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Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki.

© Marta Sputowska

Poesie aus Polen: Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki: Gesänge von der Grenze

Literaturfestival Berlin: Eine Begegnung mit dem polnischen Dichter Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki.

Er weiß, dass sein Nachname („Tkatschischin-Ditzki“) für Ausländer so gut wie unaussprechlich ist. Doch der erste, phonetisch besonders eindrucksvolle Namensbestandteil des polnischen Lyrikers Eugeniusz Tkaczyszyn-Dycki stammt von seinem ukrainischen Vater und irritiert sogar Muttersprachler. Er selbst taucht in seinem mittlerweile elfbändigen Werk häufig in der Koseform „Dycio“ auf. Und wer ihn trifft, darf ihn mit „Dycki“ ansprechen. Erklärt er zuvorkommend. Überhaupt ist der scheue Mann im grauen Kapuzenpullover ausgesprochen höflich. Seine Lesungen genießen Kultstatus in Polen; er trägt seine Balladen im eindringlichen Flüsterton vor, außerdem steht er meist gebückt da, im Ausfallschritt, Fluchtbereitschaft signalisierend.

Interviews gibt Dycki so gut wie gar nicht, jedenfalls nicht der heimischen Presse. Nur im Ausland scheint er sich etwas zu entspannen, etwa auf der Leipziger Buchmesse vor drei Jahren, als ihn seine Übersetzerin Doreen Daume begleitete. Ursprünglich hatte die Tochter des Sportfunktionärs Willi Daume, eine gelernte Konzertpianistin, nur Polnisch gelernt, um ihre Danziger Schwiegermutter besser zu verstehen. Doch dann wurde sie zu einer der bedeutendsten Übersetzerinnen aus dem Polnischen. Im Sommer 2013 starb sie in ihrer Wahlheimat Wien. „Über Dyckis Person zu sprechen, ist über seine Poesie zu sprechen, denn seine Person ist seine Poesie“, schrieb Doreen Daume über den von ihr übersetzten Band „Geschichte polnischer Familien“, womit erstmals etwas von Tkaczyszyn-Dyckis poetischem „gestank und glanz“ ins Deutsche geriet, dabei hatte er bereits 2007 den Hubert-Burda-Preis für junge osteuropäische Lyrik erhalten. 2009 folgte der Nike-Preis, Polens wichtigste Literaturauszeichnung.

Archaische Worte einer fast vergessenen Sprache

Bei dem 1962 in Wódka Krowicka am Fuße der Karpaten geborenen Dycki handelt es sich um einen echten poète maudit im Sinn Verlaines. Die Toten und Kranken seiner Familiengeschichte trägt er mit sich: „Bei den Dyckis sterben sie häufiger, viel häufiger als anderswo“. „Mein Freund ist krank“ oder „Mein Freund ist tot“ lautet ein wiederkehrender Gedichteinstieg, auch im aktuellen Band „Tumor linguae“, der wiederum in der Wiener Edition Korrespondenzen erschienen ist (aus dem Polnischen von Michael Zgodzay und Uljana Wolf, 224 S., 22 €).

Bis zu seinem 15. Lebensjahr sprach er nur Chachlackisch und war dadurch ein Außenseiter, ebenso wie durch seine Homosexualität. In dem aussterbenden polnisch-ukrainischen Grenzdialekt existieren noch archaische Worte wie „bałabuch“ (etwa: Pferdedecke), die Eingang in seine Gedichte finden. Fast handelt es sich um eine poetische Geheimsprache. „Jemanden als Chachlacken zu bezeichnen, galt als Beschimpfung“, erklärt Dycki. „Dadurch entstand das Dilemma, dass sich die Chachlacken weder mit den Russen noch den Ukrainern identifizieren konnten.“ Dycki versteht sich als eine Art Sänger des Grenzlandes, der die polnische Sehnsucht nach den seit 1945 verlorenen Ostgebieten in der heutigen Ukraine intoniert. Sein Heimatort, die „winzige grenzstadt“, in der sich „frau tod gern montags am markttag“ zeigt, wie es in „LXI. Wochenbeginn“ heißt, wurde 1944 von der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) zerstört, die Bewohner mussten unter Lebensgefahr fliehen. Im sozialistischen Polen gehörte der wiederaufgebaute Ort zur Wojwodschaft Przemyśl, die wiederum 1999 aufgelöst wurde – Zerfall überall.

Gedichte zur Verteidigung der Mutter

„Selbst die Träume erreichen uns beschädigt jenseits der Landesgrenzen“, räsoniert Dyckis lyrisches Ich in den mit römischen Ziffern nummerierten Balladen und Sonetten. Nicht von ungefähr gehört der Autor, der mittlerweile in Warschau lebt, zu den Mitbegründen der literarischen Gruppe „Kresy“ (Grenzland). Im „Lied von den Kataklysmen“ aus dem Band „Geschichte polnischer Familien“ heißt es: „das Inhaltsverzeichnis und der runde Stempel ‚Bibliothek der Tkaczyszyn-Dyckis aus Wólka Krowicka, die auch / ganz besonders dem Tod unterliegen seit / sich die Grenzen der Staaten der Kreise ändern / gerade wird (abgesehen vom Spinnweb im / feuchten Eck) die Woiwodschaft Przemyśl liquidiert“.

Als Jugendlicher litt Dycki unter seinem tyrannischen Vater, einem polonisierten Ukrainer: „Obwohl er so ein militanter Pole war, hat er auch Chachlackisch geredet. Es war für mich ein Schock, dass er mich für das beschimpft hat, was er selber getan hat. Ich habe mich mit meinen Gedichten irgendwie zur Wehr gesetzt und damit auch meine Mutter verteidigt.“ Mit ihr hat es eine besondere poetologische Bewandtnis: Mit der Zeile „im Nebenzimmer stirbt meine Mutter“ als Auftakt erinnert er sich an die Wahnbilder in ihrem Verdämmern.

Doch stets bleibt etwas Elegant-Ironisches, verstärkt durch die balladeske Wiederholung. Das macht Dyckis düstere Sujets erträglich, ja genießbar. Diese Distanz bewirkt eine Abfederung – ganz so, wie Polens rätselhaftester Gegenwartsdichter auf der Bühne im Ausfallschritt verharrt.

Tkaczyszyn-Dycki liest am Samstag, 12.9., um 21 Uhr in der Poetry Night III des ILB (Haus der Berliner Festspiele)

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