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Verbindungen herstellen. Labelmacher Bill Kouligas, 32.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Plattenlabel Pan: Mit den Zehenspitzen im Club

Das Berliner Plattenlabel Pan gilt als eines der innovativsten der elektronischen Musik. Ein Besuch beim Boss Bill Kouligas in Neukölln.

Das Büro des Berliner Plattenlabels Pan befindet sich in einem Hinterhof in Neukölln in einer Art Schuppen. „Früher war das das Gartenhaus“, sagt Bill Kouligas, der Betreiber von Pan, der gerade aus Paris kommt, wo er an einem Projekt gearbeitet hat, wie er sagt. Davor war er eine Weile in London, von wo aus er vor fünf Jahren in Richtung Berlin gezogen ist.

Er sei dauernd unterwegs, entschuldigt Kouligas die Tatsache, dass sich in einer Ecke des Gartenhauses, in dessen zweitem Stockwerk sich zudem ein kleines Studio befindet, ein Berg alter Kartons bis fast an die Decke wächst. Dabei ist es ansonsten ziemlich gemütlich und einigermaßen aufgeräumt. An zwei Wänden stapeln sich die Kartons mit den bisherigen Plattenveröffentlichungen des Labels und in einer Ecke wurde kunstvoll eine Mauer aus CDs hochgezogen, die Kouligas bei der Arbeit hört. „Das ist nur ein kleiner Teil meiner Plattensammlung“, erklärt er. Seine Vinylplatten seien in seiner Kreuzberger Wohnung. Viele Platten? „Sehr viele“, sagt er und nennt sich selbst einen „hundertzehnprozentigen Plattensammlerfreak“.

Wenn man so über seine CDs blickt, bekommt man das Gefühl, dass es wirklich wahnsinnig viele sein müssen. Denn Kouligas scheint schon rein geschmacksmäßig keine Grenzen zu kennen. Es stapeln sich Alben mit obskurster Avantgarde- Musik, dazwischen findet sich sehr viel Free Jazz, jede Menge Black Metal, eine CD des Technoproduzenten Jeff Mills, etwas von den Beach Boys und ganz viel Reggae. „Platten“, sagt der 32-Jährige in bester Nick-Hornby-Manier, „sind mehr als etwas, das du auf deinen Plattenteller legst. Sie definieren, wie du dich kleidest, redest, denkst.“ Man könnte ergänzen: Und sie prägen die musikalische Ausrichtung deines Labels, wenn du eines hast.

Auf Pan, das mittlerweile als eines der spannendsten Labels für innovative elektronische Musik gefeiert wird, sind bereits gut 60 Werke erschienen. Dabei fällt auf, dass durchaus eine Labelphilosophie verfolgt wird, gleichzeitig aber stets Veränderung gesucht und eine Offenheit für neue und unterschiedlichste musikalische Einflüsse gepflegt wird. „Es gibt keinen bestimmten Labelsound und den soll es auch nie geben“, sagt Kouligas.

Pan wird in aller Welt gefeiert - nur nicht in Berlin

Verbindungen herstellen. Labelmacher Bill Kouligas, 32.
Verbindungen herstellen. Labelmacher Bill Kouligas, 32.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Die Geschichte und Entwicklung von Pan erklärt der Labelmacher gerne autobiografisch. Er ist in Athen geboren und aufgewachsen, hat Schlagzeug in Punk- und Hardcorebands gespielt, irgendwann aber experimentelle elektronische Musik für sich entdeckt und begonnen, mit dem Rechner und Synthies herumzuspielen. Vor zwölf Jahren ist er nach London gezogen, hat dort Grafikdesign studiert und ist als DJ und Livemusiker in Clubs und Galerien aufgetreten, was er bis heute tut. Das Label hat er unter anderem deswegen gestartet, um ein sinnvolles Betätigungsfeld für den Grafikdesigner Bill Kouligas zu finden – so gut wie alle Veröffentlichungen auf Pan hat er komplett selbst gestaltet.

Gegründet hat er das Label noch in London, aber schon nach sechs Monaten ist er nach Berlin gezogen. Teilweise aus denselben Gründen, die viele andere Kreative hierherziehen: niedrigere Mieten und überhaupt niedrigere Lebenshaltungskosten. „In London brauchst du noch einen anderen Job, um dir so ein Label leisten zu können, in Berlin ging es von Anfang an auch so“, erklärt er. Aber auch wegen des kreativen Umfeldes und der Musikhistorie sei er hierhergekommen, erklärt er, es sei „inspirierend in Berlin“. Damit meint er nicht nur die diversen DJ-Stammtische der Stadt und das Berghain, sondern Berlins viel zu selten gewürdigte Tradition als Stadt der experimentellen Avantgarde. Die erklärten Helden des Liebhabers seltsamer bis extremer Musik sind nicht hier ansässige DJ-Stars wie Richie Hawtin, sondern Das Synthetische Mischgewebe oder Frieder Butzmann – legendäre Acts aus der Berliner Postpunkära in den frühen Achtzigern. Von beiden hat er schon Platten auf seinem Label veröffentlicht.

In Berlin ist dann doch etwas passiert, was so gar nicht vorgesehen war. „Du kannst einfach nicht nach Berlin ziehen und sagen, dass du mit Dancemusic nichts anfangen kannst, wenn Dancemusic so wichtig ist in dieser Stadt“, sagt Kouligas. Und so kam es, wie es kommen musste: Pan ist längst doch im Berghain angekommen, wo am heutigen Freitag Labelnacht gefeiert wird. „London ist so groß, dass ich mit der Clubszene dort gar nicht in Berührung kam“, erläutert Kouligas, „diese Welt hat sich mir erst in Berlin eröffnet.“

Das Goethe-Institut veranstaltete ein Pan-Festival in New York

Man kann den Einfluss der Stadt gut an den Pan-Veröffentlichungen der letzten fünf Jahre nachvollziehen. In frühen Katalognummern findet sich sehr viel Krach, echte Lärmavantgarde von Acts wie John Wiese, Joke Lanz und ähnlichen Klangterroristen. Dann kommen immer mehr Elektronik-Acts dazu, die zwar mit dem typischen Berliner Minimaltechno-Einerlei nichts zu tun haben, mit den Zehenspitzen aber doch schon im Club stehen. Etwa Lee Gamble und Objekt, die ihre abstrakten Elektronikentwürfe mit angedeuteten repetitiven Beats bei der Labelnacht präsentieren werden, Lee Gamble mit einem Liveset. Oder Helena Hauff, die Resident-DJ im Hamburger Pudelclub ist, mit ihrem Projekt Black Sites inzwischen zur stetig wachsenden Pan-Familie gehört und die ebenfalls auflegen wird.

„Der Einfluss Berlins wird durch meinen Geschmack gefiltert“, sagt Kouligas über die Entwicklung seines Labels. „So kommt es, dass auch die tanzorientierteren Platten auf meinem Label nicht klingen wie die übliche Clubware.“ Auffallend ist, wie Pan inzwischen überall in der Welt gefeiert wird, außer in Berlin selbst. Rashad Becker etwa, der so gut wie alle Platten von Pan in seinem Berliner Masteringstudio mastert, hat im letzten Jahr mit „Traditional Music of Notional Species Vol. I“ seine erste Platte als Produzent auf Pan veröffentlicht. Das ging hierzulande völlig unter, während die Fachzeitschrift „The Wire“ das Album in ihrer Jahresbestenliste weit nach vorne wählte. Im letzten Jahr fand in New York sogar ein vom Goethe-Institut unterstütztes zweiwöchiges „Pan-Act Festival“ statt, weshalb Kouligas seinen Schreibtisch fast ein ganzes Jahr lang in die USA verlegte. Er glaubt, dass ein Label wie seines aber nur schwer eine lokale Szene prägen kann. „Meine Künstler kommen aus Japan, den USA, England und viele sind in Berlin lebende Expats, wo soll da der Lokalbezug herkommen?“, fragt er rhetorisch.

Immerhin: Mehr Lokalkolorit, als im Berghain zu gastieren, geht ja kaum. Vielleicht entwickelt sich Pan ja doch noch zu einem richtigen Berliner Szenelabel. Für Kouligas jedenfalls ist nichts undenkbar.

Pan-Labelnacht, Berghain, 21.11., 23.59 Uhr

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