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Pop: Die Dresdner Band "Bergen" setzt einer Frau ein Denkmal

Die Dresdner Band Bergen hat ihr bezauberndes Folkpopalbum „Bärenmann“ herausgebracht. Die kunstvoll zwischen Indiefolk, Wohnzimmerjazz und Edelschlager oszillierende Musik wirkt komplett aus der Zeit gefallen.

Frauen, denen ein Popsong ein Denkmal setzt, stellt man sich gemeinhin anders vor: attraktiver, geheimnisvoller, vor allem jugendlicher. Doch dass die Heldin, die hier beschworen wird, nicht den üblichen Schönheitsidealen entspricht, verrät bereits der Titel des Stücks: „Haut aus Orange“. Da sitzt eine krummbeinige, desillusionierte und von ihrem Mann verlassene Alte auf dem Badewannenrand und denkt über ihr verpfuschtes Leben nach. „Im Bad der Föhn, mit dem sie ihre Haare macht / trocknet Tränen, Blätter / Und das grobe alte Salz auf ihrer Haut“, seufzt der Sänger zu mollschweren Pianoläufen und sparsam hingetupften E-Gitarren-Akkorden.

Aber dann erhebt sich eine strahlende Trompete, das Xylophon spielt eine verhalten optimistische Melodie, und die Frau streckt noch einmal ihre Zehen im Wasser aus und erinnert sich. An Spanien und den Geruch des Sommers. Vielleicht wird doch noch mal alles gut. Das Album „Bärenmann“ der Dresdner Band Bergen, das am Freitag erscheint, gehört zu den erstaunlichsten deutschsprachigen Platten diesen Frühjahrs. Es enthält acht meisterlich durcharrangierte Blasmusikfolkpopsongs, die zwischen Wirklichkeit und Traum die Schwebe halten und von sonderbaren Außenseitern erzählen.

So ist der „Bärenmann“ des Titelstücks ein Kauz, den man auch für einen Kinderschänder halten könnte, ein Schnorrer, der in Cafés bettelt und sich an Kreuzungen als Schülerlotse aufspielt. „Vor allem Frauen sind von ihm ganz entzückt / Und wuscheln ihm ganz behände durchs Haar“, konstatiert der Sänger, während ein Schneebesen die kleine Trommel rührt. „So ein Bärenmann war noch nie da / Da gibt man gern mal ne Mark.“

Man kann den Bärenmann als Referenz an den „Apfelmann“ verstehen, den Blumfeld auf ihrem letzten Album „Verbotene Früchte“ besangen. Die Hamburger Band und ihr Weg vom Gitarrenlärm zum Wohlklang war in den Anfangsjahren tatsächlich ein Vorbild für Bergen. Man kann „Bärenmann“ aber auch als verschrobenen Protestsong sehen, der einer Gesellschaft die Leviten liest, in der alles, was die Norm verletzt, pathologisiert wird. „Ich mag Texte über Gestalten, bei denen man sich nicht sicher ist, ob man sie bemitleiden oder bewundern soll. Bei denen man nicht weiß, ob sie verrückt sind oder eigentlich alles genau richtig machen“, sagt Sänger Mario Cetti.

Die kunstvoll zwischen Indiefolk, Wohnzimmerjazz und Edelschlager oszillierende Musik von Bergen wirkt komplett aus der Zeit gefallen. Das hat auch damit zu tun, dass die achtköpfige Band, die zum Kreativpool des Dresdner Labels Kumpels & Friends gehört, einem eigenen Rhythmus folgt. Für das 2009 erschienene, noch ziemlich rau klingende Debütalbum „Gegenteil von Stadt“ hatten sich Bergen fünf Jahre Zeit gelassen. Bei einem gemeinsamen Konzert bedrängten die Musiker dann die von ihnen verehrte Band Erdmöbel so sehr, dass sich deren Bassist Ekki Maas schließlich bereit erklärte, die neue Platte mit ihnen in seinem Kölner Studio zu produzieren.

Ein Glücksfall. Maas ist ein Spezialist für Bläser- und Streicherarrangements, der weiß, dass manchmal ein paar simple Kniffe – etwas Hall, die Staffelung der Instrumente, eine zweite Stimme im Refrain – genügen, um einem Song eine ganz neue Dramaturgie zu verschaffen. So erklingen die bittersüßen, zumeist balladesken Stücke der Band nun in makelloser Pracht. Wenn Bergen-Sänger Mario Cetti mit warm raunender Stimme seine assoziativ mäandernden Texte intoniert, glaubt man mitunter Erdmöbel-Sänger Markus Berges sprechsingen zu hören.

Das letzte Stück des Albums, benannt nach einer schottischen Hebriden-Insel, heißt „Iona“. Es geht um ein Urlauberpaar, dass von einem Augenblick so ergriffen ist, dass es einander die Ewigkeit verspricht. „Auch wenn du das sicher bestreitest / Sind wir beide für andere Menschen versaut.“ Die E-Gitarre stottert, Trompetentöne verwehen. Ein schöneres Liebeslied war in diesem Jahr noch nicht zu hören. Christian Schröder

Berliner Konzert: 17. Januar, 20 Uhr, NBI Bar, Zionskirchstr. 5

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