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Kultur: Plüschgewitter

Richard Dressers „Augusta“ in der Berliner Schaubühne

Molly und Claire sind ein Team, Molly (Steffi Kühnert) ist die Teamleiterin. Ihre Reinigungsfirma gibt den Kunden die „Goldene Garantie“, dass alle Fußböden auf Knien gewienert werden. Weil Mollys krummgearbeiteter Rücken das nicht aushält, sind es die Knie der neuen Azubine Claire (mit Klebetattoos: Daniela Holtz), die beim Parkettpolieren in Mrs. Townsends Villa stimmungsvoll knacken.

Ist alles ziemlich prekär in Richard Dressers Dreipersonenstück „Augusta“, das unter Regie von Rafael Sanchez im Berliner Schaubühnen-Studio uraufgeführt wurde: Claire bekommt weniger als den Mindestlohn, Molly müsste ohne ihre Teamleiterinnenprämie mit ihrem Mann und dessen Rollstuhl ins Auto ziehen. Und dann ist da auch noch der neue Chef, der die beiden gegeneinander ausspielt. Jimmy (Bruno Cathomas) hat einen Autoritätskomplex, einen Mutterkomplex und einen Modekomplex, hinterlässt eine stete Spur aus benutzten Papiertaschentüchern und ist ansonsten damit beschäftigt, seine Garderobe zu wechseln, Claire anzubaggern und Weisheiten abzusondern: „Wollen Sie der sein, der sagt: Ich nehm gemahlene Nüsse auf mein Eis, oder der, der fragt: Mein Herr, wünschen Sie gemahlene Nüsse?“

Am Ende ist es die Solidarität der Unterdrückten und ein Kunstgriff der patenten Molly, nämlich der in den Besteckkasten der Kundin, der – hokuspokus – alles gut werden lässt: Die alte reiche Dame verkauft das Haus, in dem sie so unglücklich ist. Claire wird ihren kriegsgeschädigten Couchpotatoe-Freund los. Molly wird wieder Teamleiterin, denn der neue Chef ist der alte und obendrein ihr Geliebter. Und Jimmy? Wird versetzt. Die Karawane zieht weiter. (Auf einem Regal über Magda Willis und Jan Pappelbaums Bühne reiht sich von links nach rechts eine luxuskitschige Porzellanelefantenherde. Sind sie das, die mobilen Arbeitnehmer von heute?)

Es bleibt der Gedanke: Da wurde etwas verschenkt. Denn auch wenn Dressers Happy End so konstruiert wie naiv ist – es sind allesamt randvolle politische Fässer, die „Augusta“ aufmacht: Raubtierkapitalismus, Arbeitnehmerrechte, soziale Sicherheit, sogar Krieg und Folter. Ganz schön aktuell – wenn auch ganz schön viel auf einmal. Sanchez allerdings lässt die Themen lediglich ansprechen, inszenatorisch ignoriert er sie.

Stattdessen gibt es Entertainment im weltfernen Komödienraum. Nicht, dass das keinen Spaß machen würde. Die meisten Pointen zünden in Marius von Mayenburgs Übersetzung des amerikanischen Originaltextes, hier und da gibt’s einen Extrakalauer – und eigentlich reicht die grandios lustige Anfangsszene, in der Jimmy in einer Mischung aus Stierkampf und Karate um Molly herumstolziert, schon aus, um das Stück zu empfehlen. Auch wenn derart schräge Körperexperimente später nicht mehr vorkommen. Warum eigentlich nicht?

Zum Schluss sitzt ein Rummelplatzhauptgewinnplüschbär am Bühnenrand, so fett und riesig, dass Molly und Claire, die sich in seinen Schoß schmiegen, klein wie Kinder wirken. Es ist die subversivste Stelle des Abends. Molly sagt, sie habe sich ihr „Stück vom Glück“ verdient, man müsse sich eben selbst kümmern, was habe man zu verlieren. Das Schmusemonster entlarvt das zahnlose Mutmachpathos, endlich einmal tritt Sanchez einen Schritt vom Text zurück. Ins Hier und Jetzt holen ihn erst Jan Pappelbaums Dokumentarvideos über Putzkolonnen in Deutschland, die nach dem Stück im Schaubühnen-Café laufen. Ton- und kommentarlos, leider.

Wieder am 22., 29. und 30. April

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