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Kultur: Polit-Theater: Wahlkampf aus der Innerseele

Das Maxim Gorki Theater untersucht in seiner neuen Produktion ein bizarres Sozialbiotop mit ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten: die politische Klasse. Drei Damen und vier Herren in schwarzen Anzügen und gedecktem Business-Kostümen führen in 36 Lektionen vor, wie das politische Geschäft funktioniert: als leerlaufende Mechanik der Macht, der die Themen und Inhalte längst abhanden gekommen sind.

Das Maxim Gorki Theater untersucht in seiner neuen Produktion ein bizarres Sozialbiotop mit ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten: die politische Klasse. Drei Damen und vier Herren in schwarzen Anzügen und gedecktem Business-Kostümen führen in 36 Lektionen vor, wie das politische Geschäft funktioniert: als leerlaufende Mechanik der Macht, der die Themen und Inhalte längst abhanden gekommen sind. Als endlos im Kreis gehendes Wettrennen, als fein austariertes Ritual der Drohungen und Versprechungen, als permanente Inszenierung der öffentlich gewordenen Person.

Regisseur Stefan Müller und sein Autor Hajo Kurzenberger haben für ihre empirische Sozialforschung Herlinde Koelbls Dokumentarfilm "Spuren der Macht" geplündert und verwandeln die Selbstauskünfte von Gerhard Schröder, Joschka Fischer oder Angela Merkel in nicht uncharmantes Kabarett - das leider deutlich hinter der reflexiven Schärfe von Koelbls Film zurückbleibt. Im Gegensatz zur geduldig beobachtenden Dokumentarfilmerin setzen die Theaterleute auf Pointen und satirisch gemeinte Klischees vom eitlen, machtgierigen Politiker: Im Gegensatz zu Koelbl nehme sie ihre Figuren nicht ernst.

Der Abend beginnt mit einem Seminar für Führungskräfte. Trainiert wird das sichere Auftreten ("Sie müssen mit Ihren Brustwarzen lächeln") und die mentale Panzerung: "Vielfältige Abschiede von der Kindheit" sind die Voraussetzungen des "gehärteten Subjekts". Der "machtdarstellende Mensch" hat mit aller "funktional notwendigen Grausamkeit" gelernt, "Menschen als Mittel anzuerkennen und zu benutzen". Man sitzt an einem Konferenztisch, man trainiert Interviews ("Was ist Ihre deutsche Leitkultur?" - "Meine Liebe zur Kartoffelsuppe"), man variiert politische Verlautbarungsfloskeln: "Deshalb haben wir ganz bewusst die Forderung gestellt ... wir müssen zeitnah ... es ist für uns vollkommen unstrittig ..."

Später werden der mentale Preis und die Überlebensstrategien vorgeführt, mit denen jeder dieser Politik-Darsteller in seinem Beruf umgehen muss. Das klingt dann in der Klage einer Spitzenpolitikerin so: "Für das eigene Ego einen innerseelischen Wahlkampf führen - und zwar täglich." Weil es in dieser Welt der Parteizentralen, Pressekonferenzen und Vorstandssitzungen um die Mechanik der Machtausübung geht, um die eingespielten Funktionsabläufe und nicht um austauschbare politische Ziele, macht die Aufführung keine Unterschiede zwischen den Parteien. Merkel, Schröder, Kohl, Fischer - alles gleich graue Funktionsträger. Und weil es der Aufführung nicht um Menschen, sondern höchstens um Charaktermasken geht, zitiert jeder der Schauspieler Statements und Habitus unterschiedlichster Politik-Darsteller.

Ab und zu ist das hübsch komisch, etwa wenn ein Joschka-Fischer-Double den Text des "Street Fighting Man" der Rolling Stones als sorgenzerknirscht pathetische Parteitagsrede zum Besten gibt. Aber oft bleibt die Aufführung in gefälligem Hohn stecken. Die Körpermetaphern, mit denen der Regisseur politische Konkurrenzkämpfe abbilden will, sind so lustig und erkenntnisstiftend wie eine Wahlrede: Es wird kollektiv im Kreis gerannt und einander ein Bein gestellt, es wird marschiert oder im Gänsemarsch gewatschelt. Und als einem Spitzenpolitiker die Nerven versagen, muss das ein bedauernswerter Schauspieler mit gymnastisch vorgeturntem Kontrollverlust illustrieren: Seine Beine verknoten sich oder rutschen weg, sein Unterleib zappelt konfus, während er sich am Rednerpult festzuhalten versucht.

Nun ja, eine erschütternde Kritik an der parlamentarischen Demokratie kann man in solchen Harmlosigkeiten nicht unbedingt erkennen. Unangenehmer ist es, dass der Text eines weit intelligenteren Beobachters des politischen Funktionssystems von dieser naiven Inszenierung zu Kabarett geschrumpft wird: Ulrich Anschütz gibt einen aufgeplusterten Politikberater, der ausgerechnet Niklas Luhmann zitiert, um so den Soziologen etwas konfus zu denunzieren. Das ist umso unangemessener, als Luhmann (etwa in "Politik der Gesellschaft") gerade gelungen ist, woran sich diese Inszenierung vergeblich und hilflos abmüht: eine Funktionsanalyse des selbstreferentiellen Systems des politischen Apparates.

Der Humor dieser Veranstaltung ist gefällig und selbstgefällig, ihre reflexive Kraft bleibt armselig, ihre Beobachtung erschöpft sich im Klischee.

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