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Kultur: Pop will eat itself

Ein

von Gerrit Bartels

Der 70. Todestag ist hierzulande für Schriftsteller und deren Angehörige und Erben ein besonderes Datum. In seiner Folge entfällt nach deutschen Recht das Copyright. Die Texte sind dann gemeinfrei und jeder darf sie drucken, zumindest in den ursprünglichen, nicht nachträglich von einem Herausgeber bearbeiteten Fassungen. So ist seit diesem Jahr das Werk Kurt Tucholskys freigegeben, und so passiert das in zwanzig Jahren mit den Werken von Gottfried Benn oder Bertolt Brecht.

In England sorgt nun gerade der Beschluss einer Sichtungskommission des Finanzministeriums für Aufsehen: Englische Bands sollen das Copyright auf ihre Songs nicht 95 Jahre lang haben, wie das in den USA der Fall ist, sondern nur 50 Jahre. Will heißen: Songs der Beatles und der Rolling Stones dürfen beliebig und kostenfrei gesampelt und nachgespielt werden, auf was für Ton- und Datenträgern auch immer, beginnend mit dem Jahr 2012, da die Beatles mit „Love Me Do“ ihren ersten Hit hatten. Das ist bitter für McCartney, Jagger und Co. und für ihre Kinder und Kindeskinder – obwohl Letztere sich um ihr Auskommen das gesamte 21. Jahrhundert hindurch sicher keine Gedanken mehr machen müssen. Das ist noch bitterer für weniger berühmte Bands mit nur ein oder zwei Hits.

Das zeigt aber auch einmal mehr, wie Pop in die Jahre gekommen ist: Die Sechzigjährigen stehen auf The-Who-Konzerte und skandieren „My Generation“. Die Fünfzigjährigen gehen mit ihren Teenager-Kindern auf Mando-Diao-Konzerte. Und, schaut man sich die Plakate an den Bauzäunen dieser Stadt an: Selbst die Moody Blues finden weiterhin ein Publikum. Vor allem aber zeigt es, dass Pop noch viel, viel schlimmer in die Jahre kommen wird und bald gar am Krückstock geht: noch mehr fiese Stones-Alben und Stones-Welttourneen, noch mehr miese Who-Alben und Who-Gedenktourneen, noch mehr Moody-Blues-Konzerte, wenn „Nights in White Satin“ nichts mehr einbringt. „Von 2008 an“, so Cliff Richard, der in England vehement gegen diese Regelung kämpft „verliere ich alle drei Monate einen Song.“ Das klingt dramatisch - aber auch wie die Drohung, selbst auf dem Totenbett noch Songs zu komponieren.

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