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Afghanistan: Pink Mail: Rock für die Bundeswehr

Eine Woche lang spielt die Band Pink Mail für Bundeswehrsoldaten in Afghanistan: AC/DC, Ärzte, Kiss. „Bisschen Nervenkitzel darf sein“, sagt Jürgen Axler, der Gitarrist, bevor es losgeht. Doch dann ist der Krieg plötzlich ganz nahe

Dreieinhalbtausend Meter über Afghanistan umkrampfen Volker Trentzschs Hände eine Cola-Dose. Sein Blick ist unruhig, seine Jeansjacke hoch geschlossen, es ist kalt im Laderaum der Transall C-160. Durch ein verkratztes Bullauge flackert von Propellern zerhacktes Sonnenlicht ins Innere der Maschine. Trentzschs Kollegen, die drei Musiker der Rockband Pink Mail, dösen in ihren dunkelgrünen Stoffsitzen immer wieder weg, auch das Dutzend Soldaten im Laderaum hat dem einlullenden Dröhnen der Motoren nachgegeben. Im Schlaf halten sie ihre Gewehre im Arm. Nur Trentzsch, der Sänger, ist hellwach.

„Nicht müde?“ Die Frage steht wegen des Motorenlärms auf einem Notizblock. Trentzsch liest, schüttelt den Kopf. „Aufgeregt?“ Er nickt. Vor drei Tagen hat der massige 40-Jährige mit seiner Band im nordafghanischen Masar-i-Scharif gespielt, heute sollen sie im Nato-Hauptquartier in Kabul auftreten. „Da ist mehr los“, haben die Soldaten in Masar gesagt. „Da ist Krieg.“ Als die Bundeswehrmaschine nach einer Stunde Flug in der afghanischen Hauptstadt aufsetzt, ist die Cola-Dose in Trentzschs Händen platt.

Vier Wochen vorher, 6000 Kilometer westlich. In Hauenhorst bei Rheine, tiefste westfälische Provinz, wuchtet Jürgen Axler einen Gitarrenverstärker auf die Pritsche eines Lasters, die Pink Mail an diesem Abend als Bühne dient. Während er Kabel zusammensteckt, setzt in Köln/Bonn ein Bundeswehr-Airbus mit dem Sarg eines getöteten Soldaten zur Landung an. „Feige Schweine“, sagt Axler. Er meint die Taliban, die für den Tod des 21-Jährigen verantwortlich sind. Sorgen um seine Sicherheit bei der bevorstehenden Konzertreise macht der Gitarrist sich trotzdem nicht. „Wenn das gefährlich wäre, würde uns die Bundeswehr doch gar nicht fliegen lassen.“

Axlers Bandkollegen denken ähnlich. Bis auf Holger Borowsky, den Schlagzeuger, der sich entschlossen hat, nicht mitzufahren. Ironischerweise ist er der einzige in der Band, der Wehrdienst geleistet hat. „Bundeswehr? Da hab’ ich keinen Vertrag mit“, sagt er, und damit ist das Thema für ihn erledigt. Auch der Band hat er nicht mehr erzählt. „Vielleicht ist er jetzt der einzige, der überlebt“, witzelt Jürgen Axler. Volker Trentzsch grinst nur schief. Dann geht die Band auf die Bühne. Im Publikum sind viele Freunde, der Auftritt ist Routine. Rund 500 Shows haben Pink Mail in 25 Jahren gespielt, auf Stadtfesten, Hochzeiten oder wie heute bei einem Motorradclub. Sie sind eine Coverband, sie spielen Rockklassiker, von AC/DC bis Westernhagen.

Erst später, nach zwei Stunden Rock’n’Roll und ein paar Whisky-Cola gibt Volker Trentzsch zu, dass er schon etwas Angst hat. Es war Jürgen Axlers Idee, zur Truppenbetreuung nach Afghanistan zu fliegen. „Ich war drei Mal als Polizeiausbilder in Bosnien“, erzählt der 47-Jährige. „Deshalb wusste ich, dass das möglich ist.“ Von seinem letzten Einsatz in Bosnien kam Axler mit Burn-out-Syndrom zurück. Der Stress, die Verantwortung, die Toten. Trotzdem: „Unsere Jungs müssen in Afghanistan diesen Scheißjob machen“, sagt er. „Wir wollen denen etwas Spaß bringen.“ Dass Deutschlands Sicherheit am Hindukusch verteidigt wird, daran hat Axler keinen Zweifel. „Das ist ein Land, in dem radikale Islamisten ausgebildet werden“, sagt er aufgebracht. „Ich will nicht wissen, wie viele Schläfer es hier schon gibt.“

Im Frühjahr griff Axler zum Telefon. Der Apparat, den er erreichte, steht im Büro von Dominik Kümmel, Henning-von-Tresckow-Kaserne, Geltow bei Potsdam, Einsatzführungskommando der Bundeswehr, hellbraune Schreibtischplatte, hellbraune Vorhänge. Der 27-jährige Hauptmann trägt Tarnuniform. Seit zwei Jahren organisiert Kümmel die Betreuung der Bundeswehrtruppen im Ausland. Feldpost, Sportmöglichkeiten und eben das Unterhaltungsprogramm. Mehr als 50 Künstler hat Kümmel in den letzten zwei Jahren losgeschickt. Peter Maffay war in Afghanistan, die No Angels und Karat sangen im Kosovo.

Die Soldaten sollten mal abschalten können, sagt Kümmel. Am besten gehe das mit Coverbands wie Pink Mail, da könnten die Leute mitsingen. Kümmel war selbst ein paar Monate in Afghanistan. „Da ist man dankbar für jede Abwechslung.“ Man erwarte von den Bands ein gewisses Maß an Idealismus. Gage wird nicht gezahlt, die Bundeswehr übernimmt nur Transport, Kost und Logis. Anders als seine Kollegen von der amerikanischen Betreuungsorganisation Uso hat Kümmel kein eigenes Budget.

Mehr als für Geld interessieren sich Pink Mail sowieso für das Abenteuer. Die Reise sei für ihn auch eine Suche nach Grenzerfahrungen, sagt Jürgen Axler auf der Rückfahrt nach dem Konzert in Hauenhorst. „Ich muss nicht im Schützengraben liegen, aber mit dem Spähwagen durchs Gelände, das wäre schon aufregend. Bisschen Nervenkitzel darf sein.“

Je näher der Kitzel kommt, desto größer werden allerdings die Bedenken. Eine Stunde vor dem Abflug vom militärischen Teil des Köln-Bonner Flughafens steckt sich Andreas Brink eine Zigarette an. „Gut geschlafen hat letzte Nacht keiner von uns“, sagt der Bassist. Der Wartebereich des Flughafens wirkt provisorisch: ein Zelt neben dem Rollfeld, der Boden aus Brettern, freiliegende Kabel, es gibt Würstchen und Kaffee. Die letzten Tage hat die Band mit dem Packen des Equipments verbracht. 27 Kisten sind es geworden, Gitarrenkoffer, Gesangsanlage, Drums, zusammen 650 Kilo, ausgewogen mit der Badezimmerwaage. Die Gewichtsbeschränkungen sind streng.

Die Nachrichten haben alle in den letzten Wochen mit gemischten Gefühlen verfolgt. Manche Bekannten hätten sie für bekloppt erklärt, sagen sie. Frauen und Freundinnen machen sich Sorgen. Jürgen Axler wirkt angespannt. Erst in ein paar Tagen wird er verraten, dass er kurz vor dem Abflug dasselbe niedergeschlagene Gefühl hatte wie nach der Rückkehr aus Bosnien. „Was ist denn los?“, fragen die anderen, als er in den Airbus steigt. „Nix“, sagt Axler.

Als die Band in Masar-i-Scharif aus dem Flugzeug steigt, streckt die Hitze sie fast nieder. 45 Grad im Schatten, die Luft ist trocken und staubig. Das 2000 Meter hohe Marmal-Gebirge ist nur verschwommen zu erkennen. Zwei mal drei Kilometer misst das nach den Bergen benannte „Camp Marmal“. 2300 Soldaten aus 16 Nationen leben hier, zwei Drittel davon Deutsche. Die beigefarbenen Baracken stehen in Reih und Glied. Sie sehen sich so ähnlich, dass sich anfangs alle verlaufen, die neu im Lager sind.

Masar-i-Scharif ist das Versorgungscamp für das Regionalkommando Nord. Wer im Norden des Landes eingesetzt wird, kommt hier durch. „Jeder Tag ist Mittwoch“, sagen die Soldaten, weil sie sieben Tage die Woche arbeiten, oft zwölf Stunden am Tag. Die berühmte blaue Moschee in der 16 Kilometer entfernten Stadt kennen viele nur von Bildern. Zwei Drittel der hier Stationierten verlassen das Camp während ihrer Dienstzeit nie. Wie lange die noch dauert, zeigt auf vielen Computern ein Bildschirmschoner an. Eine Uhr zählt die Stunden, eine Anzeige den angesammelten Auslandszuschlag. 110 Euro gibt es täglich. Steuerfrei.

Stress entsteht weniger durch akute Bedrohung – seit Jahren sind hier keine Raketen mehr gefallen – als durch die Lebensumstände: die Hitze, die Trennung von der Familie, die kaum vorhandene Privatsphäre, die dauernden Erkältungen wegen der Klimaanlagen. Die Band wirkt ein wenig enttäuscht. Krieg haben sie sich anders vorgestellt. Aufregender, existenzialistischer. Ohne Cappuccino, Sonnendeck und Beachvolleyballfeld. „Camp Holiday“ spotten die Soldaten, die in Kundus oder Faisabad auf Patrouille gehen müssen, erfährt die Band. Dass Krieg herrscht, erkennt man hier nur an den auf Halbmast hängenden Flaggen am Ehrenmal.

Nächster Tag. Es ist genau 22 Uhr 30, als Volker Trentzsch auf der Bühne verschwitzt in die Knie sinkt, die Hände am Mikrofonständer, die Augen geschlossen. Im Chor brüllen ihm 500 Soldaten den Gassenhauer „Oh, wie ist das schön“ entgegen, mit glänzenden Augen hüpfen sie Arm in Arm, ihre Stiefel knirschen im Kies. „Ihr bringt den Funken Hoffnung“, schreien zwei Uniformierte der Band im breitesten Sächsisch zu.

Zweieinhalb Stunden haben Pink Mail gespielt, am Anfang waren sie sichtlich nervös. Verunsichert hatte sie schon, dass der Soldatensender ihr extra für die Truppe geschriebenes Lied „Afghanistan“ nicht spielen wollte. Die Zeile „Auch wenn die Lage Scheiße ist, wir bleiben trotzdem hier“ entspreche nicht dem Selbstverständnis der Bundeswehr, hieß es. Auch dass nur zwei Dosen Bier pro Person erlaubt sind, fördere nicht gerade die Stimmung, sagt Andreas Brink in der Pause. Erst nach einer halben Stunde bricht das Eis. Bei „Sexy“ gehen die ersten Finger in die Luft, bei „Westerland“ fangen einzelne an mitzusingen. Bei „Auf gute Freunde“ von den Böhsen Onkelz grölt dann der ganze Saal mit.

Nach der Show steht Andreas Brink am Bühnenrand. Die Militärpolizei schickt die letzten Soldaten nach Hause, um 22 Uhr 45 muss der Saal leer sein. „So einen Enthusiasmus hab’ ich noch nicht erlebt“, sagt Brink, während er sich mit zitternden Fingern eine Zigarette rollt. Gerade hat er ein Autogramm geschrieben. Das passiert nicht so oft. Er weiß nicht, was er sagen soll.

Als er ein paar Tage später am Flughafen Kabul vor einem gepanzerten „Dingo“ steht, geht es ihm ähnlich. Eingeschüchtert betrachtet er den mächtigen Wagen, der die Band durch die Stadt ins Hauptquartier fahren soll. In Deutschland hatte er noch Witze gemacht, dass sie vielleicht mit dem Panzer zum Konzert gebracht würden. Nun, als es so weit ist, vergeht ihm das Lachen. Als die Türen einrasten und ohne Ankündigung der Luftdruck erhöht wird, damit das Wageninnere luftdicht versiegelt werden kann, ist auch Oliver Ross plötzlich still. Am Vorabend, nach vier Tagen Masar-i-Scharif, hatte der 33-jährige Schlagzeuger noch gesagt, ein bisschen mehr Action wäre auch okay. Und plötzlich ist der Krieg da.

Das Nato-Hauptquartier ist das krasse Gegenteil von Masar-i-Scharif. Auch hier sind 2000 Soldaten stationiert, allerdings auf gerade mal 200 mal 300 Metern. „Eine permanente Baustelle“, sagt ein hier stationierter Offizier. Überall sieht man Panzerwagen, überall schwer Bewaffnete. Auch hier hängen die Flaggen auf Halbmast, in Kabul aber scheint der Band das zum ersten Mal wirklich aufzufallen. Statt im Zelt landen sie diesmal in einer Baracke. An den Wänden klebt undefinierbarer Schmier, die Decken der Duschcontainer sind schwarz vor Schimmel. Als sie dann auch noch erfahren, dass der Konzertsaal eine Pizzeria ohne Bühne und Lichtanlage ist, dass die Instrumente am Flughafen festhängen und das Essen selbst bezahlt werden muss, ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt. „Das kann doch nicht sein“, motzt Volker Trentzsch, der selbst Konzerte organisiert. „Wenn ich so arbeiten würde, wäre ich pleite.“

Das Gefühl der Bedrohung schlägt um in Ärger. Plötzlich steht die Frage im Raum, ob die Bundeswehr die Band vielleicht auch instrumentalisiert, ob das, was sie hier tun, eben doch eine Art von Kriegsdienst ist, wie Kritiker meinen, die bei Truppenbetreuung von psychologischer Kriegsführung sprechen.

Auch in der Heimat liegen die Nerven blank. „Du hast doch versprochen, ihr geht nicht raus“, jammert Oliver Ross’ Freundin am Telefon, als sie von dem Panzertransport erfährt.

Mehr trotzig als motiviert beginnen Pink Mail um 20 Uhr ihren Auftritt. Die Soldaten sitzen an Tischen mit Papierblumen. Viele Amerikaner sind da, viele Mazedonier, eine Handvoll Deutsche. Die Veranstaltung ist eine kollektive Party für alle Soldaten, die in diesem Monat Geburtstag hatten. Als die Band anfängt, wird gerade der Kuchen angeschnitten. Wer sein Stück hat, muss sich wieder setzen. Tanzen ist nicht drin. Befehl.

Trotzdem halten Pink Mail durch. Stoisch spulen sie ihr Set ab. Wegen des internationalen Publikums gibt es mehr englischsprachigen Rock. ZZ Top kennen auch die Italiener, die Rolling Stones auch die Franzosen. Neugierige mit Sturmgewehr auf dem Rücken gucken in den Raum. Viele bleiben. Die Band macht weiter. Nach einer Weile wird geschunkelt, kurz darauf mitgesungen, und um halb zehn liegen sich 150 Soldaten zu „Country Roads“ in den Armen. Zwanzig Minuten später springen – Befehl hin, Befehl her – zwei deutsche Soldaten vor der Bühne herum. Einer der beiden hat beim vorhergehenden Song einem Vorgesetzten zu Westernhagens Zeile „Du lässt ihn deine hohen Stiefel lecken“ die seinen hingehalten, ein dickes Grinsen im Gesicht. Jetzt schüttelt er seinen Kopf zu AC/DC. „Thunder!“, brüllen die Zuschauer. Die Offiziere lächeln, sagen nichts. Punkt zehn ist eh Ruhe. Darauf können sie sich verlassen.

Die Band ist sichtlich stolz beim Aufräumen nach dem Konzert. Wirklich entspannt fühlt sich trotzdem niemand. Als ein Luftballon platzt, fährt Volker Trentzsch erschrocken zusammen. „Ich bin froh, wenn ich hier raus bin“, sagt er.

Das gleiche sagt auch einer der beiden Soldaten, die beim Auftritt getanzt haben, ein 28-jähriger Stabsgefreiter, dessen Kopf noch immer glüht. Vier Tage hat er noch, dann darf er zurück nach Deutschland. Die letzten vier Monate war er täglich auf Patrouille. Viel Stress, sagt er. Die Schießereien, die bettelnden Kinder, die ans Panzerglas klopfen, die Geschichten von Kameraden, die zu Hause mit posttraumatischem Stress zu kämpfen haben. „Bei so einem Konzert kann man das alles mal vergessen“, sagt er. Er wirkt ehrlich dankbar.

Drei Tage später sitzt die Band wieder im Airbus Richtung Deutschland. „Hat sich gelohnt“, sagen die Musiker, immer noch gerührt von den enthusiastischen Reaktionen. Trotzdem wirken sie müde. Volker Trentzsch reibt sich die Augen, zieht die Nase hoch, er ist ein bisschen erkältet. Und froh, dass der Krieg für ihn vorbei ist. Die Soldaten müssen noch ein paar Monate durchhalten. Wann die nächste Band kommt, wissen sie nicht.

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