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Stewart

© Katja Ruge

Pop: Der Mann mit dem Koffer

Eine Legende kehrt zurück: der Sampler, Musiknomade und Krachmacher Mark Stewart und sein Album „Edit“

Er ist ein polternder, grobkörniger Kerl mit dröhnender Stimme und einem englischen Humor, so zuvorkommend wie eine Ladung Schrot: Mark Stewart. Bei seiner Konstitution könnte er auch mit dem Presslufthammer Asphalt aufreißen, mit der Kettensäge Bäume umlegen oder schwere Metallplatten verschweißen. Eigentlich ist es genau das, was er als Musiker macht. Er sammelt Grooves aus aller Welt, verzerrt sie zur Unkenntlichkeit eines Bleep, verlangsamt oder überlagert sie mit völlig unpassenden Sounds, die er passend macht: „Vom Dub habe ich gelernt“, sagt er, „man braucht einen stabilen Backingtrack-Rhythmus als Skelett, dann kann man ausflippen, Sachen verdrehen, dekonstruieren.“ Auch sein neues Album „Edit“ ist auf Krawall gebürstet.

Sein erstes Album hatte der Musiker aus Bristol mit 17 veröffentlicht – und gleich einen Klassiker produziert. Mit ein paar Kumpels hatte er vom Punk die Frechheit übernommen, einfach auf der Bühne loszukrakeelen und auf widerspenstigen Instrumenten herumzudreschen. Nichts Ungewöhnliches, so was passierte nach 1977 tausendfach. Ungewöhnlich allerdings war der Name, den sich die Band gab: The Pop Group. Hinzu kam ihre Liebe zum schwarzen Funk. Sie fühlten sich wie Bootsy Collins’ Band, nur merkte das niemand. Als 1979 das Debüt „Y“ erschien, waren die Kritiker begeistert von den genialen Dilettanten, die sie für innovative Avantgardekünstler hielten. In der Pophistorie gilt das Album als Beginn der Verknüpfung von Punk mit Funk, Disco und Hip-Hop, was bald auf beiden Seiten des Atlantiks – zumeist tanzbar – praktiziert wurde. Heute berufen sich junge Indie-Bands wieder auf den kakophonischen Amalgamismus der Pop Group.

Stewart war einer der ersten Musiker, denen es nicht um eigene instrumentale Virtuosität ging, sondern um Sounds und das Wissen um die richtigen Platten für Samples. Das hatte er sich in erster Linie von den afrokaribischen Soundsystems abgeschaut. „Crate Digging“, Plattenkisten nach Schätzen durchwühlen wie die DJs, das hat er bereits als 12-Jähriger betrieben. In Zeiten fast absoluter Verfügbarkeit jedes Musikstücks im Internet muss das für die Vertreter der iPod-Generation klingen wie eine Episode aus Oliver Twist. Ein Anachronismus ist auch, dass sich der Riese am Computer anstellt wie ein altes Mütterchen. Mit großen Sorgenfalten auf der Stirn bedient er sein E-MailProgramm, während der Laptop für die meisten Kollegen ein vertrautes Instrument und Studio ist.

„Wenn ich was Interessantes höre, rufe ich da einfach an“, sagt Stewart. Für das neue Album ließ er sich Dancehall-, Grime- und Dubstep-Beats zuschicken, ebenso anglo-indische Sounds. Das ist das Rohmaterial, mit dem Stewart seine Songs unterfüttert. Daneben gibt es eine Coverversion des textlich ungewöhnlich zeitgemäßen Yardbirds-Klassikers „Mr. You’re a Better Man Than I“. Wie nicht anders zu erwarten, wird dem Song der Blues ausgetrieben, Stewart zerrupft ihn freudvoll im Duett mit einer Freundin aus alten New-Wave-Tagen: Ari Up von den inzwischen wiederbelebten Slits.

Auf seinem letzten Solo-Album „Control Data“ von 1996 hatte Stewart versucht, sich gefällig zu geben. Das ging schief. Deshalb setzt das aktuelle Album komplett auf Brachialsound. Jede Lücke, in der sich Heimeligkeit oder auch nur ein tanzbarer Rhythmus einnisten könnte, wird sofort wieder ausgemerzt. Stewart allerdings empfindet seine Musik selbst so positiv wie ein Fakir, der meint, sein Nagelbett sei kuschelig: „Das ist eine Feier der verschiedenen Stile als Gegensatz zu den Texten, in denen oft harte Dinge angesprochen werden.“

Schon die Pop Group war berüchtigt für ihre linksradikalen Slogans, die nicht immer klug, aber eindrucksvoll klangen. Eine Mischung aus Anti-Thatcher-Rhetorik, anarchistischen Ideen der französischen Situationisten und politischen Verschwörungstheorien schwirrt noch immer durch seinen Kopf. So singt er im Song „Puppetmasters“ von den Leute hinter den Kulissen, „Börsenhaien, Industriellen und Konzernen“, die die Welt lenkten, ohne dass es die Öffentlichkeit bemerke. „Das ist für mich die wahre Politik. Ich finde es wichtig, dass jemand solche Gedanken ausspricht als Gegenmittel zu diesen gehirngewaschenen Sachen, die man sonst erzählt bekommt.“

Stewart lebt heute als Musiknomade abwechselnd in Wien, Berlin, Spanien oder Bristol. Meist hat er nicht mehr als einen Koffer dabei. Im Moment arbeitet der Pate des sogenannten Bristol Sound, der in den neunziger Jahren unter dem ungeliebten Namen Trip-Hop um die Welt ging, mit den alten Freunden von Massive Attack. Die basteln eifrig an ihrem Comeback-Album.

Auch Tricky half er bei dessen Debüt 1995 auf die Sprünge. Stewart ist ein Unikum. Extrem rührig, kontaktfreudig und immer an Neuem interessiert. Er schwärmt von Baile Funk, Reggaeton, dem französischen Electro-Label Ed Banger. Dass sein alter Pop-Group-Song „We Are All Prostitutes“ im letzten Jahr in einer Neubearbeitung zum Clubhit avancierte, macht ihn stolz: „Da entdeckt eine neue Generation meine Arbeit!“ Dann wieder kreist er in seinem eigenen Universum, das er sich in seinen Teenagerjahren in Bristol zusammengebastelt hat. Freimütig gibt er zu: „Meine Vorstellungen und Interessen haben sich nicht groß verändert, seit ich 13 oder 14 bin.“

Stewarts Album „Edit“ ist bei Crippled Dick Hot Wax erschienen.

Barbara Mürdter

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