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Kultur: Plädoyer für das gespaltene Subjekt

"Nur Dummköpfe können an ihre Einzelheit glauben.Die Weisheit liegt in der Vielheit", sagt Sophie zu Sophie in Christine Sohns Theaterstück "Ätna".

"Nur Dummköpfe können an ihre Einzelheit glauben.Die Weisheit liegt in der Vielheit", sagt Sophie zu Sophie in Christine Sohns Theaterstück "Ätna".Und dies ist auch der grundsätzliche Gestus dieses Textes über eine multiple Frau: Der Autorin schwebt weniger ein pathologischer Exkurs vor, als vielmehr ein eindringliches Plädoyer für das gespaltene Subjekt.Man muß sich das in etwa so vorstellen: Sophie, eine Mütze in der Hand, sucht - und zwar in einem fiktiven Schrank - Heinz.Heinz stellt sich in der Folge als ihr Sohn, als totgeschlagenes Opfer "ohnmächtig unter den Einfluß von Gewaltverherrlichung geratener" Jugendlicher und letztlich als Sophies bloße Erfindung gegen die Einsamkeit heraus.Sophie kann aus einer kleinen Mütze nicht nur einen ganzen Heinz, sondern überhaupt "schöne und gute Freunde genug" phantasieren, "um damit die Erde zu bevölkern"; und diese Rehabilitierung der "Vielheit in einer (Person)" mutet stellenweise eher pathetisch denn erbaulich an.

Um das "Wahnsinn und Gesellschaft"-Thema zuschauerkompatibel zu machen, hat die Autorin der Mützen-Szene denn auch eine längere Streitpassage zwischen dem Lust- und dem Realitätsprinzip - einen Dialog also der anarchistischen Sophie mit der vernünftigen Sophie - angefügt.Die vernünftige Sophie sagt: "Hör auf zu spinnen! Mal hast du uns in einen totalen Schlamassel gebracht, als du die Bundeswehr verklagt hast wegen eines nicht existenten Verlobten, der angeblich im Golfkrieg ..."! Die anarchistische Sophie: "Du willst mir also wirklich Angst einjagen, mach dich doch nicht lächerlich.Wer ist es denn von uns beiden, die ständig die Hosen voll hat?" Vielleicht bin ich nicht heimisch in der Wortwahl multipler Persönlichkeiten; aber bei "Schlamassel" und "vollen Hosen" denke ich eher an den reinen Willen zum Witz als ans Lachen; an die Unterhaltsamkeit als Kalkül, jegliche Ahnung von didaktischer Intention in den Zuschauerköpfen zu unterdrücken.Die Ahnung drängt sich dann um so erfolgreicher auf.

Nun hat allerdings Peter Lüder, der im Stükke-Theater die Uraufführung inszenierte, "Ätna" nicht nur zielsicher gekürzt, sondern auch diese Ahnung und das Pathos weitestmöglich zurückgedrängt - und dabei nicht nur der multiplen Sophie, sondern vor allem dem Theater sein Recht gelassen.Die "Schattenwelt" im Kopf der Akteurin übersetzt der Regisseur nicht in die fast schon Off-Szenen-obligaten Endlosschleifen auf Monitoren, sondern in Sophies Hände und Gesichter in einem (fast) leeren Raum.Und die Darstellerin, Eva Mannschott, kann diese "Vielheit", die ein raffiniertes Lichtdesign ihrer Erscheinung effektvoll abgewinnt, auch sich selbst abgewinnen.So gesehen ist Sophies Triumph der "Vielheit" zwischen dem ewigen Kind, das in die Wirklichkeit nicht hineinwill, und der klarsichtigen Rächerin an der Realität, die sie nicht hineinläßt, ein Triumph der Inszenierung über die Vorlage.

Stükke-Theater, Hasenheide 54, vom 4.Juni bis 12.Juli, Do und Sa, 21 Uhr.Die Vorstellungen am 18.6.und 9.7.fallen aus und werden am 21.6.bzw.12.7.nachgeholt.

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