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Kultur: Poet des Alltags

Dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase zum 80.

Er sollte sich Kennedys Satz ausleihen. Niemand unter den heute Lebenden dürfte ihn mit größerem Recht sprechen: Ich bin ein Berliner!

Und einer der größten deutschen Drehbuchautoren, wenn nicht der größte. Viele der Filme, die er schrieb, spielen in Berlin. Und nie bekam die Stadt eine Statistenrolle, Kohlhaase wusste, dass sie eine geborene Hauptdarstellerin war. Das begann spätestens 1954 mit Gerhard Kleins „Alarm im Zirkus“, gefolgt von „Eine Berliner Romanze“, lief auf „Berlin um die Ecke“ und Konrad Wolfs „Solo Sunny“ 1980 zu und hört mit Dresens „Sommer vorm Balkon“ bestimmt nicht auf.

Das Drehbücherschreiben in Berlin ist Kohlhaase zufolge denkbar einfach: „Die Geschichten liegen auf der Straße.“ Nur das Aufheben bereite manchmal ein wenig Mühe. Die Tonlage gibt der Fundort vor: lakonisch alltäglich. Auch sollte ein Drehbuchschreiber nie vergessen, was er in den ersten zehn Jahren vom Küchenfenster aus gesehen hatte.

Das Küchenfenster seiner Kindheit war in Adlershof und es ist nicht überliefert, ob der 14-jährige Sohn eines Maschinenschlossers da rausgucken durfte, als die Russen kamen. Im prägsamsten Alter wankte unter seiner Generation der Boden der Wirklichkeit. Die Welt lag in Trümmern, die Welt Berlin. Eben noch hatte er Veit Harlans „Kolberg“ im Kino gesehen, jetzt liefen „Die Kinder des Olymp“. Wie relativ ist doch das Absolute!, erfuhr das Arbeiterkind und wollte Geschichtenaufheber fürs neue Kino werden.

Mit 16 Jahren bewarb er sich bei sämtlichen Berliner Zeitungen. Rudolf Herrnstadts „Berliner Verlag“ nahm ihn. Von Westemigranten bis zum vormaligen KZ-Häftling waren dort alle links, aber noch ohne DDR-Tunnelblick. Das prägte. Mit 20 Jahren leitete er die Kulturredaktion der „Jungen Welt“, als die DDR begann, ihn mit der DDR-spezifischen geistigen Anmutlosigkeit zu bedrängen.

Muss ein freier Berliner, um frei zu bleiben, Westberliner werden? Wolfgang Kohlhaase wurde freier Autor. Und das ist er nun schon seit fast sechzig Jahren. Seine Dialoge sind oft komisch, auch böse, auch melancholisch, poetisches Oszillieren an den Rändern durchaus beabsichtigt – aber das alles auf der Grundlage größtmöglicher Lakonie. Der Alltag und Wolfgang Kohlhaase machen nie (zu) viele Worte. Heute wird er 80 Jahre alt. Im Mai hat sein nächster Film Premiere, „I Phone Y(o)u“. Kerstin Decker

Das Babylon (Mitte) zeigt ab heutigen Sonntag eine Reihe mit Kohlhaases Filmen (www.babylonberlin.de).

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