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Der Flüsterer: Leonard Cohen.

© Sony Music

Pop: Beim Barte des Poeten

Alte Liebe rostet langsamer: Leonard Cohens neues Studioalbum „Old Ideas“ ist mit karger Instrumentenkost vor allem eine Reminiszenz an ihn selbst - und macht durstig nach den alten Platten.

In der Zeit vor dem großen und nicht mehr für möglich gehaltenen Comeback, vor der Welttournee 2008/2010, die auch Berlin zwei unvergessliche Konzerterlebnisse und Wiederhörensfreuden bescherte – in jenen langen Jahren tröpfelte das eine und das andere Studioalbum aus dem Universum des Schweigens, in das sich der Alte zurückgezogen hatte. Ja, und wie alt er klang auf „Dear Heather“ und den „Ten New Songs“. Und wie frisch und fröhlich der Mittsiebziger mit Anzug und Hut dann auf die Bühnen dieser Erde sprang, die er mit seinen Versen, seinen Reimen doch immer einen Wimpernschlag besser gemacht hatte.

Nun sind wir jenseits der Wasserscheide, im Besitz herrlicher Live-Alben seiner wundersamen Wiederkehr, legen mit leicht klammen Fingern die neue CD mit dem kokett-bescheidenen Titel „Old Ideas“ ein – und es ist wie ein Zeitsprung zurück. Wenig ist zu spüren von dem Drive, von dem Wind, der ihn durch 247 Konzerte in 31 Ländern trug: Leonard Cohen hat das Singen wieder aufgegeben zugunsten seines intensiven, stillen Rezitationsstils. Sharon Robinson, die Webb Sisters, selbst Jennifer Warnes, Background-Gefährtin schon in den Siebzigern, unterstützen die alten Ideen, genau wie seine fabelhaften Tour-Musiker, allein: Hier spricht ein nächtlicher Poet, ein Mann, der sich abkapselt, sein Leiden an der Welt und den Frauen und der eigenen Unbarmherzigkeit betrachtet und um Vergebung bittet wie in „Anyhow“, einem tastenden Versöhnungsversuch: „Have mercy on me baby/After all I did confess/Eventhough you have to hate me/Could you hate me less?“

Das Bedürfnis nach Harmonie hat zugenommen („Come Healing“, „Lullaby“), und gleich blitzt auch der alte Beglücker und Bedränger auf („Crazy To Love You“), und im letzten Song entrollt sich auch noch einmal ein Beziehungsdrama („Different Sides“), das gar nicht nach Lang-ist’s- her klingt, sondern nach frischen Verletzungen: „Both of us say there are laws to obey/But frankly I don’t like your tone/You want to change the way I make love/I want to leave it alone“. Auch das schwebende „Show Me the Place“ mit seinem Violinensolo atmet leise Erfüllungshoffnung. Der Bett- und Küchenflüsterer beschäftigt sich allerdings wenig mit dem Alter, das hat er wohl schon genug als jüngerer Mensch getan, und jung war Leonard Cohen nie – oder nur so jung wie die dunkelste Pubertät. Auch das Religiöse, von dem Song „Amen“ abgesehen, schlägt hier weniger durch als vermutet. Aus dem hymnischen „Hallelujah“ von einst ist ein trockenes „Amen“ geworden. Zuweilen kommen Anklänge ans „Chelsea Hotel“ oder andere Klassiker wie „I’m Your Man“ auf, aber das ist bei einem Künstler, der auf die Achtzig zugeht, kaum verwunderlich; wie denn auch nicht?

Früher, als das Private (der Sex etc.) noch politisch war, da war Cohen ein Sänger von prophetischer Kraft. Heute skizziert er Leidenschaft, oder die Erinnerung daran, wie Picasso in seiner späten Serie vom Maler und Modell. „New Skin for the Old Ceremony“, so nannte er schon 1974 ein Album, das mit dem fliegenden, in der Luft sich vereinigenden Engelspaar und dem „Lover, Lover, Lover“-Schrei. Damals begann er, seine Dichtungen und Kompositionen mit saftigeren Arrangements anzureichern. Jetzt ist er wieder bei kargerer Instrumentenkost angekommen. Gelegentlich brandet in den „Old Ideas“ sein treibendes, dunkles Gitarrenspiel auf, der Sound seiner ersten Alben, deren allererstes (mit der mythenbehängten „Suzanne“) 1967 erschien.

Da war Leonard Cohen auch schon 33 und ein recht bekannter Romancier und Dichter mit Hang zum öffentlichen Vortrag, zur Pop-Musik. „Old Ideas“, das am Freitag erscheint, rührt in diesen Reminiszenzen und Emotionen, ohne sie zu zerstören oder in Zweifel zu ziehen. Das Album macht durstig, legen wir ein paar alte Sachen auf, oder die jüngsten Live-Versionen. Es ist, ganz klar aber, keine Cohen- Einstiegsdroge, sondern auf längere Sicht ein Ausstiegsszenario. And you want to travel with him/and you want to travel blind ... Sind wir am Ende nicht allesamt „Die- Hard“-Fans von irgendwem oder irgendwas, im Zweifel von uns selbst?

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