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Kultur: Polens Paranoia

Rappen für den Unfrieden: Die Jungautorin Dorota Maslowska irritiert mit „Die Reiherkönigin“

Schlechte Literatur für schlechte Zeiten, so lautet das Programm von Dorota Maslowskas Rap-Roman „Die Reiherkönigin“. Schiefe Bilder, deplatzierte Reime und grammatikalische Fehler – dieses Buch hat nichts von der feinen Boshaftigkeit, die ihren ersten Roman „Schneeweiß und Russenrot“ zu einem so aufregenden Debüt gemacht hatte. Mit 18 Jahren neben den Vorbereitungen zum Abitur geschrieben, wurde sie damit zum Wunderkind der polnischen Literatur. Es gab Vergleiche mit Jonathan Safran Foer oder J. D. Salinger – aber auch harsche Kritik. Der rauschhafte Monolog des Erzählers Andrzej, der brutale Jugendslang und die Paranoia des postkommunistischen Polen, zwischen russischer Mafia und westlichem Kapitalismus eingeklemmt zu sein – das war für viele keine Literatur, sondern Jugendgefährdung.

„Die Reiherkönigin“, ihr zweiter Roman, ist eine Mediensatire. Der Rockstar Stan Retro, Zögling des skrupellosen Managers Rybaczko, befindet sich auf dem absteigenden Ast. Die Freundin verlässt ihn, jemand streut Gerüchte über seine angebliche Homosexualität, und sein Manager hat ein neues Projekt. Promo-Idee: Die Bandmitglieder simulieren epileptische Anfälle. Den Leuten gefällt’s, bis die Konkurrenzformation namens The Kuddels mit dem Hit „Sei du selbst, denke nichts“ ihnen den Rang abläuft. Die nämlich überraschen auf der Bühne mit Harn- und Stuhlinkontinenz. Maslowskas unverblümte Botschaft: Die Kulturindustrie produziert nur Dreck, und die Leute wollen das.

Also stimmt Maslowska in den fäkalen Chor ein – und zwar in der traditionell dem Schimpfen am nächsten stehenden literarischen Form: Ihr Rap ist ein Fließtext mit Binnenreimen, der zwar rhythmisiert, aber keineswegs rhythmisch ist. Im Gegenteil: Er läuft ziemlich unrund. Auch das gehört zum Programm, das in postmoderner Metatextualität ausgeplaudert wird: „Da ist von Literatur doch keine Spur“, höhnt sie. Schließlich will sie sich „an die Bedürfnisse mehr oder weniger völlig unintelligenter Personen“ anpassen, ein „Behindertenfahrstuhl fürs Gehirn“ sein. Maslowska greift die Sprache des Boulevard auf, um sich an medial verdummte Menschen zu richten.

Hat man diese Sprachbarriere erst mal überwunden und sich eingelesen, entwickelt das einige Komik. Die Satire ist böse, wirkt aber oft sehr plump („Yo Mann, meinst du, ich bin blind für die Scheiße und weiß nicht was abgeht in unserem Staat?“). Das wirft die Frage auf: Wird hier die Banalität des Boulevards persifliert – oder ist das ernst gemeint?

Beantworten lässt sich das nicht, weil die Erzählung ein Verwirrspiel um Maslowskas Autorschaft inszeniert: Als der Manager Rybaczko erkennt, dass sich die Radikalität der „kreativen Inkontinenz“ nicht mehr steigern lässt, plant er eine Rückkehr zum Guten, zu Wert und Wahrheit. Er engagiert die hässliche Patricia Pitz für einen gesellschaftskritischen Rap. Rybaczko schreibt die Texte und verpflichtet die als kritisch bekannte Dorota Maslowska als Namensgeberin, um die dem Mainstream abgewandten Käufer zu erreichen. Dieser Rap ist das Buch selbst: „Die Reiherkönigin“.

Das irritiert: Wenn auch die Kritik von der Kulturindustrie inszeniert wird, ist sie dann noch Kritik? Und verbleibt da ein Außerhalb der Kulturindustrie? Den Leser verstrickt das in einen endlosen Regress, in dem die Intention der Autorin verschwindet. Wer spricht? Was ist Kritik und was hat nur den Anschein davon? Eine Antwort gibt es nicht. Der Nike-Literaturpreis jedenfalls, mit dem „Die Reiherkönigin“ ausgezeichnet wurde, ist von Polens größter Tageszeitung gestiftet, der „Gazeta Wyborcza“. Da fügt es sich gut ins ohnehin schon verworrene Bild, dass diese im Roman für mediale Verdummung steht. Aber besser noch, dass eine ihrer Autorinnen in Wirklichkeit Dorota Maslowska heißt.

Dorota Maslowska: Die Reiherkönigin. Ein Rap. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007. 170 Seiten, 9,95 €. Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Mit Illustrationen von Maciej Sienczyk. – Die Autorin stellt ihr Buch mit ihrem Übersetzer heute Abend um 20 Uhr im Literarischen Colloquium, Wannsee, vor.

Jean-Michel Berg

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