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Pop: Schwoof und Sternenstaub

Vom Ballroom-Feger zur Retropop-Sängerin: Die Niederländerin Iris Romen ist gern von gestern. Ein Treffen in historischer Kulisse.

Mein Güte, wird hier was leer getrunken. Jetzt rasseln die Kerle vom Getränkehandel schon seit einer Dreiviertelstunde mit Paletten voller Altglaskisten über die Tanzfläche von Clärchens Ballhaus und ein Ende ist nicht in Sicht.

Mittags gähnt der Tanzboden leer, das Lametta an den Wänden glimmert mild, rosa Nelken leuchten auf den Tischen, Tanzmusik umspült ein paar versprengte Kaffeetrinker und Salatesserinnen. Iris Romen hat die fürs Foto mitgebrachte Gitarre neben sich auf den Stuhl gelegt, eine Lederjacke über das kleine Schwarze gestreift und erzählt von früher, aus ihrer Heimatstadt Maastricht. Da hat sie bis 2001 am Konservatorium Jazzgesang studiert, nebenher im Supermarkt an der Kasse gejobbt und sonnabends immer André Rieu abkassiert. Was das mit der musikalischen Karriere der Niederländerin zu tun hat, die seit Jahren eine feste Größe in Berlins Liveclubs ist und nun ihr bei Chet Records erschienenes Solodebüt mit zwei Konzerten vorstellt? Nichts, ist einfach nur eine nette Episode, die die anmutige Iris Romen anmutig erzählt.

Seit 2004 lebt sie in Berlin. Und auf diesem Tanzboden bei Clärchens in der Auguststraße hat gewissermaßen ihre professionelle Karriere begonnen. Als zeitgemäße Ausgabe einer klassischen Ballroomsängerin. Wie das genau kam? Iris Romen atmet ein, öffnet den roten Lippenstiftmund und schickt sich an, zu antworten. Da scheppert das nächste Altglasgebirge heran. Sie stutzt, horcht, reißt den Arm hoch und jubelt: „Oh, ich liebe diesen Song!“ Auch eine Antwort. Aber welchen Song? Da ist doch gar nichts außer Transportkrach und einer einsamen Klarinette, die vielleicht zu einem zögerlich anlaufenden Intro gehört. Iris Romen reicht das. Die Musik der Fünfziger und Sechziger hat sie quer durch alle Musikstile tiefeninhaliert. Da kommen auch schon Titel und Komponist: „,Io, Mammeta E Tu’’, sagt sie, „von Renato Carosone und seinem Orchester.“ Ein italienischer Sänger, Komponist und Orchesterchef der Fünfziger. „Er hat sehr gekonnt nordafrikanische Rhythmen mit neapolitanischer Liedtradition verknüpft und reich instrumentiert.“ Und dann folgt noch der eine oder andere Querverweis ins Musiklexikon seiner Zeit.

Ja, Iris Romen ist von gestern. Freiwillig. Sie will gar nicht von heute sein. Musikalisch sowieso nicht. Und auch sonst nicht um jeden Preis. Sie fürchtet keine Nostalgie, mag altmodische Dinge und die Kraft funktionierender Klischees, wie sie in vielen amerikanischen Standards zum Ausdruck kommt. „Vintage Gal Hour“ heißt das Album, das sie komponiert, getextet und mit dem Country-Musiker Johnny Bluth produziert und mit analogem Equipment eingespielt hat. Mit Country-, Latin- und Jazz-Zitaten und in Rhythmik, Instrumentierung und Arrangement natürlich an Romens geliebten Klangbildern der fünfziger und sechziger Jahre orientiert. Etwa bei der tollen Nummer „Tabou“, die sich direkt für den Soundtrack des nächsten Tarantino-Films empfiehlt.

Was der Vintage-Mädchen-Titel heißen soll? Darüber grübelt Iris Romen, die mit ihrem Schlagzeuger Sascha Bachmann dazu auch gleich noch das passende neue Genre „Vintage Pop“ erfunden hat, immer noch. Stunde des altmodischen Mädchens? Traditionsmädchenstunde? Edelmädchenstunde? Sie zuckt die Schultern, eine Haarsträhne löst sich hinterm Ohr und fällt ihr ins entwaffnend lächelnde Gesicht. Die zwölf Songs seien Mädchenlieder, sagt sie. Und das heißt? „Meine Gedanken halt – nicht cool, nicht laut, ein bisschen belanglos, aber sehr wichtig für mich.“ Oops, Letzteres würde zweifellos jeder Songwriter unterschreiben, die drei Adjektive davor wohl kaum. Auf Teufel komm raus renommieren will Iris Romen ganz sicher nicht. Nichts als nur ein schönes Mädchen mit einem geschmeidigen Mezzosopran sein aber auch nicht. Das stellt sich gleich ein paar Schlucke Kaffee weiter raus. Sie habe auf ihrem langen musikalischen Weg ausgiebig die Härte der Branche gespürt, und als alleinerziehende Mutter in Prenzlauer Berg zu leben sei auch nicht ohne. „Ich muss oft die Ärmel hochkrempeln und ziemlich Macho sein“, sagt sie.

Wenn sie live auftritt sowieso. Sei es als Kontrabassistin der Bluegrass- und Rockabilly-Band The Runaway Brides im Kaffee Burger oder im White Trash. Als Sängerin und Kontrabassistin auf Tour mit dem Schauspieler und Sänger Ben Becker. Oder in großen Konzertsälen als Sängerin des Andrej Hermlin Swing Dance Orchestra. Da ist sie immer noch die Ballroomsängerin, als die sie 2005 hier in Clärchens Ballhaus angefangen hat. Immer sonnabends spielten Iris Romen und die Ballhausband zum Schwoof. Zuerst versuchten sie, Schlager der Dreißiger funky zu verpacken und wurden vom Traditionspublikum ausgepfiffen. Dann entdeckten sie die Schlager von Caterina Valente und avancierten damit zur Stammkapelle alter und neuer Mitte-Bewohner.

Oben im verwitterten Spiegelsaal hat sie Vierziger-Jahre-Swing, Kuba- und Johnny-Cash-Abende gemacht. „Dieses Haus strahlt so eine Sehnsucht aus“, sagt Romen völlig unbeeindruckt davon, dass die Zugluft und das Geklirr gerade eher die Atmosphäre einer Bahnhofshalle heraufbeschwören. Abends, wenn die Musik spielt und die Paare umeinander kreisen, hat es dieselbe melancholische Patina, die die Musik der Fünfziger und Sechziger zu Romens Herzenssache macht. Der Verdacht, mit ihrem „Vintage Pop“ auf die nie mehr endende Retrowelle aufzuspringen, perlt an ihr ab. Musik, die mit Herz und Klasse gemacht sei, habe gar keine bestimmte Zeit, sondern immer nur zeitlose Qualität, findet Iris Romen.

Und Sängerinnen, die als hübsches Sahnehäubchen vor einem Orchester stehen, haben irgendwann den Kanal voll. Sie jedenfalls. „Immer diese Musikerkommentare: Die hat keine Ahnung, spielt kein Instrument – die ist ja nur die Sängerin.“ Da hat sie beschlossen, auch Solokarriere zu machen. Und zur Gitarre und dem Fender Rhodes Piano noch was Unübersehbares und schwer zu Transportierendes zu lernen – nämlich Kontrabass. Genau das Richtige für kernige Mädchen. Selbst wenn sie solche Sachen sagen: „Den Glauben an kleine Wunder und kindliches Staunen in mir lebendig zu halten, das ist meine Form von Protest.“ Das hat jetzt auch der kleine Glitzerstern gehört, der vielleicht noch vom Vorabend unter Iris Romens rechtem Wangenknochen blitzt.

Und nicht nur der. Schon wieder erklingt im Clärchens ein Song, der die zeitlose Musik verkörpert, die sie mag. „Stardust“ von Hoagy Carmichael, einem amerikanischen Sänger und Komponisten der Dreißiger. „Dass der jetzt ausgerechnet läuft, ist schon ein kleines Wunder!“, sagt die Sängerin glücklich. Dass das verdammte Altglas endlich weg ist, aber auch.

Konzerte: Heimathafen Neukölln, Karl-Marx-Str. 141, Freitag, 12.4., 21 Uhr; Kammerspiele Kleinmachnow, Karl-MarxStr. 18, So, 14.4., 19 Uhr

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