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Politische Kultur: Profil statt Promis

Einmal alle vier Jahre ein Kreuzchen - das reicht nicht mehr. Von der Lust auf eine neue politische Kultur, und warum gerade die Grünen davon profitieren.

Am 30. März, das Blut der Gefallenen auf dem Schlachtfeld der Landtagswahlen war kaum erkaltet, machte der „Stern“ schon wieder business as usual. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier habe Kanzlerin Angela Merkel auf Platz 1 abgelöst, ließ das Magazin die Freunde des Tabellenwesens wissen. Um die weniger prominente „rote Laterne“ dagegen, hieß es weiter, konkurrierten der Linke Gregor Gysi und zwei FDP-Granden: stark abgestürzt Wirtschaftsminister Rainer Brüderle und leicht erholt – wovon eigentlich? – Parteichef Guido Westerwelle.

Gähn. Das soeben aktualisierte vierteljährliche Politiker-Ranking einer deutschen Illustrierten interessiert wohl nicht nur deshalb mäßig, weil sich das Wahl- und Fernsehvolk nach dem Doppel-Kraftakt vom vergangenen Wochenende eine gewisse Ermattung gönnt. Sondern weil das Politstar-Gucken außer Mode kommt – schließlich hat Deutschland soeben bei Wahlen endlich einmal ein von Inhalten bestimmtes Beben erlebt. Die BadenWürttemberger haben, unter heftigem Mitfiebern des Rests der Republik, die Atomkraft abgewählt – und rücken jene Partei an die Spitze, die seit Jahrzehnten verlässlich dagegen angetreten war. Anders gesagt: Wir Zuschauer der Politik, deren Votum als Stimmungstest der Talkshow-Telekratie oft nur dahingehend gefragt ist, welche Flatscreen-Gesichter uns gerade passen und welche nicht, setzen auf einmal dezidiert auf Programm und Profil. Und sind so unversehens selber zu Handelnden geworden.

Ob damit ein Paradigmenwechsel vom Personenkult zur ernsthaften Auseinandersetzung über politische Ziele verbunden ist? Pragmatiker bezweifeln es so beiläufig, wie Programmatiker es sich ersehnen. Zweifellos war dieser März 2011 politisch so kontrastreich wie selten. Der Rücktritt des der Lüge und des Betrugs überführten, sich als Popstar gerierenden Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg markierte seinen Beginn – womit die Republik kurz vorm kollektiven Kirresein wieder zu unveräußerlichen Selbstreinigungskräften der Demokratie zurückfand. Und er endet mit der Eroberung der Macht durch einen grünen Gymnasiallehrer namens Winfried Kretschmann, der im Augenblick des Triumphs mit beeindruckender Gelassenheit jegliches Triumphgehabe meidet.

Natürlich sucht Deutschland – oder sind es nur die deutschen Medien? – auch hier gleich wieder den Superstar. Helden scheinen immer gefragt, auch pittoreske Anti-Helden, so wie es die zottelbärtigen, im Parlament strumpfstrickenden Grünen selber mal waren. Aber die mitunter auch hämische Lust am Schillernden wirkt überholt angesichts der Aufgaben, die es gemeinsam zu lösen gilt. Und der ganz aufs Gediegene setzende Kretschmann ist der erste, der derlei Impulsen entgegenwirkt, so umsichtig übrigens, wie er sich den Weg an die Macht bahnte. Auch wer meint, der derzeitige Grünen-Erfolg sei nur mit der Atomkatastrophe in Japan zu erklären, die wegen ihres so quälenden wie langsamen Verlaufs die Partei täglich weiter festigt, macht es sich zu einfach. Vielmehr hat sich offenbar ein Politikbegriff jäh verbraucht, der sich statt an Prinzipien und Positionen allzu lange an Pfründen und Populismus orientierte.

Wofür stehen CDU und SPD? Sie haben sich in dem Maße bis zur Unkenntlichkeit angenähert, wie ihre Herkunftsmilieus an Kontur verlieren. Auf hier das Christliche, dort das Soziale, das sie durchaus kontrastierend in ihrem Anfangsbuchstaben tragen, lassen sie sich nur noch im äußersten Notfall festlegen. Vielmehr rennen sie einer so diffus wie rasant sich wandelnden Gesellschaft hinterher, in der Alt-Achtundsechziger den stramm rechten Rentner verdrängen und mittelständische Handwerker beste Geschäfte mit Solarzellendächern machen. Die Mitte, um die CDU und SPD noch vor kurzem energisch stritten, denkt plötzlich grün. Und wo steht die FDP? Egal, Hauptsache oben.

In solcher Gesellschaft fällt Profil sofort auf, es muss nicht einmal scharf sein. Kein Zufall, dass nun einzig die Grünen, die oft geradezu nervtötend auf Inhalten beharren, von der Ökologie über die Ausländer- bis zur Verkehrspolitik, nun die Ernte einfahren. Auch haben sie, von der Rotation bis zur Doppelspitze, allerhand zur Abwehr des Personenkults ausprobiert, und das macht sie heute als Partei der Inhalte doppelt glaubwürdig. Dass ihnen mit Joschka Fischer einst ein politisches Genie unterlaufen ist, nunja, selbst das geschah zu ihrem historischen Segen. Schließlich hat er vor Jahren sogar seine Parteifeinde außenpolitisch in die Wählbarkeit hineingezwungen.

Und wenn die Bürger heute gar grüner denken als die Grünen, die selbst längst zur Altpartei geworden sind? Die immer beliebteren Volksabstimmungen zeugen von der wachsenden Lust auf Basisdemokratie – und davon, dass das Volk dem bloßen Blankoscheck von Wahl zu Wahl immer tiefer misstraut. Schließlich hat nicht nur die Haltung zur Atomkraft, sondern auch zu „Stuttgart 21“ die Wahl in Baden-Württemberg entschieden. Wenn nun Winfried Kretschmann bereits einen Volksentscheid darüber in Aussicht stellt, klingt das insofern revolutionär, als es die in der Bundesrepublik geläufigen Repräsentativ-Regularien in Frage stellt. Den Versuch aber ist es wert. Zumal auch hierbei – für den Augenblick – gesellschaftliche Tendenzen mit grünen Strukturen harmonieren.

Haltung statt Haltungsnoten: Wenn die Politik ihre Barometer künftig stärker darauf ausrichten sollte, so wäre das ein Gewinn für die gesellschaftliche Kultur insgesamt, egal, wer am Ende am meisten davon profitiert. Der passende Typus immerhin ist schon mal gefragt – neben Kretschmann etwa Olaf Scholz und Thomas de Maizière. Nicht dass sie das Rampenlicht scheuen, aber der Job als Rampensau, wie man beim Theater sagt, steht ihnen nicht. So wenig übrigens wie Frank-Walter Steinmeier. Auch er weiß, wenn er seiner Fraktion wieder mal den brüllenden Tribunen macht: Gute Politik geht anders.

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