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Fürs Protokoll. Szene aus der Genfer Uraufführung 2011.

© Pierre Abensur/Foreign Affairs

"Please, Continue (Hamlet)" beim Festival "Foreign Affairs": Im Zweifel für den Angeklagten

Ein echter Berliner Richter macht einem fiktiven dänischen Prinzen auf der Bühne den Prozess: Kay-Thomas Dieckmann in „Please, Continue (Hamlet)“.

Zuletzt ist Hamlet zu sechs Jahren Haft verdonnert worden. Es waren auch schon mal zwölf. Und es gab eine Reihe von Verhandlungen, in denen Zweifel an seiner Schuld aufkamen. Fakt ist: Der Angeklagte hat Polonius, den Vater seiner Freundin Ophelia, durch einen Vorhang hindurch erstochen. Vierter Aufzug, dritte Szene bei Shakespeare. Allerdings behauptet Hamlet, dass er als Kammerjäger („Wie? Was? Eine Ratte?“) unterwegs war. „Wenn wir das nicht widerlegen können, ist es ein Freispruch“, sagt Kay-Thomas Dieckmann. „Wenn doch, wird er verurteilt.“ Der Vorsitzende Richter einer Jugendstrafkammer am Kriminalgericht Moabit wird ab Montag über den Fall entscheiden.

„Please, Continue (Hamlet)“ heißt das Projekt, bei dem echtes Justizpersonal ein fiktives Drama verhandelt. Ausgedacht haben es sich der Schweizer Performancekünstler Yan Duyvendak und der katalanische Regisseur Roger Bernat. Seit 2011 war ihre Vorstellung in sieben Ländern zu erleben, zuletzt bei den Wiener Festwochen und den Braunschweiger Theaterformen. Jetzt wird die Causa Hamlet beim Festival Foreign Affairs im Haus der Berliner Festspiele neu aufgerollt (30. Juni/1. Juli, 19 Uhr). Die juristische Besetzung wechselt in jeder Stadt, Hamlet sowie die Zeugen Gertrud und Ophelia werden von Schauspielern verkörpert. Der ungewisse Ausgang des Prozesses ist Teil des Konzepts.

Guantanamo auf der Bühne

Die Idee entstand, als Yan Duyvendak im Internet auf die Protokolle der Verhandlungen in Guantanamo stieß, die er „Parodie auf ein Gericht“ nennt. „Please, Continue“, forderten die Militärrichter mantramäßig die schweigenden Angeklagten auf. Duyvendak und Bernat haben versucht, Guantanamo dokumentarisch auf die Bühne zu bringen. Es funktionierte nicht. So verfielen sie darauf, mithilfe der Fiktion die Abläufe der Justizmaschinerie „wie unter dem Vergrößerungsglas“ sichtbar zu machen.

Freilich gibt es gravierende Unterschiede zwischen Theater- und Gerichtssaal. Richter Dieckmann, der im dritten Stock des labyrinthischen Gebäudes an der Turmstraße sein Zimmer hat, kennt sich in beiden Welten aus. Zum einen sitzt er bereits seit 24 Jahren Schwurgerichtsverfahren und Jugendstrafprozessen vor. Zum anderen bezeichnet er sich als „intensiven Theatergänger“. Und schiebt gleich nach, dass er „Hamlet“ für „eins der wirrsten Stücke von Shakespeare“ hält: „Am Ende sind alle tot, der Rest ist Schweigen“.

Dieckmann wirkt besonnen, klug und erfahren. Einer, der dem Laien geduldig die Vorurteile und Illusionen nimmt, die über sein Metier kursieren. Die vor allem befeuert sind von medienwirksamen Mordprozessen aus den USA und Hollywood-Dramen voller flammender Plädoyers. Dieckmann hat selbst als Anwalt begonnen. Es war nichts für ihn, „dieses Streiten und parteiisch sein, auch gegen die eigene Überzeugung arbeiten zu müssen“. Dazu die haltlosen Erwartungen von Mandanten, die sich eine spektakuläre Prozesswende erhoffen. „Gerichtsverhandlungen in Deutschland sind eher langweilig“, betont der Richter. „Selbst wenn es um Tötungsdelikte geht“. Im Wesentlichen bestünden sie aus „Reproduktion des Akteninhalts“.

Im Zweifel für den Angeklagten - das gilt auch im Theater

Eine Ermittlungsakte liegt auch „Please, Continue (Hamlet)“ zugrunde. Duyvendak und Bernat haben einen tatsächlichen Mordfall mit dem Shakespeare-Stoff verschnitten – und ins prekäre Milieu einer Großstadtperipherie verlegt. Die Parallelen zwischen Königshof und Gegenwart: „Die Leute arbeiten nicht, regeln alles unter sich und beziehen Geld vom Staat", so Duyvendak. Wie der Hartz-IV-Hamlet auf einer Hochzeit zum Messer gegriffen hat, wird auf 58 Seiten ausgebreitet.

In der ersten Fassung, die auf Dieckmanns Tisch landete, hätte die Akte nie Bestand vor einem echten Schwurgericht gehabt. „Unter anderem war der Beschuldigte Hamlet nie als Beschuldigter belehrt worden.“ In der Realität würde ein solcher Prozess auch nicht in drei Stunden über die Bühne gehen. „Selbst eindeutige Fälle mit voll geständigen Angeklagten nähmen mindestens zwei Verhandlungstage in Anspruch“, erklärt der Richter. So viel Zeit hat der durchschnittliche Theatergänger nicht. Dem Berufsalltag des Amtsgerichts entspricht dagegen, dass über Hamlet im Vorfeld ein vorläufiges psychiatrisches Gutachten erstellt wurde. Durch den Berliner Sachverständigen Dr. Frank Wendt vom Institut für forensische Psychiatrie an der Charité.

Stand Hamlet zum Tatzeitpunkt unter Alkoholeinfluss?

Dieckmann kennt ihn aus vielen Verfahren. Er nimmt das Schriftstück zur Hand und zitiert. Dürfte er normalerweise nicht, aber die Kunst erlaubt Ausnahmen. „Hamlet wird eine Anpassungsstörung attestiert, aber keine realitätsverzerrte, handlungsleitende Fehlwahrnehmung.“ Dabei sieht der Mann doch Geister! „Keine generelle Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens.“ Zu klären wird sein, ob Hamlet zum Zeitpunkt der Tat unter Alkoholeinfluss stand.

In dubio pro reo. Das ist ein Grundsatz, an den Dieckmann glaubt. Auch wenn daraus die verstörende Feststellung folgt: „Von der Rechtsordnung gewünscht sind eine Vielzahl von Fehlurteilen.“ Wenn die Beweislage nicht ausreicht, gibt es keine Verurteilung. Tatsächlich kommt das kaum vor. Zwischen 80 und 120 Fälle verhandelt Dieckmann pro Jahr in der Jugendkammer. Manchmal ohne einen einzigen Freispruch. Was nicht bedeutet, dass ihm die Fälle kein Kopfzerbrechen bereiten würden. Nebenbei erzählt er von halb durchwachten Nächten mit der bohrenden Frage, wie allen gerecht zu werden sei. Vom Schmerz, der im Saal ist, wenn ein Mensch getötet wurde. Es spielen sich durchaus Dramen ab. Aber eben keine spektakulären Szenen.

„Please, Continue (Hamlet)“ stellt unsere Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit auf den Prüfstand. Das Projekt führt ein System vor, das keine exakte, sondern eine menschliche Wissenschaft ist. Das muss man aushalten. Dieckmann fällt dazu das Bonmot eines Gerichtsmediziners ein: „Wenn auf jedem Grab, das einen unentdeckten Mord birgt, eine Kerze brennen würde, wären die Friedhöfe die hellsten Plätze in der Nacht.“

Foreign Affairs ist ein internationales Festival zeitgenössischer performativer Künste in Berlin. Vom 26. Juni bis 13. Juli 2014 findet es zum dritten Mal im Haus der Berliner Festspiele und an weiteren Orten in ganz Berlin statt. Das gesamte Programm finden Sie hier.

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