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Kultur: Politiker und Kritiker definieren die "Junge Kultur in Berlin" - in Abwesenheit derselbigen

Wenn der entfernte Onkel zu Besuch kommt, bringt er ein paar Lutscher mit. Die Brut steckt ihm hinterrücks die Zunge raus, und alle sind glücklich, wenn sich die Familienfeier auflöst.

Wenn der entfernte Onkel zu Besuch kommt, bringt er ein paar Lutscher mit. Die Brut steckt ihm hinterrücks die Zunge raus, und alle sind glücklich, wenn sich die Familienfeier auflöst. Liebe heucheln, Mord denken. So erging es auch manchem nach der zweiten Hauptstadtkultur-Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung: Man hatte zur Diskussion über "Junge Kultur in Berlin" gerufen, und dort saßen Kultursenator Radunski und die Riege der Parteifunktionäre, die zu solchen Veranstaltungen immer zusammengetrommelt wird: Monika Grütters, Sprecherin des Vorstands der Stiftung Brandenburger Tor, Norbert Lammert, kulturpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und ein beschlipster Mitarbeiter des Bundestags, Wahlkreis Hildesheim, der es schön findet, dass die jungen Leute in Berlin so viele Lebensstile hätten.

Neuerdigs gehört auch Marc Wohlrabe dazu, Wahlkampfberater für Eberhard Diepgen. Und wenn es um Berliner Kultur geht ist Klaus Siebenhaar, Professor für Kultur- und Medienmanagement, nicht weit. Und all die anderen renommierten "Kulturvermittler", die mittlerweile prima von der Kunst leben, die andere erschaffen. Nur die Hauptdarsteller blieben weg. Von denen, die in halbverfallenen Friedrichshainer Altbau-Wohnungen halblegale Bars eröffneten oder sich mit Kunstprojekten für ein paar Monate selbst verwirklichten, war keiner gekommen. Das sagte mehr aus über "junge Kultur" in Berlin als alle Worte: Lieber bleiben sie unter sich, als Touristen oder gar Kulturpolitiker hereinzulassen. Lieber leben sie mit wenig als die Dame vom Kulturamt um Subventionen anzubetteln. Das macht sie unheimlich und unheimlich attraktiv - und wer glaubt, sie gerade eingefangen zu haben, dem sind sie längst wieder entwischt - in einer Szene, in der auch 71-jährige junge Kunst machen, nur, weil man sie in alten Abbruchhäusern ausstellt.

Dieses war vielleicht das größte Missverständnis auf der Hauptstadtkultur-Konferenz, dass junge Kultur und Jugendkultur von den Organisatoren der Konrad-Adenauer Stiftung in einen Topf geworfen wurden. So purzelten die Phrasen in den drei Podien "Junge Kultur und Jugendkultur", "Junge Kulturmacher und Kulturvermittler" und "Junge Kulturschaffende" gehörig durcheinander. "Der Jugend fehlt ein einigendes Band", sagte Organisator Hans-Jörg Clement. "Junge Kunst muß sich professionalisieren", forderte Lammert. "Jungendkultur wird schnell zum Jugendkult", warnte Klaus Biesenbach, der nach der Diskussion selber sprachlos war - angesichts soviel erkenntnisloser Fabuliererei. Doch im Wahlkampf spielt die Effektivität solcher Veranstaltungen wohl keine Rolle. Hauptsache, die Politiker können ihre Schoßkinder hätscheln. Nur einer streckte die Zunge raus. "Die Jugend", so Galerist Gerd Harry Lybke, "kümmert sich um sich selbst am besten." Nur müsse man erstmal jemanden finden, der sich um die Alten kümmert.

Simone Kaempf

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