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Sommerkultur: Pomp und Pracht

Vor 300 Jahren wurde in Dresden das Porzellan in Europa neu entdeckt und in Meißen eine Manufaktur gegründet. Die Region und Berlin feiern das „weiße Gold“.

Unter einem farbigen Pagodendach ruhen Löwen, Ziegen und Vögel aus Porzellan auf funkelnden flittergoldenen Felsbrocken. An der Wand glitzert gelbe Seide und glänzt brauner Lack. Man könnte es Kitsch nennen, und manche in Dresden tun das auch. Aber dieser Neuentwurf des amerikanischen Star-Architekten Peter Marino für die Zwinger-Porzellansammlung entspricht genau dem Geist August des Starken, des polnischen Königs und sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. (1670-1733), dessen manische Porzellansammelwut berühmt war. Pracht- und prunkvoll wollte er sein, genauso wie der französische König Ludwig XIV, dem er wie alle europäischen Fürsten nachgeeifert hatte. Seine grandiose Porzellansammlung diente zur Repräsentation seiner Magnifizenz. Er war auch eifersüchtig: Kauften andere Fürsten ein besonderes Stück Porzellan, dann erwarb er gleich eine ganze Serie. Er litt an der „Maladie de Porcelaine“, sagte er von sich selbst. Seine Obsession führte zu einer der größten Porzellansammlungen der Welt. Am Ende seines Lebens besaß August der Starke 35 000 Porzellan-Objekte, sowohl chinesische und japanische wie auch Meissener Porzellan. Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) besitzen heutzutage noch 20 000 Teile der ehemaligen Sammlung. Auf 1645 Quadratmeter im Dresdner Zwinger werden in einer großen Dauerausstellung 2000 Stücke gezeigt, von dem frühsten chinesischen Ming-Porzellan aus dem 16. Jahrhundert bis zu Meissener Tierplastiken nach 1730. Einer der Höhepunkte der Sammlung ist das rote Böttger-Steinzeug (1707), eine zufällige Entdeckung des Johann Friedrich Böttger auf der Suche nach dem Porzellanrezept. Das war damals nach der Erfindung des europäischen Hartporzellans ein ein wichtiger Schritt , denn es war der Wunsch August des Starken, seine beliebten Plastiken aus dem „weißen Gold“ selbst herzustellen. Das Geheimnis des Arkanums entdeckte Böttger auf der Grundlage der Forschungen des Physikers Ehenfried Walther von Tschirnhaus. Am 15. Januar 1708 fand er in Dresden die richtige Mischung aus Ton (Kaolin), Quarz und Feldspat, woraus er Porzellan machen konnte, von gleichem Glanz und gleicher Härte wie die chinesische Ware. Nach Tschirnhaus' Tod entwickelte Böttger das Verfahren weiter. Am 28. März 1709 vermeldete er dem König die Erfindung des Porzellans samt der zugehörigen Glasur. 1710 gründete der König in Dresden die erste europäische Porzellanmanufaktur, die er später in Meißen verlegte. Aus Anlass des 300. Jahrestages dieser Erfindung finden jetzt viele Ausstellungen rund um das Thema Porzellan statt. Seit Anfang April ist im Zwinger die Neugestaltung Peter Marinos zu bewundern. Die bedeutendsten Ausstellungen organisieren die Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden und in Berlin: „Triumph der blauen Schwerter“; Meissener Porzellan für Adel und Bürgertum 1710 bis 1815 im Japanischen Palais in Dresden, und „Zauber der Zerbrechlichkeit“; Meisterwerke europäischer Porzellankunst im Berliner Ephraimpalais. Daneben gibt es noch eine große Ausstellung auf der Albrechtsburg Meißen, „Der Stein der Weis(s)en“, und auch in Thüringen wird der 250. Geburtstag des eigenen Porzellans mit Ausstellungen gefeiert. Wie August der Starke an der „Maladie de Porcelaine“ litt, so geht jetzt das „Porzellanfieber“ bei deutschen Museen um, sagt Theresa Witting, die Kuratorin der Berliner Ausstellung „Zauber der Zerbrechlichkeit“. Die Dresdener Ausstellung „Triumph der blauen Schwerter“ konzentriert sich nur auf Meissener Porzellan. Die Manufaktur in Meißen war 1710 die erste in Europa, und mindestens bis zum achtzehnten Jahrhundert auch die wichtigste. „Meissener Porzellankünstler erfanden neue Formen und Motive, die später in der ganzen Welt imitiert wurden“, erzählt Kuratorin Claudia Banz von der Dresdener Ausstellung. „Zunächst imitierten die Meissener Künstler vor allem den ostasiatischen Stil“, sagt Banz. Ihre Ausstellung zeigt in einem Raum verschiedene ostasiatische Originale und die Meissener Imitationen. Die kleinen Unterschiede fallen dann schon auf. Die Formen sind nur etwas grober, die Farbe ein bisschen fahler. Aber die Meissener Stücke bleiben dennoch beeindruckend. Ein anderer Raum zeigt die größten Meissener Porzellankünstler, wie Johann Gregorius Höroldt. „Höroldt konkurrierte mit immer neuen Ideen mit dem erfolgreichen Modelleure Johann Joachim Kaendler“, erklärt Claudia Banz, „und sie haben sich gegenseitig in ihrem Schaffen angespornt. Deswegen konnte die Meissener Porzellankunst große Höhen erreichen.“ Die Berliner Ausstellung „Zauber der Zerbrechlichkeit“ zeigt Porzellane der fünfzig wichtigsten europäischen Manufakturen aus dem achtzehnten Jahrhundert. 1718 wurde die Manufaktur in Wien gegründet, nachdem durch Spionage das geheime Arkanum aus Meißen erworben wurde. „Darauf ging eine ganze europäische Welle los“, sagt Kuratorin Theresa Witting. „Unsere Ausstellung ist die erste, die alle wichtigen europäischen Manufakturen zusammenbringt.“ Wichtiges, schönes Porzellan gab es zum Beispiel in Italien, Großbritannien, Russland, Frankreich und nicht zuletzt in Berlin. „Wir zeigen, wie die europäischen Manufakturen von Meissen inspiriert wurden, und auch was spezifisch für sie ist.“ Witting bekam Objekte von mehr als sechzig Leihgebern und sie durfte alles ausleihen, was sie wollte. Aus dem Dresdner Depot konnte sie auch nach Herzenslust wählen. „Im Depot gibt es noch viele Stücke von europäischen Manufakturen, die in Dresden nie gezeigt wurden. Davon stellen wir noch rund hundert Stücke aus.“ Ein großer Leihgeber war das Rijksmuseum in Amsterdam, das auch Hauptleihgeber der Dresdener Ausstellung ist. Ingesamt zeigt diese Ausstellung 800 Porzellane aus der ganzen Welt. „Meissener Porzellan war im achtzehnten Jahrhundert sehr beliebt als diplomatisches Geschenk, und ist deshalb über die ganze Welt zerstreut. Jetzt kommen all diese Stücke aus allen Teilen der Welt wieder zurück nach Dresden“, erzählt Claudia Banz. Bemerkenswert ist auch, dass sie in Dresden im Japanischen Palais präsentiert wird. Das Gebäude, ursprünglich Holländisches Palais genannt, wurde 1717 von August dem Starken gekauft und umgebaut, weil er dort seine ganze Porzellansammlung unterbringen wollte: Ein richtiges Porzellanschloss musste es sein. Aber er starb 1733, bevor die Bauarbeiten vollendet waren. Kuratorin Claudia Banz hofft, dass das Palais jemals im Nachhinein als Porzellanschloss benützt werden kann. Zumindest für die Dauer der Ausstellung geht dieser Traum in Erfüllung. Der Ausstellungsentwurf des spanischen Künstlers Juan Alberto Garcia de Cubas ist jetzt modern und minimalistisch. 1730 gab es aber eine ausführliche Beschreibung des Schlosses, die einen Eindruck gibt von dem Reichtum seiner Innenausstattung. Das gesamte Gebäude war damals nach der vorherrschenden Chinamode eingerichtet und dekoriert. Die Porzellane standen auf geschnitzten, vergoldeten Konsolen. Die Raumkonzeption hatte kostbare goldgrundige oder schwarz lackierte Wandbespannungen. Es scheint, dass die Zwinger-Neuausstellung Peter Marinos von diesem Text inspiriert ist. Ulrich Pietsch, Direktor der Porzellansammlung, ist froh damit. „Wir wollten die Sammlung hier ganz anders präsentieren. Nicht historisch oder künstlerisch, sondern königlich; so pracht- und prunkvoll wie damals, mit einem ähnliches Gefühl von Luxus und Dekadenz. Die Ausstellung musste superexklusiv und außergewöhnlich sein. Ich glaube, das hat geklappt.“ Der Direktor liebt am meisten das chinesische „powder blue“-Porzellan, bei dem mit einem Bambusrohr kobaltblauer Puder auf das weiße Porzellan geblasen wird. Die Glasur wird später darauf angebracht und danach wurde es noch mit Gold bemalt. Das Resultat fand Pietsch sehr schön, sagt er: „Man schaut wie durch ein Fenster aufs das Blau.“ Der andere Höhepunkt der Neuausstellung im Zwinger ist der Raum mit den Tierplastiken, meint er. Und in der Tat ist es staunenswert, wie lebensnah Bildhauer Johan Joachim Kaendler die Tiere komponiert hat. Der afrikanischer Geier (1734) zum Beispiel, hält einen Kakadu in der Kralle und frisst: Der Rumpf seines Opfers ist schon entzwei, man kann drinnen die Lunge, Rippen und Därme sehen. Bei den zwei Fischreihern sieht man genau den Unterschied zwischen nassen und trockenen Federn. „Aber“, sagt Ulrich Pietsch, „die Tiere sind nicht nur lebensnah, sondern auch absolut künstlerisch modelliert. Weil keine Teile der Plastik hinausragen dürfen, da sie bei Brennen abbrechen könnten, muss die Plastik eine in sich geschlossene Form haben.“ Er zeigt den schönen Ara-Papagei (1732): Der klettert kopfüber an einem Baumstamm – eine sehr charakteristische Haltung. Gleichzeitig ist sein ganzer Körper artifiziell gedreht, er streckt Flügel und Schwanzspitze wie eine Fontäne ganz in die Höhe. Pietsch: „Kaendler schaffte es jedes Mal, die Naturform in ein Kunstwerk zu verwandeln.“

Herien Wensink

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