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Pop: Die schnellste Musik der Welt

Der neueste Trend in der Clubmusik kommt aus Chicago und folgt auf Dubstep und Post-Dubstep: Juke und Footwork provozieren mit hektischen Beats und höllischen Bässen.

Wer kann das alles noch unterscheiden? Was genau sind Dubstep, Brostep, UK Funky und zu allem Überfluss auch noch Post-Dubstep? Dancemusic abseits des in Deutschland weiterhin angesagten Minimaltechno ist extrem unübersichtlich geworden. Dennoch lassen sich selbst so unterschiedliche Phänomene wie der Songwriter-Dubstep von James Blake und das Haudrauf-Geballer von Skrillex gut unter einem Oberbegriff subsumieren: Bassmusik.

Hier hat der Bass nicht mehr bloß die Funktion, den Tänzern Orientierung zu geben, Four-to-the-floor und immer schön im geraden Takt ist passé. Der Bass ist vielmehr ein Querschläger, stiftet Unruhe und sorgt für Verwirrung. Für Tänzer ist das eine echte Herausforderung. Als Dubstep von London nach Berlin durchsickerte und vor allem im Club Berghain eine Heimat fand, konnte man sich zuerst gar nicht vorstellen, wie sich irgendjemand zu den seltsamen Bass-Blähungen sinnvoll bewegen soll. Doch es funktioniert. Bei Dubstep-Partys wird tatsächlich getanzt, und es sieht bei den meisten nicht einmal nach Arbeit aus.

Hört man nun Juke oder Footwork – zum Unterschied später –, fragt man sich erneut, wie man sich bitteschön zu dieser völlig dekonstruktiven Form von Bassmusik körperlich verhalten soll. Wer schon Dubstep anstrengend findet, bekommt bei Footwork garantiert einen Nervenzusammenbruch. Die Beats knattern in wahnsinniger Geschwindigkeit, dazwischen knallen Bässe wie Bombeneinschläge, und damit die Überforderung perfekt ist, werden Footwork-Tracks gerne mit Hip-Hop- oder Filmsamples garniert. Wie unfertige Collagen wirken die Stücke meist, roh und primitiv. Einfallsreichtum ist wichtiger als der Einsatz neuester Technik, es wird bevorzugt mit alten Drummaschinen gearbeitet. Man hört auch schlecht geschnittene Samples und Synthiegetacker, das sich im Nirgendwo verläuft. Die Hauptsache ist, es klingt direkt und handgemacht, als würde jemand ein paar Geräte zum Durchdrehen bringen. Während Dubstep eine raumgreifende Musik ist, die hypnotisch und zeitverzögernd wirkt, ist Footwork die reine Hektik, man hat das Gefühl, viel zu viel passiert hier gleichzeitig.

Noch sind Juke und Footwork in Europa eher ein Gerücht. Dieses aber verbreitet sich immer schneller. Gerade hat der amerikanische Footwork-Produzent DJ Rashad, einer der Protagonisten der vor allem in Chicago beheimateten Szene, mit „Rollin“ eine neue Platte auf dem einflussreichen Londoner Dubstep-Label Hyperdub herausgebracht – ein Anzeichen dafür, dass die neuen Stile auch bald bei uns einschlagen könnten. Über London – die Mutterstadt des Dubstep – kamen in den letzten Monaten auch schon die ersten Juke-Vorboten nach Europa. So veröffentlichte das Londoner Label Planet Mu unter dem Titel „Bangs & Works“ zwei Kompilationen, die den Sound einer lebendigen Subkultur präsentieren, die schon seit Jahren gedeiht. In einer amerikanischen Großstadt ist da etwas herangewachsen, das für europäische Ohren wirkt, als käme es von einem anderen Stern und das doch die urbane Wirklichkeit aus Hektik und Reizüberflutung genial reflektiert.

Footwork konzentriert sich noch mehr als House auf den Bass

Klickt man sich auf Youtube durch Footwork-Clips, kommt das Gefühl auf, dem nächsten Breakdance zuzusehen. Auch weil Footwork, so wie einst Breakdance, eher Straßen- denn Clubmusik ist. In Chicago treffen sich hauptsächlich schwarze Jugendliche zu Footwork-Battles in der Nachbarschaft und tanzen tatsächlich zu diesen Beats mit der Wirkung von Nervengift. Und wie sie tanzen! Was fast wirkt wie spastisches Zappeln, sind in Wahrheit Moves mit eigenen Namen. Vor allem die Beine – „Footwork“ heißt so viel wie Beinarbeit – stellen verrückte Dinge an und wirken wie aus Gummi, wenn sie sich drehen und winden zu dem pausenlosen Beat- und Bassgeknatter.

Es ist schon erstaunlich, dass sich in unserer scheinbar total vernetzten Welt ausgerechnet in Chicago, der viel besungenen Mutterstadt des House, in den letzten Jahren mit Footwork eine Mutation von House entwickeln konnte, ohne dass das in Europa groß jemand mitbekommen hätte. Ganz so, als gäbe es tatsächlich Paralleluniversen. Denn die Ursprünge von Footwork liegen tatsächlich im House, auch wenn das nur schwer herauszuhören ist. House hat sich im Chicago der achtziger Jahre eben nicht nur zur hymnenhaften Musik einer schwulen Subkultur entwickelt, zu der auch Madonna gerne tanzte, sondern er nahm auch eine andere Abzweigung in die Richtung des sogenanntem Ghetto- oder Booty-House, in dem die Bässe bereits wie Peitschenhiebe wirkten und wo die Tracks gerne mit obszönen Vocals garniert wurden, die die Hintern von Frauen rühmten oder die Freuden des Geschlechtsakts besangen. Im Ghetto- House war wichtig, was untenrum passierte. Es ging, schlicht gesagt: um Bässe und Ärsche. Footwork konzentriert sich jetzt eben auf noch mehr Bässe und fokusiert den unteren Teil des Körpers noch stärker.

Und was ist nun der Unterschied zwischen Juke und Footwork? Einer inzwischen schon wieder veralteten Definition nach ist Juke die Bezeichnung für die Musik, zu der man Footwork tanzt. In letzter Zeit gilt aber wohl eher das, was DJ Rashad sagt: „Juke ist kommerzieller als Footwork. Footwork ist düstere Battlemusik.“ Footwork kann als die noch härtere und noch schnellere Variante von Juke eingeordnet werden: Bis zu 180 Beats per Minute (BpM) schnell sind FootworkTracks, was ein irres Tempo ist, wenn man bedenkt, dass handelsüblicher Techno sich normalerweise zwischen 120 und 150 BpM einpendelt.

Das deckt sich auch mit der Aussage von Mike Paradinas, der die besagten Footwork-Sampler für den europäischen Markt zusammengestellt hat: „Footwork und Juke sind total unterschiedlich. Juke ist Partymusik, Footwork ist Musik für Albträume.“ Am Ende aber sind Juke und Footwork einfach innovative Varianten von Bassmusik, zu der man gut tanzen kann – wenn man ein gewisses Zappeltalent mitbringt.

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