backfischhafter Stämmigkeit hat, verglichen mit später. Schön auch, wie man aus den Bildern und Filmen den für sie und ihre Bühnenbildner Rolf Borzik und Peter Pabst selbstverständlichen Umgang mit dem Alltag, mit Naturelementen oder Zivilisationsprodukten, mit Erde, Wasser, Dreck, nachvollziehen kann. Das war ab den 1970er Jahren eine Revolution, dass Tänzer/innen plötzlich auch nass, real beschmutzt, ohne Maske von Kunstfiguren zu Menschendarstellern wurden. Nur die Kämpfe, die Skandale, die dies anfangs in Wuppertal, später auch als Kulturschock etwa bei einem Gastspiel in Kalkutta ausgelöst hat, bleiben bei dieser Hommage à Pina eher außen vor.

Vier Vorstellungen von "Palermo Palermo"

In Interviews, zum Beispiel mit Roger Willemsen, deutet Pina Bausch Widerstände immerhin an. Doch die Ausstellung im Gropius-Bau will ein ungetrübtes Fest sein. Auch für Bauschs fabelhafte Tänzer: für Dominique Mercy, Jan Minarik, Helena Pikon, Mechthild Großmann oder die in der Compagnie ihr Erbe mit am Leben erhaltende Jo Ann Endicott.

Anlässlich der Berliner Station der Schau wird das Wuppertaler Tanztheater im Dezember in Berlin zudem vier Vorstellungen von „Palermo Palermo“ zeigen. In dem Stück, das gleichfalls 1989 – im Dezember – Premiere hatte, fällt im Bühnenbild von Peter Pabst eine Steinmauer, und sie fällt immer etwas anders. Darauf mussten, darauf durften Pina Bauschs Tänzer/innen jeweils spontan reagieren. Ohne wohl bei den ersten Proben zu wissen, dass sie mit einem bald weltgeschichtlichen Motiv spielten. Und noch immer weiter spielen.

Martin-Gropius-Bau, bis 8. Januar. Mi –Mo, 10–19 Uhr. Katalog-Buch „O-Ton Pina Bausch. Interviews und Reden“: 29,80 €. „Palermo Palermo“ gastiert im Haus der Berliner Festspiele vom 16.–19.12. (Infos und Tickets: www.berlinerfestspiele.de)

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