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© promo/tsp[m]

ClickClickDecker und Klez.e: Sperrig, seltsam, rätselhaft

Am Freitag erscheinen zwei der wichtigsten deutschsprachigen Platten des Jahres. Für den Hamburger ClickClickDecker und die Berliner Band Klez.e ist es jeweils das verflixte dritte Album. Es geht nicht um gute Laune. Und es geht auch nicht um die Krise, nicht die der Banken, der Musikindustrie, sondern es geht um alles andere - um alles.

Hamburg, betrunken durch die Straßen stolpern, sich großartig und beschissen gleichzeitig fühlen – so klingt ClickClickDecker. Und es muss nicht Hamburg sein. Der Singer/Songwriter Kevin Hamann wühlt im Dreck des Lebens, zerrt die goldenen Momente heraus. Er stellt immer wieder Fragen, bei denen man nicht weiß, ob er sich selbst fragt oder ein Gegenüber. Wann gehen wir schlafen? Was hältst du aus? Und wie viel kannst du verschweigen? Hast auch du deine Dämonen?

Nach drei Jahren ist der junge Mann zu seinem Herzstück ClickClickDecker zurückgekehrt. Zuletzt hatte Kevin Hamann unter dem Namen Bratze zusammen mit Der Tante Renate mit Elektro-Shouting-Clash die Bühnen unsicher gemacht ("Zuhause nichts los / Immer nur schrubb, schrubb, schrubb"). 2007 veröffentlichte er unter dem Namen My First Trumpet ein instrumentales Elektro-Album kostenlos im Netz. In seiner Freizeit ist er Radiomoderator beim Internetsender Byte.fm und treibt die Initiative "Herz statt Kommerz" voran. Richtig gelesen: In seiner Freizeit. Denn für Hamann ist seine Musik seine Arbeit, früher hätte man vielleicht Ich-AG gesagt, mit Businessplan, ohne Altersvorsorge und Touren, Touren, Touren.

ClickClickDecker: Immerhin beabsichtigt (vom Album: "Nichts für ungut")

Für "Den Umständen entsprechend" warf Click zunächst wieder den Computer im Schlafzimmer an, machte alles selbst, wie bei den ersten beiden Alben. Aber das reichte diesmal nicht. Reziprok zur Musikgeschichte wurden die Computerspuren wieder durch echte Instrumente ersetzt, das Schlagzeug schallert, die Gitarren schwingen, einige elektrophile Versatzstücke bleiben. Der hektisch deklamierende Gesang am Rande der Verzweiflung, Clicks Markenzeichen, hat sich einer größeren Bandbreite an Wahnsinn und Liebe geöffnet.

Immer wieder klatschen Textzeilen ans Ohr, die einen herausreißen. Die Click-Momente tragen Wünsche, Änderung und Alltag mit sich, wie etwa die Zeilen "ein Leben lang Winterschlaf" oder "Weggehen bedeutet nicht unbedingt / irgendwo anders dann anzukommen." Der Putz muss von den Wänden, diese Platte spricht eine Wahrheit, die so gebrochen ist wie das Leben selbst.

Die neue Ernsthaftigkeit

"Zu verkopft, zu ambitioniert" singt ClickClickDecker in "Einbahnstraße" und legt damit die sprichwörtliche Ablehnung eines Majorlabel-Vertreters in den eigenen Mund. Auch Klez.e stellen sich quer zu einem einfachen Radio- oder Party-Vergnügen und denken den Verwertungszusammenhang an zweiter Stelle.

Denn mal ehrlich: Es ist Wahnsinn, eine Platte "Vom Feuer der Gaben" zu nennen. Zu sperrig, zu seltsam, zu kompliziert, zu rätselhaft. Und nochmal ehrlich: Dasselbe könnte man auch über die Musik des Klez.e-Albums sagen. Dutzende Gitarrenspuren, Elektronik, geschichteter Gesang, merkwürdige Instrumente, ein Orchester, ein symphonischer Chor, und dann darüber noch eine Kirchenorgel eines brandenburgischen Gotteshauses. Und Texte, die in keine Zeit passen, in keine Szene.

Geschichten zum Album "Vom Feuer der Gaben"

Vermutlich haben die fünf Berliner längst abgeschrieben, mit dieser Musik Geld zu verdienen, und dann können sie es gleich machen, wie es ihnen am besten erscheint: Den Notwist-Produzenten Olaf Opal zum Mischen zu verpflichten, obwohl sich Sänger Tobias Siebert längst selbst einen Namen gemacht hat als Produzent von Philip Boa, Hund am Strand, Samba und anderen; die Platte bei dem familiären Eine-Frau-Label Loob Musik herausbringen, obwohl andere Firmen angefragt hatten; das Album für Fans und Presse unter dem Sternenhimmel eines Planetariums zu präsentieren; über den Studioprozess insgesamt 13 kryptische Videos ins Netz zu stellen; befreundete Künstler aufzufordern, zu den Liedern etwas zu erarbeiten und zum Release damit eine Ausstellung zu machen; das Album als Hardcover-Buch mit den Kunstwerken herauszugeben.

"Im Raum mit Toten" als Akustikversion

"Vom Feuer der Gaben" ist ein Monolith. Es ist groß angelegt, und es ist ernst. Das Album ist ein Hindernis. Und das ist Absicht.

ClickClickDecker - Album: "Den Umständen entsprechend" (Audiolith Records) / Homepage/ Songs anhören
Klez.e - Album: "Vom Feuer der Gaben" (Loob Musik) / Homepage/ Songs anhören

Peer Göbel

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