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© David Heerde

Berliner Clubszene: Forderung zum Tanz

Die Trümmerfrauen des Techno: Aus Ruinen bauten sie die Musikhauptstadt Berlin auf. Seit auf der die Bürokraten herumtrampeln, geben sie einen neuen Takt vor.

Es war ein friedlicher Sonntagmorgen. Michael Schmidt hatte gerade die Zeitung auf dem Kaffeetisch ausgebreitet und in sein Brötchen gebissen, da klingelte das Telefon. „Wir haben hier eine Rauschgiftrazzia“, hieß es, „kannst du kommen?“ Schmidt ließ alles stehen und liegen, sprang ins Taxi und fuhr ins Ministerium für Entspannung, einen Trance- Club in Friedrichshain.

Eine Razzia im Club ist ein bisschen wie das Spiel „Reise nach Jerusalem“. Die Musik gestoppt, die Tanzenden eingefroren: Wer hat Drogen, wer muss gehen? Wer die Päckchen mit dem Stoff schnell genug fallen lässt, hat gewonnen.

Michael Schmidt stellte sich der Polizei vor. „Guten Tag, ich bin Leiter der Rechtsabteilung bei der Club Commission. Ich möchte Sie gerne bei Ihrer Arbeit begleiten.“ Er solle sie nicht behindern, murrten die Beamten. „Ich werde Sie nicht behindern“, erklärte Schmidt. Aber er wolle sichergehen, dass sie keinen Fehler machen. Er kenne die Gesetze. Zuerst sollten sie die beschlagnahmten Eintrittsgelder wieder herausrücken, dafür fehle jede Rechtsgrundlage. Bis 16 Uhr blieb er bei den Beamten, die das maßlos ärgerte. Es war ein Sonntag, wie Michael Schmidt ihn mag.

Er kennt diese Machtspiele noch von der anderen Seite. Mit Anfang 20 war er in Köln als Sonderermittler tätig, Zuständigkeitsbereich illegale Gastronomie, Prostitution, organisierte Kriminalität. Einmal wurde er wegen Ruhestörung in eine Pizzeria gerufen. Er war im Treppenhaus, da ging das Licht aus. Schmidt hörte Schritte, dann ein Sirren, er sprang zur Seite. Hinter ihm knallte eine Stahlkurbel an die Wand. Das Licht ging wieder an, Schmidt setzte seinen Weg fort. Später, während einer Festnahme, spürte er etwas Warmes am Arm. Blut. Sein Unterarm war aufgeschlitzt. Es war sein letzter Arbeitstag, das Abschiedsgeschenk sozusagen.

Das Café Moskau, kurz vor den Feierlichkeiten zum Mauerfalljubiläum: Der Berliner Senat und die Club Commission laden zur Fachtagung „20 Jahre Musikhauptstadt Berlin“. Die Club Commission ist die erste Lobby des Nachtlebens. Seit 2000 setzt sie sich für die Rechte des Partygeschäfts ein, kämpft gegen zu strenge Lärmauflagen, eine restriktive Stadtplanung und für die politische Anerkennung des Wirtschaftsfaktors Clubkultur. Auf dem Podium sitzt die Partyszene der Wendezeit: ein DJ, drei Clubbetreiber, ein Partyfotograf, zwei Journalisten. Der Fotograf zeigt alte Aufnahmen, es läuft ein Film über die Geschichte des Clubs Tresor, man schwärmt von der Offenheit damals, von der Aufbruchstimmung. Aufbruch hatte einen Doppelsinn, als überall in Mitte leer stehende Abbruchhäuser darauf warteten, zur Partyzone erklärt zu werden.

Dann geht es um die Gegenwart. Darum, dass man als Clubbetreiber auf manchen Ämtern noch immer in die Schublade „Zuhälter, Drogenhändler und andere Kriminelle“ einsortiert werde. Um das Wagnis der ständigen Zwischennutzung, um die Verdrängung durch Investoren, um immer strengere Bau- und Lärmschutzauflagen. Darum, dass Mitte langsam von seinen Clubs bereinigt wird – wenngleich auch neue eröffnen, zuletzt das Dice und das neue WMF. Zum Schluss erhebt er sich in der ersten Reihe: Halbglatze, Hornbrille, Tweedjackett, rheinischer Tonfall, eine Stimme, die knattert wie ein alter VW-Motor. Ein Hauch Bonner Republik steht im Raum. „Mein Name ist Michael Schmidt“, sagt er, „und ich habe beruflich mit dem Thema zu tun.“ Schmidt spricht von „Vergnügungsstätten mit Sondergenehmigung“, von Bebauungsplänen, vom Intellektuellenpaar in seiner Altbauwohnung, das gerne noch ab und zu ausgeht, aber den Club im Erdgeschoss verklagt, weil er zu laut ist. „Die, die damals mit uns gefeiert haben“, sagt Schmidt, „sind heute unsere Gegner.“

Die Generation der Babyboomer, die Berlin zur Partyhauptstadt machte, ist erwachsen geworden. Sie hat ein Erbe zu verwalten, sucht das Gespräch mit der Politik. „Ich habe zwei 16-jährige Kinder“, erklärt auf dem Podium Sascha Disselkamp, der den Sage Club betreibt, einen Catering-Service und ein Krankenhaus im Senegal. „Ich möchte, dass die in einer coolen Stadt aufwachsen.“ Disselkamp lebt noch immer in der Wohnung am Lützowplatz, die er aufbrach, als er in den frühen 80ern nach Berlin kam. Er sagt: „Ich will der nächsten Generation gewisse Ideale weitergeben.“

Früher kämpften Eltern für Frieden und Umweltschutz. Heute engagieren sie sich für friedliches Feiern und Artenschutz für Clubs. „Wir müssen Schilder aufstellen“, fordert Disselkamp: „Lieber Investor, auf diesem Gelände lebt eine bedrohte Art, hier kannst du nicht bauen.“

Nicht Geld brachte Berlin weltweit den Ruf als Musikhauptstadt ein. Es war die Abwesenheit von Geld. Dimitri Hegemann, Chef des Tresor und des gleichnamigen Labels, drückt es so aus: „Ein Haufen Dorfdeppen hat dafür gesorgt, dass Berlin London, Paris und alle anderen Metropolen abgehängt hat.“

Die illegalen Clubs der Nachwendezeit sorgten dafür, dass Berlin heute international so beliebt ist. Die Hälfte der Besucher aus dem Ausland sucht hier das Nachtleben, ergab eine Umfrage der Berlin Marketing GmbH. „Niemand kommt wegen des Brandenburger Tors“, sagt Sascha Disselkamp.

Aus aller Welt ziehen junge, gut gebildete Intellektuelle her und halten zu Hungerlöhnen Wissenschaft und Kreativindustrie am Laufen. Nur um in Berlin zu sein, der Stadt, in der das Berghain steht, der zurzeit berüchtigtste Club zwischen Tokio und Chicago.

Die Trümmerfrauen des Techno: Aus Ruinen bauten sie eine Musikhauptstadt. Und sie verbitten es sich, dass unverständige Politiker und Bürokraten darauf herumtrampeln. Dass Berlin mit seinem einzigartigen Nachtleben für sich wirbt, aber Bebauungspläne beschließt, die es unmöglich machen, im Zentrum einen neuen Laden zu eröffnen.

Traditionsclubs wie das Knaack und das SO 36 sind bedroht, weil Anwohner klagen. Wer soll die vielen Lärmschutzmaßnahmen bezahlen? Mancher spricht schon von der drohenden Münchnerisierung: Am Ende könnten die übrig bleiben, die das Geld haben, nicht die mit den Ideen. Michael Schmidt sagt: „Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolgs.“

Man könnte es das „Tresor-Trauma“ nennen: 2005 musste der Club im Keller des alten Wertheim-Kaufhauses, wo 1991 der Siegeszug des Berliner Techno begann, einem Bürogebäude weichen. Die Büros stehen heute leer. Von Anfang an wussten die Feiernden das Recht der Geschichte auf ihrer Seite. Doch gegen die Allianz von Baustadtrat und Investor waren sie machtlos.

Neulich war Dimitri Hegemann in China. Im April soll dort unter Schirmherrschaft des Goethe-Instituts ein Tresor-Ableger eröffnen. Dort traf er einen Englischlehrer aus Bogotá. Tresor? Kenne er. Der Name stehe für die Gründung der Generation Techno. Im Ausland tritt Hegemann als Lifestyle-Exporteur auf, die Marke Tresor strahlt auf seine Heimatstadt Berlin zurück. Dort jedoch fühlt er sich behandelt wie ein Krimineller. „Wenn ich zur Investitionsbank gehe und sage, ich brauche Geld für eine Kunsthalle, das ist Comedy! Die lachen nur. Die verstehen nicht, was wirtschaftlich für Berlin zählt.“

Hegemann, weiße Haare, Jeans, weit schlabbernder Kapuzenpulli, steht in der Turbinenhalle des alten Heizkraftwerks Mitte. Hier hat er 2007 den Tresor neu eröffnet. Die Herzkammer des Gebäudes ist noch leer. Eine erhabene, atemberaubende Industriekathedrale. „Der letzte Rohdiamant in Mitte“, sagt Hegemann. Er will hier elektronische Kunst ausstellen. Künstler wie Laurie Anderson und Matthew Barney wollten schon Performances veranstalten, Unternehmen von Boss bis Vogue fragten wegen Veranstaltungen an. Doch für den ständigen Betrieb fehlt die Genehmigung. Die erteilt das Bauamt erst nach Renovierung. Und für die fehlte bislang das Geld. 41 Anfragen für Produktionen hatte Hegemann, sagt er, dann schloss er die Warteliste. Der Unternehmer fühlt sich im Stich gelassen von Banken und Politik: „Die lassen einen ausbluten.“

„Wenn du als Gastronom einen Kredit haben willst, ist das fast aussichtslos“, sagt auch Michael Schmidt. Die Politik hat die Kreativindustrien entdeckt. Nun müsse sie auch entsprechende Rahmenbedingungen schaffen. Nicht nur Hegemann und Schmidt wünschen sich eine zentrale Anlaufstelle, die beide Sprachen beherrscht: die des Nachtlebens und die von Wirtschaft und Politik.

So wie Schmidt selbst. Er war Sonderermittler, Bundessprecher des Lesben- und Schwulenverbands, schrieb im Wahlkampf Textentwürfe für Oskar Lafontaine, Günter Verheugen und Herta Däubler-Gmelin, kämpfte im Fernsehen für die Homoehe, organisierte verantwortlich den Kölner Christopher Street Day. Als er vor zehn Jahren nach Berlin zog, fragten sie ihn: Kannst du hier nicht auch den CSD organisieren? Da war die Club Commission gerade in Gründung, Schmidt wurde rechtlicher Beirat. Zum Anwaltstitel fehlt ihm das zweite Staatsexamen, Prozesse delegiert er an seine Spezialisten. Er nennt sich Wirtschaftsberater und Experte für Bau- und Verwaltungsrecht. „Ich bin der lebende Schutzschild der Clubs“, sagt er. Und ein Eisbrecher: „Oft genügt ein Anruf und die Genehmigung liegt auf dem Tisch.“ In seiner Arbeit blicke er in viele Abgründe. „Mein Job besteht darin, bis zum Rand der Legalität zu gehen und dort teilweise hart zu kämpfen.“

Eine Podiumsdiskussion im Pfefferberg zum Thema Musik und Lärm: Benjamin-Immanuel Hoff, Staatssekretär im Umweltsenat, 33 Jahre, früh ergraut, ein Bürokrat wie aus dem Bilderbuch, antwortet genervt auf einen Vorschlag aus dem Publikum. Nein, er sehe wenig Chancen für ein Volksbegehren für mehr Krach. Michael Schmidt hebt den Zeigefinger: „Musik ist kein Krach!“

Neben Schmidt sitzt der Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg Franz Schulz, ganz die Eidechse: Nur die Augen blinzeln manchmal, er redet, wenn er gefragt wird. Fast wirkt es, als führe der Clublobbyist als Puppenspieler die Lippen des Politikers, als der von „Clubs als Imagefaktoren“ spricht, „die sich direkt auf die demografische Entwicklung auswirken“. Die Kreuzberger Philosophie gehe so: „Jeder kann so viel Lärm machen, wie er will, solange sich niemand beschwert. Erst dann schalten wir uns ein.“

Michael Schmidt lobt die Zusammenarbeit mit dem Bezirk als vorbildlich. „Wenn es ein Problem gibt, kann ich in Franz Schulz’ Büro anrufen.“ Dann holt er aus. „Müssen wir den Minderheitenschutz so weit treiben, dass ein ganzer Club gefährdet ist, weil ein einziger Nachbar die Behörden einschaltet?“, fragt er. Er spricht gelassen, seine Bewegungen sind gemessen, Handbewegungen markieren den Sprechrhythmus. Wechselt das Thema, wechselt die Hand. „Wenn Berlin sich als Musikhauptstadt begreift, muss das von oben nach unten bis auf die Verwaltungsebene umgesetzt werden.“ Über Jahre habe er mit der Club Commission versucht, auf die Bebauungspläne für Rosenthaler und Spandauer Vorstadt Einfluss zu nehmen – vergeblich. „Die aktuelle Fassung sorgt dafür, dass in Mitte nur noch am Hackeschen Markt und am Alexanderplatz Clubs zulässig sind.“ Das Problem werde damit nur verlagert. „In fünf oder zehn Jahren werden wir in Neukölln und Wedding das gleiche Problem haben, wenn das nicht politisch gelöst wird.“ Applaus, Auftritt erfolgreich, ein tiefer Schluck aus dem Wasserglas.

In Kultur- und Wirtschaftssenat hat die Club Commission bereits Partner gewonnen. Zurzeit plant sie mit dem Senat an der „Berlin Music Week“, die zum nächsten Popkomm-Termin alle Akteure der lokalen Musikbranche zusammenfassen soll. Die nächste Bastion, die es zu stürmen gilt, ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Es sei eine gesellschaftliche Frage, die hier ausgehandelt werde, erklärt der Wächter über die Lärmemissionen, Staatssekretär Hoff: „Welche Art Lärm bin ich bereit zu akzeptieren?“

Die Politik erkennt den Wert der Clubszene und ist allmählich auch bereit, dafür zu zahlen: Als erster Club bekam Anfang Dezember das Berghain direkte finanzielle Zuwendung vom Senat versprochen. 1,2 Millionen Euro aus alten DDR-Vermögen sollen für Ausbau und Veranstaltungen zur Verfügung stehen.

Die Bässe des Techno und das Klappern der Bürokratie: Bum bum bum und tipp tipp tipp. Sie müssten sich verstehen können.

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