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Der Dinosaurier wird immer trauriger. Das Marthaler-Ensemble versteckt sich gern, wenn es nicht singt.

© Walter Mair

Plänterwald am Rosa-Luxemburg-Platz: Ruhe im Reservat

„Hallelujah“: Christoph Marthaler spielt in seinem neuen Stück DDR-Country an der Volksbühne.

Hier erst einmal die Playlist für diesen Abend, nicht ganz vollständig: „Save the Last Dance for me“, „Boulder to Birmingham“, „500 Miles“, „Seven Bridges Road“, „King of the Road“, „Great Balls of Fire“, „I am so Lonesome I could cry“ ...

Da bleibt kein Auge trocken. Denn sie singen schön, der Marthaler-Schauspieler und die Marthaler-Schauspielerin. Schön getragen, zart und leicht sediert, nicht ganz von dieser Welt. Bei Christoph Marthaler, dem Schweizer Regisseur und Volksbühnenhelden („Murx den Europäer“), ist das Theater eine Ruhezone, Sanatorium für mittelschwere bis hoffnungslose Fälle, oder diesmal: ein Reservat.

„Hallelujah“ lädt ins Camp für Ehemalige. Ehemalige DDR-Bürger, Hobby-Indianer, Schausteller, Outdoor-Freaks. Hauptsache, dein Leben ist gelaufen und du lebst in der Vergangenheit. Dann passt du hier hinein, ins Bühnenbild von Anna Viebrock, das Erinnerungen an den Plänterwald wecken soll, den ehemaligen Vergnügungspark im Südosten Berlins. Hier treffen sich elf Ex-Menschen, verbunden durch die Liebe zur Country-Musik. Einer lebt im milden Wahn, Pierre Brice/Winnetou (gewesen) zu sein: ein schönes deutsch-französisches Solo für Marc Bodnar. Clemens Sienknecht (an den Keyboards) war vielleicht mal Dean Reed, der Cowboydarsteller, der aus den USA in die DDR ging. Ueli Jaeggi gibt cool und nervig einen früheren Spezialisten für Fahrgeschäfte. Und die norwegische Sängerin Tora Augestad könnte mit ihrem spitzen Mezzosopran Whiskygläser zum Zerspringen bringen. Sie bringt wenigstens etwas Temperament in den Zombietanz.

Der Rummel ist aus, alle hassen ihre Freizeit, weil sie viel zu viel davon haben, sie stehen und sitzen wie hypnotisiert herum. Typische Marthaler-Tristesse, nur verschärft. Niemand erzählt einen brauchbaren Witz. Niemand dreht mal durch. „Hallelujah“ zeigt einen müden Marthaler – wenn das nicht ein weißer Schimmel ist. Ja, schon, die DDR hatte es mit den Indianern, sie war selbst ein eingezäuntes Reservat mit Häuptling Honecker, und die DDR hatte mit Gojko Mitic ihren eigenen edlen Wilden. Und der ehemalige Theaterzauberkünstler Marthaler hatte es auch gern mit der DDR in seinen Kreationen – nur was ist das jetzt? Trübsinn, Blues, Phantomschmerz.

Und wieder spielt die Volksbühne ein Requiem auf sich selbst. Das „Hallelujah“ gilt dem Haus, da liegt ein umgestürzter Dinosaurier, und all diese „Ehemaligen“ werden in anderthalb Jahren, wenn Castorf die Intendanz abgibt, ehemalige Volksbühnenmenschen sein. So muss man es doch sehen, wenn am Schluss ein einsamer, trauriger Bär an der Absperrung steht und mit dem Kopf wackelt. Rettet das Reservat am Rosa-Luxemburg-Platz!

Vorstellungen wieder am 21. und 27.2. und am 3.3.

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