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Liebt das Vinyl. Der Musiker Jeff Özdemir in seinem Plattenladen.

© Thilo Rückeis

Pop-Kultur-Festival: Voll am Start

Sounds zum Chillen in politisch unruhigen Zeiten: ein Besuch bei dem Plattenhändler und Musiker Jeff Özdemir.

Plattenkisten stehen auf dem Boden herum. Es sieht ein wenig chaotisch aus in Jeff Özdemirs kleinem Plattenladen 33RPM Store im Wrangelkiez. Er entschuldigt sich für die Unordnung. Er sei gerade erst aus Bremen zurück, wo er in einer Bar einmal im Monat eine Art Pop-Up-Recordstore betreibt und dort das tut, was er auch in Berlin macht: Platten verkaufen. Vinylboom hin, Vinylboom her, „der regelmäßige Trip nach Bremen gehört mit zu meiner Kalkulation, um mit meinem Plattenladen über die Runden zu kommen“, sagt er.

Es gibt aber noch einen anderen Grund für diese Kurzreisen. Er hat in der Nähe, in Bremerhaven, wo er vor ein paar Jahren noch wohnte, bevor er 2010 nach Berlin zog, eine Band, The Fadeouts. Die Gruppe spielt krachigen Rock, und Özdemir ist der Drummer. Somit hat er viel zu tun bei seinen Ausflügen: Erst Schallplatten verkaufen, dann Bandprobe.

Man weiß nie, was das nächste Stück bringt

Dabei könnte man annehmen, der Mann ist mit dem, was er in Berlin so treibt, schon ausgelastet genug. Er führt hier noch eine kleine Plattenfirma, die so heißt wie sein Laden, und er veröffentlicht unter dem Namen Jeff Özdemir & Friends Platten mit seiner eigenen Musik, beziehungsweise seiner und der seiner „Freunde“. Zwei Doppel-LPs gibt es bereits, die zweite ist gerade erschienen. Die Musik darauf könnte musikalisch kaum weiter entfernt sein vom Bremerhavener Garagenpunk. Jeff Özdemir & Friends machen alles mögliche zwischen Elektronikpop und Jazz, nur keinen Rock.

In immer wieder unterschiedlichen Konstellationen mit Sängern, Musikern und Produzenten hat er eine Platte eingespielt, die wie ein perfekt abgerundetes Mixtape klingt. Da wird mal französisch, mal japanisch, mal türkisch und auch portugiesisch gesungen. Ein Song baut auf Synthiegeblubber auf, beim nächsten dominiert eine Trompete. Man weiß nie, was das nächste Stück bringt, nur die Grundstimmung bleibt immer gleich: verkifft und lässig. Özdemir und seine Mitstreiter haben ein perfektes Album zum Abhängen an einem sommerlichen Sonntagnachmittag zusammengeschraubt. Und über kuriose Songtitel wie „Der Herr Doktor sieht das nicht gerne“ oder „Der Mann, der voll nicht am Start war“ muss man sich auch nicht zu sehr den Kopf zerbrechen. Die seien „weitgehend sinnfrei“, sagt Jeff Özdemir, „frei für Interpretationen.“

Hier spricht ein Musikliebhaber

Er selbst spielt auf der Platte Schlagzeug, Orgel, Klavier, Bass, Gitarre, Glockenspiel und Synthesizer. Als Musiker ist er breit aufgestellt, und das Angebot seines Plattenladens spiegelt das wider. Von Jazz über Rock bis Disco gibt es hier eigentlich alles. „Ich mag Popmusik und stehe auf Achtziger-Jahre-Punk. Aber auch Hip-Hop. Und natürlich Jazz“, sagt er. Und fügt ohne mit der Wimper zu zucken hinzu: „Und Wham. Und Rick Springfield.“ Wie er ausgerechnet auf den als eher uncool geltenden Rick Springfield kommt?

Özdemir beginnt, von dessen ausgefuchsten Plattenproduktionen zu schwärmen, und einmal ins Jubilieren gekommen, hört er so schnell nicht mehr auf damit. Hier spricht ein Musikliebhaber, so einer neigt schon mal zur Fachsimpelei. Wobei er selbst oft merkt, dass er gerade mal wieder zu viel redet oder vielleicht etwas zu penetrant abcheckt, ob man diesen oder jenen Musiker, diese oder jene Platte kennt. Er entschuldigt sich dann und sagt: „Danke, dass Sie sich mein ganzes Gelaber hier anhören.“ Im nächsten Moment schleppt er freilich schon wieder ein paar Platten heran, um darüber ein Referat zu halten.

Vor zwanzig Jahren hatte Özdemir bereits eine andere Band, die kurz vor dem Durchbruch stand

Jeff Özdemir ist in der Türkei geboren, in einer kleinen Stadt am Schwarzen Meer. Als Dreijähriger kam er nach Deutschland, nach Bremerhaven. Er heißt auch nicht Jeff Özdemir, sondern Adem Mahmutozlu. Der Künstlername soll die verschiedenen Welten ausweisen, die ihn ausmachen, ihn als den Türken (Özdemir) beschreiben, der sich schon in den achtziger Jahren eher als Jeff fühlte. Damals hörte er vor allem amerikanischen Hardcore.

Ein ähnliches Namenspiel gab es bei ihm schon einmal. Vor gut zwanzig Jahren hatte der heute 44-Jährige eine Band, die Faruk Green hieß. Auch hier steht ein typisch amerikanischer Name neben einem typisch türkischen. Faruk Green gab es nur ein paar Jahre, ihre zweite Platte erschien bei einem Londoner Label. Alles sah nach Durchbruch aus, doch dann starb ein Bandmitglied, ein Freund von Jeff Özdemir, und damit auch die Band.

Nun macht er, abgesehen von der Band in seiner alten Heimat, hauptsächlich allein Musik. Und eben doch nicht. Dank Musikern von F. S. Blumm bis Benjamin Wild, mit denen er seine Songs einspielt. Jemand, der so gern kommuniziert und sich austauscht wie Özdemir, kann sich gar nicht auf Dauer allein in seinem Wohnzimmer zum Produzieren eingraben.

Er ist fassungslos über den Boykott arabischer Musiker

Insofern hat bei ihm auch der Boykott des Pop-Kultur-Festivals durch die arabischen Musiker „Fassungslosigkeit“ ausgelöst: „Musik soll doch eigentlich alle zusammen und an einen Tisch bringen.“ So wie bei ihm. „Beim gemeinsamen Grillen genauso wie in fetten Studios“ seien seine Stücke entstanden, erklärt er, die Produktionsbedingungen seien stets andere. Überall, selbst hier im Plattenladen in ruhigen Momenten, würde er an Songskizzen arbeiten, die an anderen Orten, meist mit anderen Musikern, ausgearbeitet würden.

„Nichts ist statisch an meiner Arbeit, nichts an einen bestimmten Ort gebunden“, sagt er, alles sei ständig im Fluss, Work in Progress. Stoff genug für mindestens acht Ausgaben von Jeff Özdemir & Friends habe er so inzwischen bereits zusammengetragen, Musik zum Chillen an endlos vielen Sonntagnachmittagen.

Jeff Özdemir & Friends Vol.2 ist bei Karaoke Kalk erschienen. Ein Konzert gibt es im Rahmen des Pop-Kultur-Festivals: Prater, 23.8., 21 Uhr

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