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Kultur: Politische Verbal-Attacken: Tiefschläge

"Mit Inhalten kann man keine Wahlen gewinnen." Laurenz Meyer, CDU-GeneralsekretärAschermittwoch: Die Fastenzeit beginnt.

"Mit Inhalten kann man keine Wahlen gewinnen." Laurenz Meyer, CDU-Generalsekretär

Aschermittwoch: Die Fastenzeit beginnt. Raum für Besinnung, innere Einkehr, Umkehr. Christen sehen es so. In der Politik wird an diesem Tag gerne ausgeteilt. Harte Worte sollen den politischen Gegner treffen. Da ruft dann schon mal in Bayern der SPD-Chef Wolfgang Hoderlein dem CSU-Chef Edmund Stoiber zu, dessen Regierung bleibe garantiert BSE-frei, denn sie habe "kein Hirn und kein Rückgrat".

Auch der CDU-Generalsekretär hatte beim politischen Aschermittwoch einen Auftritt. Und nutzt ihn zum Angriff auf die neue Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt: Sie habe, bevor sie zur SPD gestoßen sei, für den Kommunistischen Bund Westdeutschlands kandidiert, sagt Laurenz Meyer in der Karnevalshochburg Mainz. Meyer hat auch eine Frage: "Warum sammeln sich diese ganzen linksradikalen Truppen eigentlich in der Bundesregierung?" Seine Antwort: "Weil die nach dem Abgang von Lafontaine keinen mehr hatten, der sich im Rotlichtmilieu auskannte."

Erst vor wenigen Wochen musste Meyer ein Plakat verteidigen. Das CDU-Plakat zeigte Bundeskanzler Gerhard Schröder nach Art eines Fahndungsfotos. Dem Kanzler wurde Rentenbetrug vorgeworfen. Die Reaktion war allgemein Entsetzen. Nicht nur bei SPD und Grünen, sondern auch in den eigenen, den christdemokratischen Reihen. CDU-Chefin Angela Merkel musste sich vor die Presse stellen und sagen: "Wir wollten niemanden, auch nicht den Bundeskanzler kriminalisieren."

Ist der Politik das Maß verloren gegangen? Oder das Gespür für die Grenzen des Erlaubten? Geht es wirklich, wie Laurenz Meyer lakonisch sagt, nicht mehr um Inhalte? Egon Bahr, Abgeordneter von 1972 bis 94, 1976 bis 81 auch SPD-Bundesgeschäftsführer, sieht in der Qualität der Diffamierungen keinen großen Unterschied zu früheren Zeiten - wohl aber in Niveau und Substanz.

Zu Zeiten von Strauß, Kiesinger und Barzel habe es schwere Verunglimpfungen gegeben. Willy Brandt sei ein Opfer davon gewesen, auch er selbst. "Was kann man einem Politiker Schlimmeres vorwerfen als Verrat am eigenen Land?", fragt Bahr. Über ihn habe die Union verbreitet: "Bahr hat uns schon an die Sowjets verkauft, aber noch nicht geliefert." Der Unterschied zu heute aber sei, dass Vorwürfe und Verunglimpfungen damals auf die Unterstellung hinausliefen, dieser oder jener Politiker schade dem Land. "Wenn jemand beschuldigt wird, er schlafe mit vielen Frauen, ist das zwar eine Diffamierung, aber das ist höchstens Verrat am Partner, das Land kann damit leben." Deshalb, sagt Bahr, seien die heutigen Vorwürfe ohne tiefere Substanz.

Was also ist noch erlaubt? Zum Beispiel Franz Müntefering. Auch der SPD-Generalsekretär versteht auszuteilen: Diejenigen, die Joschka Fischer heute angreifen würden, seien die Kinder der Leute, die vormals Franco, Salazar und Pinochet gehuldigt hätten, hat Müntefering am Mittwoch gesagt. Zum Beispiel Friedrich Merz. Der Unionsfraktionschef reizt Kanzler Schröder im Bundestag zu dem Einwurf: "Schämen sollten Sie sich!" Das ist unüblich von der Regierungsbank, aber der vorangegangene Angriff auf ihn war es auch. Merz hatte Schröders Stiefbruder, den Kanalarbeiter Lothar Vosseler, als Kronzeugen in die Haushaltsdebatte hineingezogen - zum Vergnügen der eigenen Leute.

Der Historiker und Publizist Arnulf Baring, ein langjähriger genauer Beobachter der Polit-Szene, beklagt wie Bahr den Verlust an Niveau. Er spottet, der Niveauverlust sei "so traurig, dass man sich darüber nicht noch empören kann". Viele Äußerungen von Politikern seien kleinkariert und "auf trostlose Weise durchschnittlich". Gleichzeitig schaut Baring skeptisch in den Bundestag. "Wer ist heutzutage im Parlament eine Persönlichkeit, von der man selbst sagt, die hört man gern, auch wenn man nicht die politischen Ansichten teilt?"

Wäre die Opposition in der Regierungsverantwortung, glaubt Baring, würde sie gewisse Dinge auch nicht sagen. Einen kleinen Trost hält er bereit: "Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand - das trifft ganz gut auf die Regierung zu. Ich habe den Eindruck, dass vor allem der Kanzler und der Innenminister Stil und eine gewisse Würde bekommen haben."

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