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© dpa

Daniel Barenboim: Debatte um Kulturpolitik in Deutschland "primitiv"

Mit 400 Mitgliedern der Staatsoper Berlin ist der israelisch-argentinische Musiker und Dirigent derzeit in Japan auf Tournee. Der Preisträger des Praemium Imperiale 2007, dem "Nobelpreis der Künste", über die Ignoranz von Israelis und Palästinensern und welchen Beitrag Musik zur Politik leistet.

Empfinden Sie sich auch als deutscher Kulturbotschafter?

Barenboim: "Nein, ich fühle mich als Musiker. Weil wir aber hier in Tokio mit der Staatsoper zu Besuch sind, liegt der Akzent auch auf Deutschland, das seit vielen Jahren mein musikalisches und persönliches Zuhause ist."

Sie wurden vor kurzem auch als UN-Friedensbotschafter geehrt. Was haben Mozart, Wagner und Schönberg, dessen Werke Sie in Tokio aufführen, mit dem Frieden zu tun?

"Ich bin kein Politiker und habe auch keine Ambitionen dazu. Ich kann nur meinen Beitrag mit der Musik leisten, zum Beispiel mit dem israelisch-arabischen Jugendorchester West-Östlicher Diwan, das mit dem Praemium Imperiale ebenfalls geehrt wird."

Meinen Sie damit auch Ihre Äußerungen zum Nahost-Konflikt, mit denen Sie immer wieder Ärger haben?

"Ich kämpfe gegen die Ignoranz - der Israelis und der Palästinenser. Israel behauptet noch immer, Palästina sei leer gewesen und deswegen hätten wir, die Juden, das Land bevölkert. Dabei war zur Zeit des Ersten Weltkriegs der jüdische Anteil an der Bevölkerung nur 15 Prozent. Man sollte bei solchen Aussagen doch bitte mindestens die Wahrnehmung der Palästinenser zur Kenntnis nehmen, auch wenn man ihren Standpunkt nicht akzeptiert. Auch die Palästinenser sollten anerkennen, dass die Juden seit 20 Jahrhunderten eine enge Beziehung haben zu diesem Land und sie nicht,  wie immer wieder vorgeschlagen, einen eigenen Staat etwa in Baden-Württemberg, Albanien oder Argentinien aufbauen werden. Das ist genauso absurd und unannehmbar."

Wie lässt sich mit einer Friedensbotschaft der Terror bekämpfen?

"Notwendig ist mehr politische Intelligenz bei der Konfliktlösung. Solange die USA die einzige Weltmacht sind, wird das nicht leichter. Ich will damit nicht dem in Europa "politisch korrekten" Antiamerikanismus das Wort reden. In der globalisierten Welt ist es aber wie in der Musik: Auch das schönste Thema braucht einen Kontrapunkt."

Gibt es zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus eine Verbindung?

"Es gibt noch den uralten Antisemitismus, der auch dort präsent ist, wo keine Juden leben. Dann gibt es den Antisemitismus, der aus einer nicht zu Ende gedachten Kritik an der Politik Israels entsteht. Und schließlich gibt es die Judenfeindlichkeit der arabischen Welt, die aus der Ignoranz und Ablehnung Israels und der Juden kommt. Israel hat sich total von den USA abhängig gemacht, die Verbindung zwischen Antiamerikanismus und Antisemitismus ist dabei leider unvermeidbar."

Kann Musik denn zur Schärfung der politischen Intelligenz beitragen?

"Ja, wenn sie nicht als Mittel zur Weltvergessenheit gemeint ist. Sie kann helfen, die Welt und die Menschen besser zu verstehen. In einem Orchester muss jeder Musiker alles von sich geben und hören, was die anderen spielen. Als gesellschaftliche Wesen müssen wir, um unsere eigene Stimme wahrzunehmen, auch die der anderen hören und verstehen. Das ist die große Lektion der Musik. Würden Politiker im Orchester spielen, könnten sie vielleicht anders denken."

Hat Musik Sie zum politischen Menschen gemacht?

"Als ich mit sieben Jahren mein erstes Konzert gab, wusste ich natürlich nichts über Leidenschaft und von all den Fragen, die einen reifen Menschen ausmachen. Aber es war schon ein Gefühl dafür da. Selbstverständlich bereichern Erfahrungen wie die Liebe auch die Musik. Aber für mich spielte die Musik immer die wichtigere Rolle vor den anderen Erfahrungen."

Wo fühlen Sie sich zu Hause?

"Ich bin weder nur Jude, Argentinier oder in Deutschland lebender Musiker. Ein moderner Mensch definiert sich vor allem durch die Möglichkeit, mehrere Identitäten zu haben. Wir sind weggekommen von der Auffassung, dass zum Beispiel deutsche Musik nur ein Deutscher spielen oder verstehen kann. Das hat in der Konsequenz zum Faschismus geführt. Wenn ich eine Bruckner-Sinfonie dirigiere, werde ich bewusst oder unbewusst zum Mitteleuropäer. Und wenn ich Tango am Klavier spiele, bin ich Argentinier. Ich kann weder Schönberg als Tango-Musiker dirigieren, noch Tango als Schönberg-Dirigent spielen."

Hat es denn einen Sinn, nach "dem Deutschen in der Musik" zu suchen wie jüngst in Berlin mit einem Werk des NS-Anhängers Hans Pfitzner?

"Die ganze Diskussion habe ich nicht verstanden. Man kann zu Pfitzners Musik stehen, wie man will. Doch daraus einen politischen Schluss zu ziehen, finde ich unnötig. Bei Richard Wagner liegt die Sache anders. Wagners Antisemitismus ist schon seit Jahrzehnten bekannt. Seine Musik wurde von den Nationalsozialisten als Symbol ihrer Anschauung übernommen. Deswegen erweckt Wagners Musik bei den NS-Verfolgten schreckliche Assoziationen. Das muss man respektieren. Bei Pfitzner gibt es diese Assoziationen nicht."

Wie blicken Sie aus der Entfernung auf die deutsche Kulturpolitik und die Diskussionen um eine Übernahme der Staatsoper durch den Bund?

"Ich nehme das nicht persönlich, doch die ganze Debatte über die Rolle von Kulturinstitutionen in Deutschland finde ich leider sehr primitiv und - ehrlich gesagt- völlig unverständlich. Letzten Endes ist der größte Beitrag, den Deutschland für die Welt leistet, die Unterstützung von Bildung und Kultur."

Interview: Esteban Engel, dpa

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