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John Mayall's Bluesbreakers 1966: v. l. n. r. John Mayall, Eric Clapton, John McVie, Hughie Flint.

© promo

CD-Kritik: Eigenwillig und herausragend: John Mayalls "Anthology"

Am Freitag erscheint John Mayalls Box-Set "So Many Roads: An Anthology". Tagesspiegel-Musikexperte H.P. Daniels hat sich die 74 Songs auf vier CDs schon einmal angehört.

Im Juni, als der alte englische Blues-Mann John Mayall im Berliner C-Club auftrat, erschrak man ein bisschen beim Anblick seiner Konzertbesucher: So alt sind wir geworden? Die Freaks von damals sind inzwischen alte Männer mit schütteren Haaren, hängenden Tränensäcken und schweren Bierbäuchen.

John Mayall hingegen, der schon damals über Dreißig war, als die alten Männer von heute noch die Freaks von damals waren und eigentlich keinem über Dreißig trauen wollten, wirkt heute als 76-Jähriger drahtiger, jünger und lebendiger als seine Fans. Und in der Musik des großen schlanken Mannes mit den langen weißen, zum Zopf gebundenen Haaren, im Timbre seiner Stimme, dem Ton seiner Orgel und vor allem dem rhythmischen Schmatzen seiner kreischenden Mundharmonika spürt man immer noch eine erstaunliche Frische, die alte Leidenschaft, ungebrochen seit damals.

Damals, das war in den 60ern, als der Engländer John Mayall sich in der Gefolgschaft des großen Alexis Korner vom "Paten des weißen Blues" zur Kultfigur unangepasster, langhaariger Freaks entwickelte. Wie eigenwillig und herausragend die Musik des Songschreibers, Sänger, Gitarristen, Pianisten, Organisten und Harmonikaspielers Mayall, inspiriert vom elektrischen Chicago-Blues, damals schon klang, lässt sich jetzt noch einmal nachhören im neuen Box-Set: "John Mayall. So Many Roads. An Anthology 1964-1974".

Schön aufgemacht wie ein Hardcover-Buch mit ausführlichem Foto- und Textteil zum Werdegang Mayalls, beinhaltet diese Werkschau auf vier CDs 74 Songs aus der zweifellos interessantesten Schaffensphase des eigensinnigen Blues-Mannes, dessen Band "The Bluesbreakers" in ständig wechselnden Inkarnationen immer wieder exzellente Musiker hervorbrachte. Mit ihnen nahm er zweifellos seine besten Alben auf, und es ist eine Freude hier noch einmal die verschiedenen Spielarten der wechselnden Gitarristen zu vergleichen: Eric Clapton, der auf dem Album "John Mayall With Eric Clapton" (1966) bestach, bevor er mit dem Trio "Cream" zu Weltruhm aufbrach. Peter Green, der mit dem Bassisten John McVie und dem Drummer Mick Fleetwood eine Vorahnung gab auf seine spätere Formation "Fleetwood Mac", sowie der junge Mick Taylor, der auf den vorzüglichen Bluesbreakers-Alben "Bare Wires" und "Blues From Laurel Canyon" (beide 1968) seine späteren brillanten Soli als Brian-Jones-Nachfolger bei den Rolling Stones antizipierte. Mit dem exquisiten Drummer Jon Hiseman und dem außergewöhnlichen Saxofonisten Dick Heckstall-Smith fand sich in Mayalls Band der spätere Nucleus zur Blues-Jazz-Rockformation "Colosseum".

Je nachdem, mit welchen Musikern Mayall gerade zusammenspielte, tendierte seine Musik zum elektrischen Blues und Boogie oder zum swingenden Jazz. 1969 löste er die "Bluesbreakers" auf, um mit einer akustischen Band ohne Schlagzeuger und mit weiterhin wechselnden Besetzungen neue stilistische Wege auszuprobieren. Eine Songauswahl der daraus entstandenen Alben "The Turning Point" (1969) und "Empty Rooms" (1970) bietet die dritte CD der Anthologie, während CD Nummer vier die LPs "Jazz Blues Fusion", "Moving On", "Ten Years Are Gone" und "The Latest Edition" und damit die Jahre 1971-1974 zusammenfasst.

Wenn auch vor allem die frühen Aufnahmen des Box-Sets seltsam digital sterilisiert bearbeitet wurden und somit an Biss der originalen Vinylplatten eingebüßt haben, bietet diese Auswahl aus Mayalls kreativster Zeit von 1964 bis 1974 einen exzellenten Überblick.

JOHN MAYALL – SO MANY ROADS. AN ANTHOLOGY 1964-1974 (Universal Music) ist ab Freitag im Handel erhältlich.

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