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Poetry Slam: Ribéry der Reime

Frankreichs größter Slam-Poet Grand Corps Malade tritt im Admiralspalast auf. Eine Begegnung.

Eigentlich wollte Fabien Marsaud Sportlehrer werden. Dann sprang er als 19-Jähriger in ein zu flaches Schwimmbecken. Die Ärzte vermuteten, dass er nie wieder würde gehen können. Heute ist er 33 und Frankreichs bekanntester Slam-Poet. Sein Name: Grand Corps Malade – Großer Kranker Körper. Sein Markenzeichen: eine Silhouette mit Krücke. Seit seinem ersten Auftritt 2003 in einer kleinen Pariser Bar stand er rund 250 Mal auf der Bühne. Er verkaufte 600 000 Exemplare seiner zwei Alben „Midi 20“ (Null Uhr zwanzig) und „Enfant de la ville“ (Stadtkind), gewann Goldene Schallplatten und andere Preise. Und er lernte wieder laufen, humpelnd, mit Gehhilfe. Wenn er auf der Bühne steht, wie am heutigen Dienstag im Berliner Admiralspalast, hält er sich daran fest – und spricht mit sonorer Stimme.

„Ich komme aus einer Kultur der Mündlichkeit. Wenn ich dir ein Gedicht auf einen Zettel schreibe, dann ist das kein Slam, sondern Lyrik. Der Slam ist erst Slam, wenn er gesprochen wird. Drei bis fünf Minuten, a capella, live.“ Grand Corps Malade schmeißt seine Krücke auf das Sofa. Er ist groß, hat einen angenehmen Bass und erklärt, wie es dazu kam, dass ein Junge aus der Banlieue, einer von denen, die Nicolas Sarkozy als Präsidentschaftskandidat „Gesocks“ nannte, als der Retter des französischen Slam gilt. Besser: als derjenige, der die Demokratie in eine Kunstform goss, die in den 1980ern in den USA entstand und vor gut zehn Jahren in Frankreich populär wurde.

„Slam ist ein Moment der Begegnung, in dem alles möglich ist“, sagt Malade. „Einige schreiben in Reimen, andere Prosa, einige flüstern, andere schreien, einige regen sich auf, andere suchen die blaue Blume. Der Slam ist ein Moment der Ausdrucksfreiheit.“ Genau das habe er in der Schule vermisst, das Selberschreiben, dort war das Auswendiglernen die einzige Beschäftigung mit der Schönheit der Sprache. „Ich habe gar nichts gegen die Klassiker“, beschwichtigt er, „aber mich hat vor allem das gesprochene Chanson beeinflusst: Jacques Brel, Georges Brassens, Barbara, Renaud, sie gelten bei uns als Institutionen.“

Daher bringt Malade jetzt die Verse ans Volk, hat 2005 die Stiftung „Flow d’encre“ gegründet – „Schreib-Flow“. Er unterrichtet in Altersheimen, Gefängnissen, Krankenhäusern und vor allem an Schulen. „Wenn man mit den Wörtern spielt, fängt man an, sie zu lieben, sie sich anzueignen.“

Eigentlich ist Malade also doch Lehrer geworden. Das Thema Bildung liegt ihm am Herzen, es zieht sich durch seine Texte. In seinem Rap „Education Nationale“ über die Zusammenhänge von Herkunft und Bildung leiht er einem fiktiven Kind der Vororte seine Stimme: „Nur weil ich hier herkomme, ist meine Zukunft eine Sackgasse.“ Grand Corps Malade ist dabei nie aggressiv, seine Texte sind deutlich, manchmal repetitiv. Er ist ein Lehrer, der etwas weiß, aber nichts besser weiß: „Chancengleichheit ist nur ein Konzept auf dem Papier“, sagt er.

Grand Corps Malade hat es sich zum Prinzip gemacht, nur über die Dinge zu sprechen, von denen er Ahnung hat. Etwa über sein Viertel St. Denis, das er in einer Hymne besingt und das er gegen alle Schwarzmaler verteidigt. Er liebt den Kosmopolitismus, die Kultur der Offenheit, „die 100 000 Gesichter“, den Markt, auf dem man kulinarisch von Tanger über Lissabon nach Karatschi reisen kann. Sein erster Text, den er mit 14 Jahren schrieb, war noch etwas plakativer, gegen die rechtspopulistische Partei Front Nationale gerichtet. „Nicht sehr originell,“ sagt er und verzieht das Gesicht. Er selbst ist Gründungsmitglied einer Gruppe, die das Gegenteil einer ausländerfeindlichen politischen Gruppierung darstellt: „Le Cercle des Poètes sans Instru“ – der Club der Bildungsfernen Dichter.

Nun ist er im System angekommen. Statt zu slammen, macht er Shows, seine Texte sind mit Soundteppichen des Komponisten Petit Nico unterlegt. Man wünscht ihm, dass er sich den Kontakt zur Szene bewahrt, dass er das, was er „slam à la base“ nennt, nicht verliert. Wenn er im Admiralspalast auf den deutschen Slammer Bas Böttcher trifft, wird das wohl eher ein „klassisches Konzert“, vermutet Grand Corps Malade. „Konzerte gewinnt man nicht, aber man muss das Maximum geben.“ Und das ist dann doch wie beim Slam – oder sogar wie beim Sport. Nikola Richter

Grand Corps Malade und Bas Böttcher, 26. 1., Admiralspalast, 20 Uhr

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