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Daniela Reis und Friederike Ernst sind Schnipo Schranke.

© Robin Hinsch

Pop-Kultur im Berghain: Grinsen und grooven

Der zweite Tag des Pop-Kultur Festivals im Berghain mit Konzerten von Mary Ocher, Schnipo Schranke und Neneh Cherry.

Der Maler ist eifersüchtig auf die Musiker. „Sie sind ganz in der Gegenwart, ich hinke da immer etwas hinterher,“ sagt der Berliner Künstler Norbert Bisky, für dessen Schaffensprozess Musik aber eine entscheidende Rolle spielt. Beim Malen versetzt er sich mittels Musik in einen anderen Bewusstseinszustand. „Drogen wären auf die Dauer zu teuer.“ Gelächter in der gut gefüllten Garderobe des Berghains, in der am zweiten Tag des Pop-Kultur-Festivals einer der „Talks“ stattfindet. Neben Bisky sitzt der Leipziger Kognitions- und Neurowissenschaftler Tom Fritz, der die Wirkung von Musik erforscht.
Leider kommen die beiden in der von Silke Hohmann wenig zielführend moderierten Dreiviertelstunde nie wirklich ins Gespräch. Stattdessen berichten beide einfach nur von ihrer Arbeit, die zudem kaum Gemeinsamkeiten aufweist. Denn Fritz geht es vor allem um die positiven Effekte von gleichzeitig ausgeführter körperlicher und musikalischer Aktivität. Dafür hat er mit seinem Team Fitnessgeräte konstruiert, die modulierbare Sounds erzeugen. Drei Maschinen führt er zusammen mit einem Kollegen und Bisky im Berghain vor, wobei eine ganz gut in den Club passende Elektro-Collage entsteht. „Wenn wir das auf Kongressen mit Neurowissenschaftlern machen, geht das manchmal fünf Stunden so“, sagt Fritz. Anschließend seien alle in einem rauschartigen Zustand und die Abende sehr lustig.

Schnipo Schranke aus Hamburg singen deftige Texte

Ekstase und Spaß gibt es nebenan in der Kantine auch ohne Sportgeräte. Schweiß fließt dafür in dem total überhitzten Flachbau reichlich. Zuerst sind Mary Ocher & Your Government dran. Die in Moskau geborene, in Israel aufgewachsene und seit acht Jahren in Berlin lebende Musikerin wird seit einiger Zeit von zwei Schlagzeugern begleitet, was ihrem Lo-Fi-Pop vor allem live eine viel größere Power verleiht. Mal mächtig polternd, mal souverän groovend begleiten Oliver Rivera-Drew und Stefan Widdess die Sängerin, die mit ihrer Silberkrone und dem rot-silbernen Gewand wie eine außerirdische Hohepriesterin wirkt. Sie beamt ein kurzweiliges Set in die Kantine, das neugierig macht auf die demnächst erscheinende Platte des Trios.

Schon nächste Woche wird das Debüt des momentan stark gehypten Hamburger Duos Schnipo Schranke veröffentlicht, das die beiden bei Pop-Kultur erstmals vorstellen. Die Kantine ist jetzt noch heißer, weil ausverkauft. Daniela Reis und Friederike Ernst kommen barfuß auf die kleine Bühne und stellen sich mit dem ohrwurmigen „Schnipo Song“ erst mal vor: „Das ist die neue Schule, das ist Schnipo Schranke/’Ne Kurze und ’ne Kranke/Zwei Peanuts, ein Gedanke“. Neu ist ihr Sound natürlich keineswegs, Hamburger Schule, Lassie Singers bzw. Britta – all das klingt an bei Reis und Ernst, die sich an der Musikhochschule Frankfurt kennenlernten. Der Gag sind die humorvollen oft deftigen Texte, in denen es meist um missglückte Liebesdinge geht, aber auch um Spermageschmack, Tampons und „Pisse“ – so der Titel ihres kleinen Single-Hits, der vom dauergrinsenden Publikum mitgesungen wird.

Mitreißend: Neneh Cherry & RocketNumberNine

Von den Jungstars zu einer alten Bekannten: Neneh Cherry spielt in der Halle zusammen mit dem Duo RocketNumberNine, das sie schon auf ihrem letzten Album begleitet hat. Nach dem triphoppigen Beginn knallen die Musiker mächtige Drum-and-Bass-Bretter in den hohen Betonraum und setzen mit dem treibenden „Blank Project“-Titelsong einen frühen Höhepunkt. Die schwedische Sängerin ist gut drauf und gut bei Stimme, sie lacht viel, lässt ihre Locken kreisen.

Bei älteren Songs schlingt sie sich ein weißes Handtuch turbanartig um den Kopf – als wechsele sie in eine andere Rolle. Die 51-Jährige schaut nicht gern zurück: „Fuck nostalgia!“, ruft sie vor ihrem 26 Jahre alten Hit „Manchild“, den sie in einer Art Remix-Version präsentiert. Genau wie schon bei „Woman“ und später bei „Buffalo Stance“ sind nur Gesang und Text weitgehend originalgetreu. Dazu rattern und tackern neue Rhythmus-Spuren. Eine mitreißende Performance an einem gelungenen Festivaltag.

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