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Bayreuth

© dpa

Bayreuth: Glaube, Hügel, Hoffnung

Deutsche Verhältnisse: Morgen beginnen die Bayreuther Festspiele. Sie geben sich innovativ – und fürchten die Zukunft.

Mit welchen Erwartungen und heiteren oder unheiteren Empfindungen fährt die Musikwelt diesen Sommer wohl nach Bayreuth? Alles anders, alles neu im Jahr von Wolfgang Wagners heftig beschworenem, herzhaft begrüßtem Abschied?

Die Frage stellt sich nicht. Jedenfalls dürfte zum jetzigen Zeitpunkt niemand etwas Befriedigendes darauf zu antworten wissen. Die offizielle Bewerbungsfrist im offiziell laufenden Wolfgang-Wagner-Nachfolgeverfahren endet satzungsgerecht am 30. August. Bis dahin ist – offiziell – alles offen. Inoffiziell gilt zwar als sicher, dass die beiden frisch miteinander turtelnden Wolfgang-Töchter Eva und Katharina das Zepter übernehmen werden, doch „nichts Genaues weiß man nicht“, wie der Bayer sagt. Dazu ist die ganze Sache auch juristisch viel zu heikel.

Ein Neuanfang also, der so recht keiner sein will oder sein kann im Lichte eines langen Sonnenuntergangs. Einerseits war klar, dass seit geraumer Zeit nicht der greise Wolfgang die künstlerischen Geschicke und Geschäfte auf dem grünen Hügel lenkte, sondern dessen zweite Frau Gudrun. Spätestens nach ihrem überraschenden Tod vergangenen November schnappte sich Kronprinzessin Kathi die Steigbügel. Auf ihre etwas ungestüme Initiative zuallererst gehen Regisseursnamen wie Marthaler, Schlingensief, Neuenfels oder auch aktuell der des Norwegers Stefan Herheim zurück – der Einzug des Regietheaters ins Bayreuther Festspielhaus mit reichlich zehnjähriger Verspätung. Aber immerhin.

Andererseits und nach allem, was bislang ruchbar wurde, haben Eva und Katharina nicht vor, das Bayreuther Rad neu zu erfinden. Wo ihr Vater Wolfgang 1951 an der Seite seines Bruders Wieland nach tiefgreifenden nationalsozialistischen Verquickungen zum Radikalschnitt ansetzen musste, ideologisch, ästhetisch, kosmetisch, da bauen die Mädels 2008 auf Kontinuität. Alles soll bleiben, wie es war. Ein Paradox: Gerade durch die pflegliche Verweigerung des Neuen im Neuanfang beleben sie den Mythos Bayreuth. Seit 1876 speist dieser sich aus exakt solcher Ambivalenz: Hier die größenwahnsinnigste, verführerischste Kunst-Utopie der Jetztzeit, der musikalische Erfüllungsort an sich, und da Konvention, Ungenügen, Hasenherzigkeit, Scheitern, oft vorprogrammiert und mit Häme bedacht. Das vor allem gehört zum Ritual und war weder zu Cosimas noch zu Winifreds Zeiten anders.

Nirgendwo auf der Welt ist die Differenz zwischen dem Anspruch eines Oeuvres und den aktuellen Realitäten so schmerzlich erfahrbar wie auf dem Grünen Hügel. Nirgendwo sonst aber wohnt der Schmerz auch so nah bei der Wonne. Dass Wagner etwas für Masochisten sei, wusste schon der alte Nietzsche. Oder, um es mit Leonard Bernstein zu sagen (der leider nie in Bayreuth dirigiert hat): Ich hasse Wagner, auf Knien.

Die wirklich spannende, künftigen Historikern und Soziologen hinter die Ohren geschriebene Frage wäre nun, inwieweit die Zukunft des Grünen Hügels symptomatisch ist für die des 21. Jahrhunderts. Also: Wenn sich das Unerhörte, Progressive, einst verstörend Avantgardistische der Richard-Wagner-Festspiele tatsächlich in einer neu gestalteten Homepage (auf der prompt alles Historische fehlt!) und in Public Viewings auf der grünen Wiese erschöpfen sollte und damit nichts anderes beschwört als die gefällige Medialisierung einer Marke – heißt das dann nicht auch, dass es uns allen miteinander nur mehr um die Verpackung zu tun ist, die Außenhaut, und wir uns an jeden überkommenen Inhalt klammern, nur weil er Inhalt ist?

Über die mannigfaltigen Beziehungen und Bezüge zwischen den Wagners, den Bayreuther Festspielen und der deutschen Geschichte hat der britische Journalist und Helmut-Schmidt-Biograf Jonathan Carr nun einen aufschlussreichen, detailgespickten, erstaunlich flott zu lesenden Wälzer geschrieben (Der Wagner Clan, Geschichte einer deutschen Familie. Hoffmann & Campe, 495 S., 25 Euro). Carr – der vor wenigen Wochen im Alter von 66 Jahren starb – mag kein großer Quellenkundler und -grübler gewesen sein, auch sind seine Sympathien klar verteilt, liegen durchaus bei Wolfgang und dessen verschrobenem, verlorenem Sohn Gottfried, weniger bei den Wieland-Kindern (der von Wolf Rosenberg intellektuell früh infiltrierten Nike, der „hübschen“ Daphne, dem lebenslustigen Wummi). Die Siebenmeilenstiefel jedoch, mit denen Carr die Dynastie von Richard bis Katharina durchmisst, sie tun der Anschaulichkeit des Ganzen enorm gut.

Siegfried Wagner indes, Sohn Richards und Cosimas, erfährt hier eine Aufwertung als Mensch wie als Komponist, die man schwerlich teilen dürfte, und auch Winifred, die unverbesserliche Nazisse („Im Irrenhaus sind noch Plätze frei“, ätzt sie 1976 nach Chéreaus „Rheingold“), erscheint in mildem Licht. Dass die Exklusivität des Unternehmens Bayreuther Festspiele von allem Anfang an weltanschauliche, ja faschistische Folgen hatte und haben musste, ist, ganz ohne teutonischen Schaum vor dem Mund, Carrs roter Faden. Eine Figur wie der englische Rassentheoretiker Houston Stewart Chamberlain, Ehemann der Richard-Tochter Eva, spricht zweifelsfrei für diese These. Und nicht nur er.

Noch einmal also: Was lernen wir von Bayreuth, wenn es denn weiter Inbild sein soll für unsere (deutsche) Befindlichkeit? Vielleicht erkennen wir am ehesten die Gefahr darin: zu verharren, abzustumpfen, abzusterben, aus Angst und grassierender innerer Leere. Die Rettung liegt in der Kunst, in der Musik, wo sonst, und jeder Wagnerianer wird darauf schwören, dass das Werk am Ende immer über den Zeitgeist triumphiert. Mag das Werk an sich auch bloß Chimäre sein (oder die Summe seiner Aufführungen): Der Glaube versetzt hier Hügel.

Insofern und überhaupt wäre die Zeit reif für einen Erfolg und stehen die Chancen für den diesjährigen „Parsifal“-Regisseurs Stefan Herheim nicht schlecht: Die kryptische Vorgängerproduktion des Bühnenweihfestspiels in der Regie von Christoph Schlingensief entfaltete ihre Kultwirkung erst unter dem Damoklesschwert ihrer Wiederabsetzung (nach nur vier Jahren). Und die Vorjahrespremiere, Katharina Wagners „Meistersinger“-Inszenierung, litt 2007 unter gewaltigen Überfrachtungen, nicht zuletzt unter dem teils selbst entfesselten, teils dann nicht mehr einzufangenden kunstfreien Rummel drum herum.

Die vergangenen 12 Monate haben restlos alles aufgeboten, was unsere Wagners der Welt zu bieten haben. Und es ist viel geredet und geschrieben worden über wünschenswerte und weniger wünschenswerte Visionen für Bayreuth. Die „FAZ“ hat alle nur irgend des Wortes mächtige Experten abgeklappert, in den Rundfunkanstalten reißen die Roundtables nicht ab, Arte wird punktgenau eine 90-minütige Dokumentation zur Sache senden („Bayreuth: Götterdämmerung“, 31.8.). Ob Ex-Intendant Peter Jonas nun ein experimentelles Tanzzentrum fordert, der Komponist Wolfgang Rihm sich kraft seiner Leibesfülle im Festspielhaus ohnehin deplatziert fühlt, oder der Dirigent Ingo Metzmacher von Bayreuth träumt, ohne das Wort ein einziges Mal in den Mund zu nehmen: Sie alle bemühen sich, zucken merklich nicht mit den Achseln. In einer Zeit, in der die Masse Mensch hauptsächlich um des Feierns willen Feste feiert, dürfte das viel sein.

Christine Lemke-Matwey

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