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Gustavo_Dudamel

© AP

Berliner Musikfest: Feuer des Augenblicks

Gustavo Dudamel und die Staatskapelle Berlin beschließen das Musikfest mit einer wilden Jagd. Dem Nachwuchsdirigenten steht eine großartige Karriere bevor. Doch er droht sich selbst zu verheizen.

Der Mann hat es eilig, steht unter Druck. Wetzt, hetzt, hastet rauf aufs Podium und gleich wieder runter, kribbelige, kleine Schritte, das Ganze fast in der Hocke, als wolle er sich wegducken unterm Lauf der Zeit, die schwarze Lockenpracht wie im Windkanal, die Frackschöße bis zur Achillesferse. Speedy Gustavo, die schnellste Maus von Venezuela. Gustavo Dudamel, der Shootingstar der Dirigentenszene. Spätestens wenn der 26-Jährige demnächst die Nachfolge von Esa-Pekka Salonen beim Los Angeles Philharmonic Orchestra antritt, wird sich weisen, was diese Rasanz wert ist.

Dem Berliner Musikfest bescherte sie nun ein quicklebendiges, geradezu strotzend unbekümmertes Finale. Und alle wollen dabei gewesen sein: Simon Rattle und Magdalena Kozena, die in Block B der Philharmonie anfangs verzweifelt ihre Plätze suchen, eine strahlende Anne-Sophie Mutter, die die Pause zu einem Abstecher hinter die Bühne nutzt – und Daniel Barenboim natürlich, der sich gleich mit aufs Podium setzt, um dem jungen Kollegen seinen Einstand bei der Staatskapelle so kommod wie möglich zu gestalten.

Ob Bela Bartoks erstes Klavierkonzert von 1926 dafür freilich den geeigneten Willkommensgruß bietet, ist fraglich. Die Rehabilitierung des Rhythmus, des Geräuschhaften in der Musik? Die Rückbesinnung aufs Klavier als Schlaginstrument? Von Barenboims einstigem Leib- und Magenstück bleibt kaum mehr übrig als ein Schemen. Reichlich Ungefähres paart sich mit reichlich Nervösem, und der arme Dudamel scheint sich schier zu zerreißen zwischen dem in der Partitur geforderten, nagelnden Maschinentakt (nicht nur) der Percussionisten einerseits und seinem Amt als treu sorgender Begleiter des prominenten Solisten andererseits.

Bei der Ouvertüre finden Dirigent und Orchester zueinander

Begonnen hat der ausverkaufte Abend mit einer echten Trouvaille: Charles Ives’ Hommage an den viktorianischen Dichter Robert Browning in Gestalt einer knapp halbstündigen Ouvertüre (1911 – 1913). Ein programmatisches, witziges Stück im Spannungsfeld zwischen Fläche und Raum, plattem Land und sich auftürmendem Gebirge, zwischen kakophonischen Märschen und einer eisig dröhnenden Stille. Das Ganze ein wenig schematisch im Wechsel und überdies mit einem erwartbaren Ende, doch Dudamel und die Staatskapelle finden hier mit leichten Herzen und leichten Händen zueinander – als fühlten sie sich beim Amerikaner Ives und dem 20. Jahrhundert seit jeher zu Hause.

Nach der Pause dann Beethovens Siebte, jene Parade-Symphonie, mit der Dudamel im vergangenen Jahr bei der Deutschen Grammophon sein Debüt als Exklusivkünstler gegeben hat (am Pult „seines“ venezolanischen Simon Bolivar Jugendorchesters und neben, Ta-tata-ta, der Fünften, versteht sich). Schon die ersten Akkorde machen deutlich: Vergesst Richard Wagner („Apotheose des Tanzes“) oder Romain Rolland („Orgie des Rhythmus“), vergesst Napoleon und überhaupt alles Politisch-Auratische, irgend in der Rezeptionsgeschichte oder im Gedächtnis Gründelnde – hier geht es um ein bodenständiges Musizieren, um die Erfüllung des Augenblicks im Augenblick. Das gute Recht der Jugend.

Mag es eingangs des Kopfsatzes in den Geigen noch gehörig klappern, und mag Dudamel den Übergang zum Vivace-Teil mehr künstlich hinauszögern denn ehrlich empfinden, das Vivace selbst gelingt ihm hübsch biegsam, ja eloquent. Richtig und wichtig auch, das Allegretto quasi attacca anzuschließen. Schon der Einsatz der zweiten Geigen indes straft jeden Trauermarsch Lügen: So etwas wie das Glück der Melancholie oder Katharsis kennt diese Musik (noch) nicht und verliert unterm gesunden, allzu gesunden Blühen und Knospen und Weben im 2/4-Takt rasch den Überblick. Und die Spannung und den Sinn. Und jede Tiefe, nahezu jedes Gewicht.

Aberwitziges Ende

Regelrecht aberwitzig wird’s bei den Temporelationen im dritten und vierten Satz. Das Scherzo (Presto) nimmt Dudamel leichtfüßig, trocken, pulvrig, à la Rossini – um im Schlusssatz saftig einen draufzusetzen. Allegro con brio schreibt Beethoven hier, und das lateinamerikanische Blut schert sich herzlich wenig darum. Erneut: Das gute Recht der Jugend und der grenzenlosen Unbefangenheit? Ein römisches Wagenrennen ist nichts gegen diese jagenden Streicher, diese triumphatorisch ächzenden, krächzenden Hörner.

Unerhört elegant anzuschauen mag es sein, was Dudamel da vollbringt. Wie er sich an den Kulminationspunkten auch gestisch die Brust aufreißt, wie seine stets leicht nach außen geknickte Linke immer mal wieder ein Detail aus dem Wirbelsturm des Geschehens herausgreift oder einen Lidschlag später an die Hosennaht wandert. Der Feuerkopf als Zinnsoldat. Das perfekte Talent. Ovationen. Gustavo Dudamel aber – und das vor allem sagt sein Beethoven – ist auch auf dem besten Wege, sich selbst zu verheizen.

Allen Erfolgen des Orchesterfestivals rund um die Trias Debussy, Varèse und Ives, allen guten Auslastungszahlen (95 Prozent) zum Trotz: Mit spektakulären Stabübergaben wie dieser sollten auch die Musikfestmacher künftig vorsichtig sein.

Christine Lemke-Matwey

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