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Das Plakat zum Stück des Theaters 89 über "Die letzten Tage des Zentralkomitees der SED" stammt von Volker Pfüller.

© Theater 89

Politisches Theater: 10. November 89, 10 Uhr

Die großen Bühnen meiden politisch-historische Stoffe. Die Berliner Off-Truppe Theater 89 macht es ihnen vor, mit dem Stück "Das Ende der SED". Ein Appell zum Auftakt der Autorentheatertage im Deutschen Theater.

Der Untergang des Kommunismus als politische Bewegung ist eines der großen Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts. Aber nicht einmal unsere, die deutsche Spielart dieses Vorgangs, das Ende der SED, hat bisher eine künstlerische Widerspiegelung erfahren. Dabei hat der Zusammenbruch der Staatspartei, der den des Staates nach sich zog, eingeschlossen den Mauerfall, in dem das Debakel seinen explosiven Höhepunkt fand, alle Züge einer dramatischen Begebenheit. Doch seinen Niederschlag hat der säkulare Konkurs in der Bundesrepublik vor allem in einer fast unübersehbar gewordenen Zahl von Dokumentationen, Dissertationen und Projekten gefunden, die nun die Bibliotheken füllen.

Zum Beispiel in dem Wortprotokoll der letzten vier Tagungen des Zentralkomitees der SED. Dieser Band, 500 Seiten stark, steht seit 1997 in mancher Bücherwand und schweigt vor sich hin („Das Ende der SED. Die letzten Tage des Zentralkomitees“, Ch. Links Verlag Berlin). Das Konvolut ist der Abdruck geheimer Tonbandmitschnitte des SED-Politbüros, die Hans-Hermann Hertle, der Historiker des Mauerfalls, gefunden und zusammen mit Gerd-Rüdiger Stephan Wort für Wort transkribiert hat. Das Theater 89, eine freie Bühne in Berlin, hat es zum Sprechen gebracht.

Das Ergebnis ist sensationell, der Eindruck dieser Produktion ist frappant. Die Dramatik dieses Endspiels der SED überträgt sich sofort. Sparsamste Dekoration in Gestalt einer Handvoll lemurenhafter Stoffpuppen, ein Präsidiumstisch, neun Schauspieler – aber in den zweieinhalb Stunden, die das Stück dauert, in den Reden und Zwischenrufen, in Anklagen und Klagen tun sich fortwährend Abgründe auf. Das reicht bis zu dem Vorschlag, unter Tränen vorgebracht von einem greisen Alt-Funktionär, die Todesstrafe wieder einzuführen und alle Schuldigen standrechtlich zu erschießen.

Ein grandioses Schauspiel von Auflösung und Zerfall. Gut, das ist vor allem das Verdienst der Bearbeitung, von Hans-Joachim Frank. Die Vorlage, die Dokumentation der ZK-Sitzungen, liest sich überwiegend genauso ledern wie die übliche SED-Prosa, strotzend vom Parteijargon und den bekannten endlosen Genitiv-Verschlingungen. Andererseits ist kein Wort des Stückes erfunden. Hier ist alles authentisch. Und selbst die einzige Hinzufügung ist Geschichte pur: Es ist Schabowskis gestotterte Reiseerklärung, die den Mauerfall auslöst – O-Ton, vom Schaupieler stumm gesprochen. Sie führt den Mauerfall in das Stück ein. Denn das ZK debattierte jenseits der aktuellen Geschehnisse. Erst gegen 10 Uhr am 10. November 1989 kommt Krenz auf das Ereignis zu sprechen, das die Welt bewegt.

Das Stück ist Verdichtung und Verfremdung zugleich. Es ist auch – wir wissen, wie die Geschichte ausgeht – Persiflage und Karikatur, Farce, Schmierentheater. Es verknüpft kunstvoll und effektsicher jene Momente des Textes, in denen die Lebenswirklichkeit des Geschehens hervortritt. Aber die Betroffenheit, die die Aufführung auslöst, ist die Gewähr dafür, dass die Bearbeitung kein luftiges Thesenkonstrukt geschaffen hat. Sie zeigt unnachsichtig, was die Stunde geschlagen hatte und was die Genossen nicht begriffen: Das kläglich-komische Verenden von 60 Jahren Kommunismus in Deutschland. Ein aus guten Gründen und mit schlimmen Folgen gescheitertes Experiment am Menschen und an der Gesellschaft.

Stück und Aufführung verdienen es, ein Ereignis genannt zu werden. Um so ärgerlicher ist es, dass sie nur drei Vorstellungen erlebt haben. Und auch die noch mehr oder weniger jenseits der Öffentlichkeit. Die Uraufführung war am Tatort, dem Sitzungssaal des ZK, dem heutigen Europasaal des Auswärtigen Amts. Kurz: Dieses Stück hat das Reservat der politischen Bildung nicht verlassen. Dass es überhaupt zustande kam, verdankt es den einschlägig Verdächtigen: der Förderung durch die Kulturinstanzen in Senat und Brandenburgischer Landesregierung, der Stiftung Aufarbeitung, der Naumann-Stiftung und dem Zentrum für Zeitgenössische Studien in Potsdam.

Am heutigen Dienstag beginnen am Deutschen Theater Berlin die Autorentheatertage, eine Leistungsschau zeitgenössischer Dramatik. Weshalb spielt kein Theater das Stück, so ein Stück? An faszinierenden Zeitstücken gibt es ja keinen Überfluss. Weshalb geht es nicht auf Tournee durch die Republik? Weshalb gastiert es nicht, wenigstens, in Universitäten und Schulen? Wird nicht überall nach Dramatik mit politischen und gesellschaftlichen Absichten gerufen? Hier wäre eins – und die Intendanten und Dramaturgen lassen es links liegen.

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