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Mia Mieze

© ddp

Pop: Liebesmonster

Und jetzt alle: Die streitbare Berliner Band Mia hat ein Album aufgenommen, dem man sich kaum entziehen kann.

Mia nervt. Mia macht glücklich. Mia bringt Menschen zum Tanzen. Und andere zum Eierwerfen. Die Diskussion, ob die fünf Musiker der Band Mia unwiderstehlich sind oder unerträglich, eher genial oder schwer gestört, geht nun schon ins siebte Jahr. Seit die Berliner 2002 mit „Alles neu“ erstmals in den Charts waren, bezieht jeder, der Mia auch nur entfernt wahrnimmt, Position. Das liegt auch daran, dass die Band es einem so einfach macht, Zugang zu finden, nichts an ihr ist codiert oder doppelbödig. Sängerin Mieze Katz, 29, lässt alle an ihrer Gefühlswelt teilhaben, auf Konzerten glaubt man, gleich steigt sie von der Bühne und knutscht jeden im Publikum einzeln ab. Normalerweise beziehen Bands ihre Coolness durch Abgrenzung – vom Mainstream, von den anderen, vom ganzen verdammten System. Mia verzichtet auf diese Masche komplett.

Auf ihrem vierten Album, das diesen Freitag erscheint, wird das schon im Titel deutlich: „Willkommen im Club“ (R.O.T./SonyBMG). Hätten Mia tatsächlich einen Club, bräuchte der keinen Türsteher. Weil alle reindürften. Oder wie es im Begleittext zum Album heißt: Mias Universum ist „keineswegs elitär, sondern ein offener Raum für offene und wahrhaftige Menschen“. Gott, wie kitschig. Solche Sätze sind dafür verantwortlich, dass Pop-Journalisten gelegentlich an Miezes Verstand zweifeln. Dass Christiane Rösinger, Kopf der Berliner Gruppe „Britta“, Mia zur „dümmsten und nervigsten Band“ der Stadt ernannt hat. Das muss doch wehtun, oder? Wie kann man da unverdrossen weitermachen und jedem seine „positive Energie“ anbieten, wie es die Band selbst ausdrückt? „Die Katze lässt das Mausen nicht / Und das Herz, das lässt das Fühlen nicht“, heißt es in „Mausen“, dem vielleicht stärksten Stück des neuen Albums. Als ob nichts gewesen wäre. Ist nichts gewesen?

Anruf bei Mieze. Ihre Stimme klingt ein bisschen gestresst. Aber sie nimmt sich Zeit. Wie lange haben wir? Solange es dauert, entgegnet sie. Und dass sie genau wisse, dass „etliche Menschen nichts mit uns anfangen können“. Das sei okay. Was Mieze mehr irritiert, ist ein anderes, grundlegendes Problem. Die Leute fremdeln, sagt sie. Wenn abends in Berlin die Straßen leer seien, dann trügen selbst die wenigen Menschen, die man dort treffe, alle diesen Gesichtsausdruck. Der sagen wolle: „Komm mir bloß nicht zu nahe.“

„Der Drang nach Abgrenzung war in unserer Gesellschaft noch nie so präsent wie heute“, sagt Mieze. Und dass ihre Band dagegen anarbeite. „Wir wollen Menschen zusammenführen und versöhnen und trösten.“ Wenn Mieze so etwas sagt, klingt es gar nicht seltsam. Erst beim Abhören der Tonbandaufnahme kommen Zweifel.

Auf „Willkommen im Club“ haben Mia ihren Sound gefunden. Das Rotzige früherer Alben ist weg, geblieben ist tanzbarer, geschliffener Pop. Schwer zu glauben, dass diese Band mal in die Schublade „Elektro-Punk“ passte. Damals klangen Mia stark nach Ideal, und kurioserweise wurde ihnen auch das zum Vorwurf gemacht. Heute heißen ihre Artverwandten Klee, Paula und 2Raumwohnung. Von den elf Liedern auf dem Album ist – von einem überflüssigen Instrumentalstück abgesehen – jedes eine potentielle Single.

Und selbst der fundamentale Mia-Verneiner wird sich diesen Herbst womöglich dabei erwischen, wie er im Club oder Café oder bei Douglas zu einem Mia-Song mit dem Fuß wippt. Wer das Album am Stück hört, kann sich leicht berauschen an Miezes hellem Gesang, an den glückseligen Melodien, an poppigen Riffs und allerhand elektronischen Spielereien. Da passt es auch, dass Mieze zwischendrin immer wieder auf Text verzichtet und lautmalt. Ihre „Aah-ha-aa“s und „Mhmbab-Babah“s tragen bis zum Ende.

In den Texten geht es, natürlich, wieder um die Liebe. Mia ist die Band der hungrigen und tanzenden Herzen, und das soll so bleiben. Neben Leidenschaft, Orgasmusglück und Bindungslust besingt Mieze nun auch eine Form der Zuneigung, die auf den ersten drei Alben zu kurz kam: Freundschaft. Nicht so eine oberflächliche, wie man sie heute auf Myspace abschließt. Sondern eine enge, unbedingte, wie sie zum Beispiel im Laufe einer elfjährigen Bandgeschichte entsteht.

So lange gibt es Mia jetzt, bei ihrer Gründung gingen Mieze und Gitarrist Andy Penn noch auf die John-Lennon-Oberschule in Mitte. Die anderen Bandmitglieder vermittelte Mitschülerin Sarah Kuttner. Der Song „Mein Freund“, der vorab als Single ausgekoppelt wurde, darf nun als gegenseitige Liebeserklärung der Musiker verstanden werden. Befreundet sein bedeute auch, dem anderen seine Macken nachzusehen, sagt Mieze. Sie selbst habe davon einige. „Ich bin schwer greifbar, hektisch, ungeduldig. Ich kapier schon, warum Freunde auch mal zu mir sagen: Mieze, Du bist mir heute zu viel.“

Einmal mussten die fünf Freunde zusammenrücken. Das war 2003, damals hatte sich die Band entschlossen, nicht mehr nur die Liebe zwischen Menschen zu thematisieren, sondern auch die Liebe zum deutschen Vaterland. Anstoß war der Irakkrieg und die Erkenntnis, dass Deutschland wegen seiner ablehnenden Haltung zum Einmarsch plötzlich im Ausland äußerst beliebt war – zumindest im amerikakritischen. In „Was es ist“ feierten die Berliner, nicht mehr fremd im eigenen Land zu sein und dass man sich jetzt „nicht mehr Leid“ tue, wenn man nach der Herkunft gefragt werde.

Für so viel Naivität gab es wüsten Widerspruch, von der Antifa und von Bands wie Blumfeld und Tocotronic. Ein Konzert in Berlin musste die Band abbrechen, weil sie von Studenten beworfen wurde. Sie hätte damals Anstoß geben wollen, sagt Mieze am Telefon. Und dass es sie langweile, dazu noch Fragen gestellt zu bekommen. Dann fängt sie wie zum Beweis an, laute Geräusche zu machen. Will sie kochen? Oder raschelt sie mit Einkaufstüten, des bloßen Geräusches wegen? Jetzt wird Mieze einem zu viel. Und zu laut. Ein guter Freund hätte sicher Verständnis.

Mia treten gegen Ende ihrer „Willkommen im Club“-Tour am 21. Februar 2009 in der Berliner Arena auf.

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