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Rock-’n’-Roll-Wunderkind. Todd Rundgren, hier Ende der siebziger Jahre, begann seine Karriere als Assistent des Dylan-Managers Albert Grossman.

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Pop-Avantgardist Todd Rundgren: Der ewige Utopist

Sie nennen ihn Zauberer: Todd Rundgren ist ein Pionier des avantgardistischen Pop. Im Studio gab er den Alleinherrscher. Nun erscheint eine Werkschau mit seinen besten Alben.

Achtung, Achtung, wichtige Durchsage. „Bevor es weitergeht“, sagt der Sänger in verlangsamter, schläfrig oder stoned wirkender Diktion, „stelle ich euch ein Spiel vor, das ihr mit dieser Platte spielen könnt.“ Es geht darum, möglichst viele Produktionsfehler zu finden. Die Stimme verschwindet in rauschendem Hall: lausiger Tonschnitt. Klopfende Geräusche, die von einem Kanal zum anderen springen: nachlässiges Abmischen. Und so klingt es, wenn „die Maschine die Kontrolle übernimmt“: großes Gehacke. „Wer die meisten Fehler findet, der bekommt ...“, verspricht der Sänger noch, dann setzt schon das erste Stück ein, „Breathless“, eine Moog-Synthesizer-Fanfare mit Karibikrhythmus.

Alle Arten von Musik

Die „Introduction“ stammt aus Todd Rundgrens Doppelalbum „Something/Anything?“ von 1973. Es ist eine lärmende Belehrung, vorgetragen mit der ganzen Arroganz eines damals 25 Jahre alten Rock-’n’-Roll-Wunderkindes, das von seinem Manager Albert Grossman bereits zum „neuen Elvis“ ausgerufen worden war. Viele Platten, verkündet Rundgren, sind akustischer Schrott. Aber ich mache keine Fehler. Stimmt ja auch. „Something /Anything?“, eine von Rundgrens besten Platten, enthält zwei Dutzend nahezu makellose Popsongs, darunter die beatleeske Soul-Hommage „I Saw The Light“, den sumpfigen Honkytonk-Klavier-Blues „I Went To The Mirror“ und die schwelgerische Ballade „It Wouldn’t Have Made Any Difference“, eines der schönsten Liebeslieder überhaupt.

Todd Rundgren, der 1948 als Nachfahre schwedischer und österreichischer Einwanderer in Philadelphia geboren wurde, wird seit einiger Zeit wiederentdeckt. Der Multiinstrumentalist, der einige seiner Alben ganz allein aufgenommen hat, ist gleichzeitig Exzentriker und Universalist. Die amerikanische Wikipedia ordnet ihn unter „rock, pop, experimental“ ein. Das könnte man mit „alle Arten von Musik“ übersetzen, denn außer im Hip-Hop hat Rundgren sich in fast allen Genres ausprobiert.

Er sollte Elvis werden

Die Hybridhaftigkeit seiner Musik und der exzessive Einsatz von frühen Synthesizern machen ihn heute zum Vorbild von Bands wie TV On The Radio, Hot Chip oder Tame Impala. Eine 11-CD-Box mit den Platten, die Rundgren zwischen 1970 und 1983 für das Bearsville-Label aufnahm, zeigt ihn auf der Höhe seiner Kunst. Ein neuer Elvis ist er zwar nicht geworden, dafür aber einer der innovativsten, vor Ideen geradezu übersprudelnder Musiker seiner Generation. Oder, wie Rundgren es im Titel eines Album selbst formuliert hat: „A Wizard, A True Star“. Ein Zauberer, ein wirklicher Star.

Zweckoptimismus. Denn zum Star, der die ersten Plätze der Hitparaden erobert und bei dem die Fans im Konzert zuverlässig kreischend zusammenbrechen, hat Rundgren nicht getaugt. Er blieb immer ein Musician’s Musician, einer, auf den sich Kollegen berufen. Die höchste Platzierung eines seiner Alben in den US-Charts: Rang 34. Seine kommerziell erfolgreichsten Platten brachte er als Produzent heraus, für The Band, Patti Smith, Bad Religion oder Meat Loaf, von dessen Operettenrockalbum „Bat Out Of Hell“ sich mehr als 40 Millionen Exemplare verkauften.

Aufnehmen im Wohnzimmer

An „Something/Anything?“ arbeitete Todd Rundgren drei Wochen lang im 24/7-Modus. Wenn der Tontechniker im Studio Schluss machte, setzte Rundgren die Aufnahmen im Wohnzimmer seines Hauses am Astral Drive in Los Angeles fort. Ein Foto zeigt ihn mit umgehängter Gitarre vor zugezogenen Vorhängen, zwischen einem Konzertflügel, einem Minisynthesizer und einem Acht-Spur-Aufnahmegerät. Auf dem Couchtisch türmen sich Essensreste, leere Flaschen und Notizzettel. Konzentriert ans Werk gehen konnte Rundgren nur, weil er kurz vorher Ritalin für sich entdeckt hatte, das Medikament, mit dem auch ADHS-Kinder ruhiggestellt werden. „Ich konnte stundenlang arbeiten und habe nicht mal gemerkt, wie die Zeit verging“, erzählte er später.

Auf drei der vier Plattenseiten von „Something/Everything?“ spielt Rundgren nicht bloß alle Instrumente selber, er singt auch alle Backgroundstimmen. Genauso verhält es sich bei den meisten Stücken seiner Alben „Runt“ (1970) und „Runt. The Ballad of Todd Rundgren“ (1971). Produziert hat er sich sowieso immer selber. Viele Musiker begannen in den frühen siebziger Jahren, die Kontrolle über ihre Projekte zu übernehmen, auch Stevie Wonder spielte damals einige Platten alleine ein, Prince nahm sein Debüt „For You“ im Alleingang auf. Aber so konsequent wie Rundgren war kein zweiter. Das Handwerk eines Toningenieurs hatte er erlernt, als er 1969 bei Albert Grossman in New York anheuerte, der Bob Dylan, Janis Joplin und Peter, Paul and Mary managte und gerade das Bearsville Label mit eigenem Studio in Woodstock gegründet hatte. „Ich möchte als professioneller Verrückter bekannt werden“, verkündete Rundgren. „Es gibt nicht mehr genug Dalis und Buckminster Fullers. Wenn ich bekannt genug bin, werde ich die nächste Stufe der Popmusik zünden.“

Hochglanzpolierte Melodien

Rundgrens Musik oszilliert zwischen den Polen von Wohlklang und Wahnsinn. Von ihm gibt es traumhaft schwebende Klavierballaden wie „Broke Down And Busted“, süßsaure Mitsinghits wie „Hello, It’s Me“ und psychedelische Softrockstücke wie „I Think You Know“. Derlei hochglanzpolierter Westcoast-Pop erlebt seit ein paar Jahren unter dem Stichwort „Yacht Rock“ eine Renaissance. Doch Rundgren ist seit seiner Kindheit auch ein Fan der viktorianischen Musical-Könige Gilbert und Sullivan und sieht sich mit den Comedy-Einlagen auf seinen Platten in ihrer Tradition. Leider kommt meist kein Witz heraus, wenn Rundgren schrille Gesangskoloraturen mit „No, no! More humanity please!“-Rufen beendet oder in einem Country-Melodram den Weidekrieg zwischen einem Schaf- und einem Rinderbauern schildert. Als Comedian ist der Pionier des Homerecordings eher talentfrei.

Manchmal langweilt Rundgren seine eigene Genialität. „Früher habe ich Songs innerhalb von 20 Minuten rausgehauen. Da war mir das Schreiben schon zu sehr zur zweiten Natur geworden.“ Deshalb gründete er die Progrockband Utopia, bei der er bloß noch E-Gitarre spielen musste (natürlich brillant), verlangsamte in den achtziger Jahren seinen Plattenausstoß und veröffentlichte 1993 mit „No World Order“ das erste interaktive Album der Musikgeschichte. „Ich muss gestehen, dass das, was ich mache, vielleicht gar keine richtige Musik ist“, sagt er. „Tief in mir möchte ich etwas machen, das größer ist als Musik.“ Todd Rundgren, der ewige Utopist, hat nie aufgehört zu träumen.

Todd Rundgren: „The Complete Bearsville Albums Collection“ ist bei Warner erschienen.ection“ ist bei Warner erschienen.

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