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Inspiration im Flieger. Hitler 1935 bei der Lektüre eines seiner auf rund 10 000 Bände geschätzten Bücher. Foto: p-a/Mary Evans Picture Library

© picture-alliance / Mary Evans Pi

Politische Literatur: Braun vom Lesen

Ein merkwürdiges Buch: Timothy W. Ryback macht sich Gedanken über die Buchsammlung des „Führers“.

Der Hitler-Rummel findet kein Ende. Immer noch werden neue wesentliche Facetten versprochen, die uns bisher, angeblich, verborgen geblieben sind. Immer noch wird, selbst auf dünner Materialgrundlage, für Schlagzeilen in der Publizistik gesorgt. Die Reflexe funktionieren, wie die Aufregung um die sogenannte Eva-Braun-Biografie gerade bewiesen hat.

Ein weiteres Buch möchte dem Menschen Adolf Hitler näherkommen. Es stammt von dem US-amerikanischen Historiker Timothy W. Ryback. Er stellt Hitlers Bibliothek in den Mittelpunkt seiner Studie und umkreist deren Bedeutung für Hitlers Denken.

In der Library of Congress in Washington haben sich tatsächlich 1200 Bände aus Hitlers Bibliothek erhalten. Das ist nicht einmal ein Zehntel des ursprünglichen Bestandes. Und selbst dieser Bruchteil ist nicht in allen Exemplaren Hitler eindeutig zuzuordnen. Ein nicht ganz einfaches Unternehmen also, anhand dieser Fragmente aussagekräftige Hinweise auf Hitlers geistige Anregungen bekommen zu wollen; stellenweise trotzdem ein interessantes.

Am Beispiel von Max Osborns „Berlin-Buch“ von 1909 heißt es, so akribisch wie ungewiss: „Das Buch wirkt, als ob es sorgsam studiert worden wäre, es gibt Flecken, umgeknickte Seiten und einen Tropfen rotes Paraffin, das nach 80 Jahren immer noch zähflüssig ist. Vor allem ein 30-seitiges Kapitel über Friedrich den Großen, den legendären König, der Preußens Vormachtstellung als Militärmacht begründete, zeigt deutliche Gebrauchsspuren. Friedrich wurde für Hitler später zum militärischen und persönlichen Vorbild, eine Rolle, die er in seinen letzten Jahren als Oberbefehlshaber jedoch mit katastrophaler Unvollkommenheit ausfüllte.“

An wenigen ausgewählten Beispielen schildert Ryback Zusammenhänge und Geschichten von Büchern aus Hitlers Bibliothek, mitunter helfen Widmungen und Randbemerkungen weiter, dann wieder Anstreichungen, die freilich nicht immer Hitler eindeutig zuzuordnen sind.

„Hitler kaufte Osborns Buch offensichtlich mit touristischen Absichten“, schreibt Ryback vorsichtig. „Obwohl Hitler weder Datum noch Ort nennt“, spekuliert der Verfasser ein paar Zeilen weiter, „können wir annehmen, dass das Buch in der ersten Juliwoche 1916 in seinen Besitz kam“. Ein Jahr später war Hitler in Berlin. Ryback zitiert aus einem Brief Hitlers vom Oktober 1917: „Habe jetzt endlich Gelegenheit, die Museen etwas besser zu studieren. Kurz: es fehlt mir nichts.“ Darauf fügt der Historiker in holpriger Übersetzung hinzu: „Auch nicht an einem geeigneten Berlinführer, wie man vermuten kann, denn wahrscheinlich hatte er Osborns ,Berlin’ dabei. Hitler vertraute offensichtlich auf Osborns Urteil bei den Berliner Museumssammlungen“, denn in einem Fall schließe er sich einer Bewertung Max Osborns an. Freilich ist nicht gesagt, ob Osborn tatsächlich ursächlich für Hitlers Beurteilung in diesem Fall verantwortlich war.

So ungefähr und spekulativ geht es meist zu, wenn sich der Verfasser bestimmte Titel aus der Sammlung vornimmt. Ryback fand eine Ausgabe von ,Mein Kampf’ mit Hitlers Exlibris, er stieß auf spirituelle und okkulte Bücher, darunter eine Monografie zu den Prophezeiungen des Nostradamus. Der Historiker listet eine ganze Reihe militärischer Fachliteratur auf, und er wird besonders fündig in einer Ausgabe von Paul de Lagardes „Deutsche Schriften“, in dem die Juden für alle Übel der Welt verantwortlich gemacht werden.

Über einhundert Seiten registriert Ryback Unterstreichungen und Markierungen am Rand und stellt dann fest: „Die Hervorhebungen bergen nichts wirklich Neues für unser Bild von Hitler oder der nationalsozialistischen Bewegung im Allgemeinen.“ Ja, wenn das so ist... – Neu und bemerkenswert sei nur der Kontext, fügt der Historiker dann hinzu, denn man könne annehmen, dass Lagardes Buch zu einer Zeit in Hitlers Sammlung gelangt sei, als er bereits Reichskanzler war. Und umgehend schränkt der Historiker wieder ein, dass lediglich „vieles darauf hindeute“.

Die Spurensuche in Hitlers Büchern bleibt letztlich im Großen und Ganzen vage und wenig ertragreich. Und so ist Rybacks Studie auch weniger die ausführliche Beschreibung von Hitlers fragmentarischer Büchersammlung als vielmehr eine erneute biografische Skizze, die sich auf vorliegende Sekundärliteratur stützt.

Der Historiker Norbert Frei mochte seine Skepsis im Vorwort zur deutschen Ausgabe denn auch nicht verhehlen: „So muss die Frage am Ende offenbleiben, um wie viel wir dem Intellekt und den Obsessionen Hitlers wirklich näherkommen, wenn wir nun erstmals genauer wissen, welche Bücher er gelesen hat.“







Timothy W. Ryback: Hitlers Bücher.

Seine Bibliothek –

sein Denken.

Fackelträger

Verlag, Köln 2010.

345 Seiten, 22,95 Euro.

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