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Beatles: 13 Songs, die unser Leben veränderten

PLEASE PLEASE MESingle (1963)Die Liverpooler Frühzeit, die legendären Auftritte im Hamburger Star Club kannten in Deutschland zunächst nur ein paar Eingeweihte, Musikerfreunde und die Mädchen von der Reeperbahn. In den Sommerferien 1963 war ich mit 15 als Gastschüler in England und ging mit einer Freundin zum Tanzen.

PLEASE PLEASE ME
Single (1963)
Die Liverpooler Frühzeit, die legendären Auftritte im Hamburger Star Club kannten in Deutschland zunächst nur ein paar Eingeweihte, Musikerfreunde und die Mädchen von der Reeperbahn. In den Sommerferien 1963 war ich mit 15 als Gastschüler in England und ging mit einer Freundin zum Tanzen. Das war im Seebad Weston super Mare, nahe Bristol, dort gab’s noch keine Discos, dafür aber richtige alte Tanzpaläste mit Bands, die gerade Twist spielten und mal ein bisschen rockten. In so einem wunderbaren Riesenschuppen erwähnte meine englische Freundin, dass auf der Bühne da vorne (fünf Meter vor uns) am vergangenen Wochenende eine viel bessere Band gespielt habe, vier Jungs mit komischen Frisuren, die seien gerade dabei, richtig populär zu werden. Sie hießen „The Beatles“. Nie gehört. Im britischen Fernsehen sah ich sie dann in jenem Sommer ’63 zum ersten Mal, vielleicht war’s in einem Vorläufer der wenige Monate später gegründeten BBC-Kultsendung „Top of the Pops“. Doch nach dem Ende der Sommerferien hörten wir sie plötzlich auch in Deutschland, auf AFN oder Radio Luxemburg, und es kamen die ersten Berichte über englische Teenager, die angesichts der sogenannten Pilzköpfe ganz außer sich gerieten.

Das war der Sommer von „Please Please Me“, und ich hatte John, Paul, George und Ringo leibhaftig um wenige Tage verpasst. Mit einem Schlag aber gehörten diese zunächst noch simplen Songs über meist eher ungeschickte junge und eher misslingende Lieben (bei „Please Please Me“ will das Girl nicht so recht, was der Boyfriend will) zu unserem Lebensgefühl: dieser halb raue, halb sentimentale und doch mit den ersten coolen yeahs schon so vital einfache Sound der drei E-Gitarren mit dem Schlagzeug und den drübergespielten, eingeskiffelten Mundharmonika-Akkorden von John Lennon. Drei Jahre später hatte ich dann Karten für die Beatles im Münchner Circus Krone, aber es war der Vorabend meines Lateinabiturs. Eine Freundin zeigte mir danach das Kugelschreiber-Autogramm von Paul auf ihrem tagelang ungewaschenen Handballen (sie war ihm im Circus Krone tatsächlich auf dem Weg zur Toilette begegnet). „I Want To Hold Your Hand“? Paul war damals der große Mädchenschwarm. Aber ich hätte noch lieber eine von John beschriebene Hand gehalten. Peter von Becker

I WANT TO HOLD YOUR HAND

Single (1963)

Immer wieder einmal kommt die pathetische Frage nach dem einen Song, der einen maßgeblich geprägt habe, der Song, der entscheidend gewesen sei für das weitere Leben. Meine nicht minder pathetische Antwort: Alles, was ich heute bin, was ich war, was ich wurde über die Jahre - Sänger, Gitarrist, Autor, Rockjournalist – geht zurück auf das eine, vielleicht alles entscheidende Lied: "I Want To Hold Your Hand".

Zu Beginn des Jahres 1964 traf es mich wie ein Schlag, Stromschlag, Donner und Blitz. Gleichzeitig mit der Pubertät kamen die Beatles – vier junge Typen aus England mit unglaublichen Frisuren und einer ungeheuren Energie und Frische. So etwas hatte ich noch nicht gesehen, nicht gehört. Dada-damm-dada-damm, zwei schepperige Akkorde auf elektrischen Gitarren, dazu Bass und Schlagzeug. Das war besser als Freddy Quinn, „Die Gitarre und das Meer“, besser als Tom Dooley, besser als Gus Backus und Jan & Kjeld, und alles andere davor. Und dieser elektrisierende mehrstimmige Gesang, den ich zwar nicht dem Wortlaut nach verstand, aber trotzdem sofort begriff. Dada-damm-dada-damm ... Oh yeah ah-ah-ah tejuh sah-hahm-sink, dadadada-damm, ah hohp juh andahstäähhnd. Ein neuer Sound, ein neues Gefühl, mitreißend, voller Lebensfreude. Eine neue Farbe in der Öde der biedergrauen Bundesrepublik, wo es immer noch wimmelte von alten Nazis, wo uns die Lehrer mit dem Rohrstock schlugen, wo es zu Hause Backpfeifen gab und wir den Mund zu halten hatten. Was für eine Befreiung! Alles erschien in einem neuen Licht, noch bevor die Stones und die politische Protestbewegung ins Rollen kamen. Dada-damm-dada-damm. Da wollte ich auch Gitarre spielen, als 13-Jähriger, nicht mehr so wie Freddy, „Junge, komm bald wieder“, sondern elektrisch, wild und scheppernd wie die Beatles, dada-damm-dada-damm, "I want to hold your haaaaand…", spielen wie George Harrison und singen wie John Lennon. Ich wurde Musiker, hatte eine Band, sang und spielte elektrische Gitarre, schrieb eigene Songs. Der Auslöser waren die Beatles und „I Want To Hold Your Hand“. Selber gespielt habe ich den Song allerdings nie. Jetzt probiere ich es mal wegen all der Erinnerungen: Dada-damm-dada-damm – C-C-D-C-C-D. Aber mit welchem Akkord beginnt der Mittelteil? "And when I touch you I feel happy…" - A-moll? "Keine schlechte Idee", sagt der Berliner Singer/Songwriter Chris Deschner, der alles immer im Kopf hören, und sofort die entsprechenden Akkorde nennen kann. "Eine interessante Frage. Die einzelnen Töne der Gesangsmelodie würden tatsächlich einen A-moll-Akkord ergeben", sagt er, "aber es ist D-moll. Man hört das, wenn man sich an Paul McCartneys Basslinie orientiert. Daraus ergibt sich ein D-Moll. Eine ungewöhnliche Wendung, weil D-Moll eigentlich nicht zu G-Dur passt, der Tonart, in der der Song geschrieben ist. Aber solche überraschenden Wechsel haben die Beatles eben schon damals gekannt und deswegen waren sie auch so besonders, so herausragend!" Wie wahr. Und wir erfreuen uns heute noch daran. Dada-damm-dada-damm. H.P. Daniels

YESTERDAY
Help (1965)

„Yesterday“ gehörte von Anfang an zu den Beatles-Songs, die nicht nur geliebt, sondern auch gehasst wurden. War das etwa nicht eine Schnulze? „Yesterday“ schien der Beweis dafür zu sein, dass man den harmoniesüchtigen Paul McCartney nicht alleine lassen darf – als Komponisten werden zwar, wie bei den Beatles üblich, McCartney und John Lennon angegeben, aber „Yesterday“ war ganz allein Pauls Werk. Ein kleines, kurzes Lied, nur zwei Minuten lang, dessen Melodie ihm, so die Legende, im Schlaf eingefallen ist. Sogar McCartney selbst kam die Melodie von Anfang an irgendwie bekannt vor, bis heute tauchen immer wieder Plagiatsvorwürfe auf. Das verläuft alles im Sande. „Yesterday“ ist in Wirklichkeit etwas Ähnliches wie ein Soßenfond – das, was herauskommt, wenn man alle sentimentalen Liebeslieder der Geschichte zusammenwirft und sie gemeinsam ganz langsam einkocht. Der Komponist dachte eher an Rührei.

Als provisorischen Arbeitstext verwendete McCartney die Zeilen: „Scrambled eggs – oh my baby, how I love your legs“, der endgültige Text fiel ihm beim Strandurlaub in Portugal ein. „Yesterday“ steht als meistgespielter Song der letzten Jahrzehnte im Guinness-Buch der Rekorde, es gibt etwa 3000 Coverversionen. Ich habe Verständnis für alle, denen „Yesterday“ auf die Nerven geht. Mir ging der Song auch lange auf die Nerven. Ich habe Jahre gebraucht, um zu begreifen, wie großartig er ist und wie viel man von ihm lernen kann. „Yesterday“ enthält nicht nur die Essenz eines traurigen Liebesliedes, sondern auch die Essenz der Kunst. Das Lied ist ganz schlicht, wie es scheint, es will zu keiner Sekunde hoch hinaus. Gestern war es schön, heute ist es nicht mehr schön, fertig. Das Lied will, wie es scheint, nicht beeindrucken, es trägt sich selbst, deshalb wirkt es wahr und ergreift Millionen von Hörern. Wie oft wird man, bei jeder kreativen Arbeit, zum Opfer eines falschen Ehrgeizes und verkünstelt sich. Man muss es einfach machen statt kompliziert, man muss sich von seinem Gefühl tragen lassen. Man muss wissen, was man ausdrücken möchte. Man muss es so ausdrücken, dass man verstanden wird. Harald Martenstein

WE CAN WORK IT OUT
Single (1965)

Aha, klingt nach Obama, sagt der Kollege. Ja, stimmt. „We Can Work It Out“ von Lennon/McCartney, ein auf den ersten Blick ziemlich kreisrunder Song, sendet Optimismus-Strahlen aus. Freundliche. Das hier ist wirklich einer der freundlichsten, nettesten Songs überhaupt, die ich kenne. In der wiederkehrenden Zeile try to see it my way lag ein gesungenes Angebot, der Legende nach an Jane Asher gerichtet, eine Liebe von Paul McCartney, 1968. Offenbar gab es mit Jane damals einige Probleme, Jane war auf dem Absprung. Das weiß natürlich keiner, der den Song hört, darauf kommt es ja auch gar nicht an. Sondern darauf, dass die Beatles mit den Mitteln von Pop, Blues und Hoffnung eine kleine, feine, werbende Hymne zu Diskurs und Diplomatie komponiert haben, die sehr zu empfehlen ist den Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes – und vor allem allen Liebenden allüberall. Ich hatte, habe noch viele andere Beatles-Lieblingssongs – „Here Comes The Sun“, „Can’t Buy Me Love“ oder, als Kind, „Octopus’s Garden“ mit dem quäkigen Gesang von Ringo. Interessant ist auch, dass bei den Beatles meist das ganze Album einen Klang-Cluster bildete, mehr als der einzelne Song. <CF161>Work that out! Caroline Fetscher

DAY TRIPPER
Single (1965)

Mitte der Siebziger zuppelten meine Kinderhände täglich das rote oder blaue Best-of-Doppelalbum aus dem Plattenschrank. Es folgte Bewunderung, wenn die eigene Haut gegen das schreiende Rot der Innenhülle grünlich schimmerte, dann das Erstaunen beim Textemitlesen. Weil die Fremdsprachenkenntnisse fehlten. Warum sangen die Beatles bloß „Pliiiiiiiehs“, wenn da „ple-ase“ stand, und „piiiehpl“ bei „pe-ople“? Zum Glück hatte der Dtv-Verlag das „Beatles Songbook“ herausgebracht, mit Übersetzungen. „Junge, warst ein böses Mädchen, schlüpftest aus dem Schlüpfer“, las ich mit glühenden Ohren bei „I Am The Walrus“. Die Instrumente zu verfolgen, war unverfänglicher. In „Day Tripper“ war es die Gitarre, die alle unterordnete. Der Riff, den John Lennon (wie ich als Nerd zusammen mit all den anderen Fakten, die man nur bei einer Experten-Quizshows loswerden kann, wusste) unter Zeitdruck aus dem musikalischen Füllhorn-Ärmel schüttelte, weil er eine zweite A-Seite zu „We Can Work It Out“ brauchte, ein Jahrhundert-Riff, wie üblich mehr sophisticated und viel weniger sexy als ein Rolling-Stones-Riff. Dann die Doppelung von Pauls Bass, Georges zaghaftes Gitarrenplingeln, Ringos Schellengeschüttel: Die Beatles waren Dramaturgie-Weltmeister. Mir gefiel das Anschwellen des Chores vor dem ekstatischen letzten Refrain: Day tripper, day tripper, yeah, ich freute mich, dass mein Freund John im Outtro einmal sein yeah vergaß. Am ungewöhnlichsten fand ich jedoch, dass es in diesem tollen Song um eine Fliege ging: Mein Songbook hatte den Titel mit „Eintagsfliege“ übersetzt. Nur meine Beatles kriegten es hin, ein interessantes Lied über ein ekliges Insekt zu machen, dachte ich voller Bewunderung. „Sie macht nur ’nen Ausflug, Sonntagsfahrerin, ja. Es brauchte zwar lang, doch endlich krieg ich’s spitz. Eintagsfliege. Eintagsfliege, ja.“ Damals, Mitte der siebziger Jahre, hatte ich von Trips noch nie gehört. Und Klaus Beyer war noch hauptberuflich Kerzenwachszieher. Angeblich. Vielleicht saß er ja auch heimlich in der Dtv-Redaktion und übersetzte Beatles.texte. Jenni Zylka

NORWEGIAN WOOD
Rubber Soul (1965)

Hat mein Leben eine Melodie? Hören kann ich sie nicht. Jedenfalls wäre es keine von den Beatles. Zu aufgesetzt fröhlich klangen mir ihre Lieder immer. Ich vermisste die süße Melancholie der Smiths oder die Düsternis von Depeche Mode oder Joy Division.

Toru Watanabe hat eine Lebensmelodie. Und mit ihr kommt die Erinnerung an die Liebe seines Lebens – die einst wie ein Lied verklungen, wie ein Vogel davongeflogen ist. Toru ist 37 Jahre alt, als er in einem Flugzeug sitzt und im Lautsprecher der Boeing die Instrumentalversion von „Norwegian Wood“ erklingt – was ausreicht, um ihn fast ohnmächtig werden zu lassen. Wie ein Schwindel erfassen ihn die Erinnerungen an seine Jugend im Tokio Ende der sechziger Jahre. Nie kam er hinweg über den Tod Naokos, seiner ersten Liebe. Aus Kummer über die Erkenntnis, dass jeder auch in der Zweisamkeit allein ist, setzte sie ihrem Leben ein Ende.

„Norwegian Wood“ (deutsch: Naokos Lächeln) heißt Haruki Murakamis Geschichte vom bitteren Verlust von Freundschaft und Liebe und von der Flüchtigkeit des Augenblicks. Auch im Lied geht es um verpasste Gelegenheiten, um die Verheißungen der Jugend. Hier treten sie in Gestalt eines Mädchens auf, das in einer Wohnung voller billiger norwegischer Holzmöbel haust und sich dem abendlichen Gast verweigert. Or should I say she once had me?, fragt er und muss im Badezimmer schlafen. Am nächsten Morgen ist sie fort.

Und Toru? Er stürzt sich in sexuelle Abenteuer und hat dabei ohne ein Wort – a bird has flown.

Toru hat dagegen ständig Sex, zum Beispiel, wenn er mit seinem Kumpel Nagasawa durch die Nacht streift auf der Suche nach Mädchen, mit denen er nach dem Barbesuch in einem Hotel verschwinden kann. Doch Sex bleibt für ihn zuletzt auch immer nur ein Akt, nüchtern und leidenschaftslos wie die Worte, mit denen er das Liebe machen beschreibt. Wo Sprache nicht ausreicht, sich mitzuteilen, sucht er die Nähe des anderen Körpers.<NO>nur das zutiefst einsame Empfinden, nie in die Seele des anderen dringen zu können. Das vermag allein die Musik. Patricia Wolf

STRAWBERRY FIELDS FOREVER
Single (1967)
Es ist wie mit Hund oder Katze. Die Entscheidung, ob einer das rote oder das blaue Album bevorzugt, kennzeichnet einen Menschen. Es ist: Pilzkopf oder Langhaar. Gradliniger, funorientierter Beat.Quatsch oder verspieltes, gebrochenes, oft schräges Klangwagnis. Mein Album ist das blaue, mit „Strawberry Fields Forever“ als unwiderstehlichem Opener. Ich fand die Platte in der Sammlung meines Vaters und nahm sie schnell in Beschlag. Versuchte, das Lied auf der Gitarre nachzuspielen. Lernte G6 und Emaj7, vor allem Fis7, den verdammten Dominantsept.akkord. Dissonanzen, die nach Auflösung lechzen, und alles einfach indem man den kleinen Finger vom Griffbrett nimmt. Zu viele Leute haben Zeit mit der Frage verschwendet, ob John am Ende des Liedes, ab 4:02 Minuten, tatsächlich leise „Cranberry Sauce“ oder nicht doch vielleicht „I buried Paul“ sagt. Die eigentlich wesentliche Zeile, womöglich des ganzen Albums, leitet doch die zweite Strophe ein: Living is easy with eyes closed, misunderstanding all you see. Den Satz könnte man sich auf seinen Oberkörper tätowieren, hätte das nicht bereits der Junkie aus „Lost“ getan. Es gibt so viele Coverversionen, aber nicht eine gelungene. Peter Gabriel ist gescheitert, Oasis auch, Cindy Lauper hätte es gar nicht schlechter machen können. Meine Gitarre und ich kamen einem guten Cover ziemlich nahe, glaube ich, nur war keiner da, der es hören wollte. Man kann nicht oft im Leben behaupten, ein Lied bedingungslos geliebt zu haben. Der Platte hat das häufige Abspielen damals nicht gut getan. Aber egal, mein Vater hat es bis heute nicht bemerkt. Er hört ja immer nur das rote Album. Sebastian Leber

PENNY LANE
Single (1967)
Der Musikunterricht begann mit Singen. „Im Frühtau zu Berge“, „My Bonnie is over the Ocean“, „Im Märzen der Bauer“ und andere Hits aus unseren kleinen, roten Liederfibel wurden unter der Leitung von Lehrerin Mechthild Wiethege angestimmt. Dank der chorerprobten Mädels in der ersten Reihe klang das auch einigermaßen passabel. Ich saß hinten und beschränkte mich auf Playback, wie es mir meine Sitznachbarin Helga in der siebten Klasse geraten hatte. Ich wollte ja niemanden rausbringen. Das Songmaterial war ohnehin nicht nach meinem gerade aufkommenden Gitarrenrock-Geschmack.

Doch eines Vormittags wurde ich aus der gepflegten Agonie gerissen: „Penny Lane“ von den Beatles erklang auf der kleinen Stereoanlage, die hinter dem Pult stand. Anschließend sangen wir den Song. Er war zwanzig Jahre später immer noch ein Instant-Ohrwurm – wenn auch ein bisschen gegen meinen Willen. Jedenfalls sang ich endlich einmal wieder mit, und zumindest die Refrainzeile. Penny Lane is in my ears and in my eyes/There beneath the blue suburban skies gelang mir einigermaßen korrekt.

Die gleichmäßig im 4/4-Takt angeschlagenen Klavierakkorde kamen der ohnehin etwas hackenden Technik unserer Musiklehrerin Mechthild der Lehrerin entgegen, die stets ihre gesamten zwei Zentner in das Instrument zu werfen pflegte. Sie peitschte die Klasse voran und so störte es nicht, dass unsere Version ohne das kunstvolle Arrangement (Piccolo-Trompeten-Solo!) und die zahlreichen Effekte des Originals auskommen musste. Auch den reichlich seltsamen, von Paul McCartney gesungenen Text über einen Friseur, einen Banker und einen Feuerwehrmann in der Liverpooler Penny Lane dürfte kaum jemand begriffen haben. Doch wie es so ist mit perfektem Pop: Er macht für drei Minuten glücklich und leicht. Bei mir hat es sogar für einen ganzen Schultag gereicht. Nadine Lange

LADY MADONNA

Single (1968)
Frater Bernward trug wie immer die dunkle Kutte der Benediktiner. Im Kloster Bad Wimpfen galt der Theologe, der nicht zum Priester geweiht war, als begabter Musiker. Zur Messe spielte er die Orgel. Er wusste alles über Händel und Bach, ich erklärte ihm die profane Musik der sechziger Jahre: Yardbirds, Rolling Stones, Beach Boys, Beatles... Der Mönch bat mich, ihm in die Kirche zu folgen, eine wuchtige, dreischiffige Basilika, Neugotik. Die Tageszeit schien mir etwas merkwürdig, kein Gebet stand an, kein Gottesdienst. Doch ich war längst gewohnt, dass die mittelalterliche Klosteranlage Mysterien verbarg. Zum Mittag- und Abendessen wurde geschwiegen; man saß an langen Tischen und reichte stumm mit leichter Verneigung die dampfenden Schüsseln weiter, die ein Diener in weißer Schürze brachte. Am Ende des Refektoriums las einer der Patres am Stehpult aus historischen Büchern oder Biografien. Anschließend ging es in den Klostergarten, wo kleine Gruppen, sich unterhaltend und einander zugewandt, auf geharkten Kieswegen hin- und herschritten; sie nannten das „Jesuitengalopp“. Nun also schlüpften wir vom Kreuzgang in die menschenleere Stiftskirche, Frater Bernward verschloss das Hauptportal. Wir stiegen zur uralten Orgel empor, er ruckte seinen Körper auf der Bank zurecht. Er zog an den Registern, stieß mit den Füßen die Pedale an, legte die Finger auf die beiden Manuale. Das Orgelgehäuse war ungewöhnlich reich verziert und mit Engeln bemalt. Ich erkannte das Lied an seinen ersten, so markanten Akkorden. Paul McCartney hatte es komponiert und auch Klavier gespielt. „Lady Madonna“. Aus mehr als 800 Orgelpfeifen schwoll der Sound der Beatles, das Chorgestühl, an gregorianische Gesänge gewöhnt, zitterte, die dicken Sandsteinmauern bebten. See how they run. Und Frater Bernward lächelte beseelt. Norbert Thomma

HEY JUDE

Single (1968)
Ja, ich hab’s auf meinem iPod, natürlich. Nur ist es einer von – ich guck’ gerade mal – 1184 Titeln, und ich höre es selten. Wenn ich ehrlich bin, nahezu nie.
Aber damals! Es gab eine Zeit, da habe ich nahezu nichts anderes gehört. Kann man das aushalten, immer nur diese eine Single auflegen und nur dieses Lied hören eine Zeit lang und sonst gar nichts? Wenn man 15 ist oder 16 und sehr verliebt: unbedingt. Es war das tollste Lied zum „Bluestanzen“, so hieß das, wenn man eng tanzen durfte mit den Mädchen, schließlich dauerte das Lied sieben Minuten, also nahezu ewig. Lange genug jedenfalls, um seiner ersten Liebe, go out and get her, die Liebe zu erklären. Es war auf einer dieser Schülerpartys, wo sie die Stones spielten und, wenn es später wurde, die Beatles und, wenn es noch später wurde, wieder die Stones und irgendwann „Hey Jude“, dieses feierlich-langsame, sanfte Paul-Lied mit der Paul-Stimme und dem Paul-Piano, eigentlich nichts für einen, der auf John stand wie ich, aber egal. Es ging darum, dass jetzt nur du und ich da sind und wir haben sieben Minuten für uns ganz allein bis zum Fadeout. Remember to let her into your heart und sonst gar nichts.<QA0>

Nein, ich habe damals die Minuten nicht gezählt. Ich habe auch nicht gewusst, was man später so weiß, wenn man es denn wissen will: dass Paul das Lied für Julian alias Jules alias Jude komponiert hatte, den fünfjährigen Sohn von John, der sich gerade von seiner Frau Cynthia trennte. Dass es also kein Liebeslied ist, sondern ein Trost- und vielleicht sogar Einschlaflied für ein Kind. Warum auch hätte ich das wissen mögen, ich war doch selber der Kindheit eben erst entronnen, damals und endlich in diesen langen Tanz und für immer. Jan Schulz-Ojala

HELTER SKELTER

White Album (1968)

Kaum jemand würde behaupten, „Helter Skelter“ sei der beste Song der Beatles. Ein roher, stumpfer, peitschender Hardrock-Bastard, die Schwächen der Band gnadenlos aufdeckend: Ringos Geholze, Johns bräsiges Gitarrensolo, Georges abgehacktes Schrummschrumm, Pauls Keulenbass, sein keifender Gesang. Ein wütender Überbietungsversuch gegenüber der Konkurrenz von The Who, die Monate zuvor mit „I Can See For Miles“ ein Meisterwerk des Proto-Metal veröffentlicht hatten. All das wusste ich nicht, als ich den Song zum ersten Mal hörte. Es wäre mir auch egal gewesen. Ich war mit den Evergreens der Fab Four aufgewachsen und hatte mich über das blaue Album in die experimentelle Phase vorgewagt. „Strawberry Fields Forever“ oder „I Am The Walrus“: Das war Musik, die auch 15 Jahre nach ihrer Entstehung noch visionär klang.
Doch es hatte sich eine Distanz gebildet, die Beatles wurden für mich historisch. Die Gegenwart gehörte Happy Funeral, der Zweimann-Combo, bei der mein bester Freund Hermann und ich auf allen greifbaren Tonerzeugern herumdilettierten und die Sessions mit einem Diktiergerät für die Nachwelt festhielten. Unsere Helden waren Velvet Underground, deren monotoner Krawall unserem Klangideal nahe kam. Und dann schleppte Hermann eines Tages das weiße Album an. Dritte Seite, sechstes Lied: Brääängg! Jaauuul! Wieek! Was für ein Höllenlärm, welche Pracht der verzerrten Töne. I’ve got blisters on my fingers, der wohl von Ringo stammende Aufschrei am Ende, wurde auch zu unserem Schmerzgeheul, wenn wir eine Stunde auf verstimmten Gitarren rumgeschrubbt hatten. Happy Funeral blieb ein Wohnzimmerprojekt, antizipiertes Lampenfieber und mangelnder Ehrgeiz verhinderten den Schritt in die Öffentlichkeit. Die Beatles aber waren durch „Helter Skelter“ für mich wieder real und sind es bis heute geblieben. Nackter hat sich die genialste Band aller Zeiten nie gegeben. Jörg Wunder

HAPPINESS IS A WARM GUN
White Album (1968)

Das Glück, ein warmes Gewehr? „Ich dachte, was für eine tolle Aussage. Ein warmes Gewehr bedeutet doch, du hast gerade auf etwas geschossen.“ So erklärte John Lennon diese Zeile. Angeblich hatte er im Studio ein Schießsport-Magazin gefunden und bekam den sarkastischen Slogan, der wiederum ein Bilderbuch der „Peanuts“ von Charles Schulz zitieren soll („Happiness Is A Warm Puppy“), nicht mehr aus dem Kopf.

Und natürlich war im selben Kopf bereits seit knapp zwei Jahren Yoko Ono, Lennons Mutter Oberin, seine „Mother Superior“ und gleichzeitig das Mädchen, dem es an nicht viel fehlt. She’s not a girl who misses much, dazu noch etwas LSD, Erinnerungsfetzen an bizarre Nachrichten, die einmal in der Zeitung standen – und schon entstand auf zwei Minuten und 43 Sekunden dieses schrille Sittengemälde voller sexueller Assoziationen aus der Welt der dampfenden Colts und des verschossenen Pulvers. Händchenhalten, das war eindeutig gestern.
Den Beatles lag dieser Song offenbar besonders am Herzen, denn sie brauchten 95 Anläufe, bis er fertig aufgenommen war. Kein Wunder: „Happiness Is A Warm Gun“ besteht aus vier Kapiteln, die einzelnen Abschnitte könnte man demontieren und in anderer Reihenfolge neu zusammensetzen. Sollte man aber nicht: So würde man den unterhaltsamsten Spannungsbogen zerstören, den je ein Beatles.Song hatte. Esther Kogelboom

HERE COMES THE SUN
Abbey Road (1969)

Wann begannen die Beatles sich aufzulösen? Wo schlich sich die Entfremdung, die irreparable, in die Musik ein? 1969, das Ende war schon nah, machte George Harrison auf dem „Abbey Road“-Album noch einmal gut Wetter. Er ließ die Sonne aufgehen. Haute ab nach einem langen Winter des Missvergnügens mit Managern und Anwälten und verschwand mit einer akustischen Gitarre in Eric Claptons Garten. Da war doch später eine böse Geschichte mit der Frau, aber egal. An jenem Nachmittag kam die Sonne durch und George hatte eine Eingebung. Düdel-dü-dü. Little darling, it’s been a long cold lonely winter... Ein Wärmegefühl wird verströmt, die Saiten zwitschern und zirpen, es wird sogar in die Hände geklatscht, aber irgendwas stimmt nicht. Für einen strahlenden Befreiungsschlag klingt „Here Comes The Sun“ zu melancholisch und auch etwas zu naiv zwischen all den Zynismen und Solotrips auf „Abbey Road“, von dem aggressiven „Come Together“, was genau das Gegenteil meint, und dem prophetischen „Carry That Weight“. Es ist schon eine Last, ein Leben lang ein Beatle zu sein. Da liegt eines der Geheimnisse der Jahrhundertband, des Pop überhaupt: leicht und eingängig das Schwere zu transportieren. Auch George Harrisons viel gecovertes „Something“ ist auf „Abbey Road“ zu finden, jenes berühmte Etwas, ohne das es keine große Liebe gibt und keine große Kunst. Rüdiger Schaper

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