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Kultur: Pizza Margarita

Der Vorhang steht offen, und zwischen Zimmerpalme und Klavier müht sich eine Putzfrau mit Slapstickgesten vergeblich, ein dröhnendes Nachrichten-Radio auszustellen und Ordnung ins Bühnenzimmer zu bringen. Schließlich zieht sie die Planen von der Schauspielerschar, die an ihrem riesigen Tisch aus dem Schlaf erwacht.

Der Vorhang steht offen, und zwischen Zimmerpalme und Klavier müht sich eine Putzfrau mit Slapstickgesten vergeblich, ein dröhnendes Nachrichten-Radio auszustellen und Ordnung ins Bühnenzimmer zu bringen. Schließlich zieht sie die Planen von der Schauspielerschar, die an ihrem riesigen Tisch aus dem Schlaf erwacht. Oskaras Korsunovas Bühnenversion von Michail Bulgakows 1940 geschriebenem und erst 1966 erschienenem Roman "Der Meister und Margarita" beginnt deutlich als neue Sicht auf eine alte Geschichte.

Dabei haben die vielen Lenin-Gipsköpfe dem Geschehen und dem Zuschauer den Rücken zugekehrt. Eine satirische Auseinandersetzung mit Stalinismus, Bürokratismus oder Sozialismus, zu der Bulgakows Roman nach der Wende auf ostdeutschen Bühnen des Öfteren herhalten musste, hat der seit längerem als Geheimtip auf europäischen Festivals gehandelte 32-jährige Regisseur Oskaras Korsunovas aus Vilnius nicht unternommen. Die von Goethes "Faust" inspirierte Geschichte präsentiert einen leibhaftig im Moskau der 30er Jahre auftauchenden Teufel, der mit seinen Zauberlehrlingen eine spießige Gesellschaft aus Schriftstellern und Spekulanten durcheinander wirbelt. Korsunovas selbst wirbelt den Roman noch einmal durcheinander und inszeniert ihn als ein großes Spektakel zwischen Gottsuche und Todestraum. Die mehr als dreistündige, artistische Inszenierung fordert mit ihrer Überfülle an Ideen und Anspielungen die volle Konzentration des Zuschauers - mit deutscher Übertitelung.

Der Kampfplatz zwischen Gut und Böse, auf dem der Streit um den Sinn der moralischen Existenz des Menschen ausgetragen wird, ist ein großer Drehtisch vor einer beleuchteten, durchsichtigen Wand. Mit Schattentheater wird des Teufels Walpurgisnacht zu einem sodomistischen und anarchistischen Spiel ausgestellt, und das Geschehen vor der Wand wird durch die oft anders agierenden Schatten der Spielfiguren kontrastiert und kommentiert. Die Geschichte des Schriftstellers Besdomny, dem sein Redakteur nach Einwirkung des Teufels unter einer Straßenbahn tödlich abhanden kommt und der im Irrenhaus landet, wo er einen "Meister" genannten anderen Dichter trifft, der seinen Roman über "Pontius Pilatus" verbrannt hat, kommt als greller Comic daher. Die Schauspieler agieren wie Stummfilm-Puppen, toben in Meyerholdscher Bewegungstheater-Manier umher.

Oskaras Korsunovas hat seit 1990 auf europäischen Festivals zwischen Avignon und Edinburgh mit dem Litauischen Nationaltheater Aufsehen erregt. 1998 gründete er seine eigene Theatergruppe, mit der er 1999 bei den Berliner Festspielen zu Gast war. Nun präsentiert das Berliner Hebbel Theater mit zwei Inszenierungen des "Oskaras Korsunovas Theater" gleich eine kleine Werkschau des litauischen Regisseurs: neben "Der Meister und Margarita" zeigt das Theater aus Vilnius noch Shakespeares "Ein Sommernachtstraum". Mitte Dezember kommt Korsunovas an die Schaubühne: zum Auftakt des 2. Festivals Internationaler neuer Dramatik wird seine Inszenierung von Marius von Mayenburgs "Feuergesicht" gezeigt, außerdem richtet Korsunovas eine szenische Lesung von Mayenburgs Stück "Das kalte Kind" ein. Ein Geheimtip ist Oskaras Korsunovas also längst nicht mehr.

Hartmut Krug

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