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Deutsche Oper: Ägypten in Feinripp

Die Aktualisierung von Verdis "Aida" an der Deutschen Oper Berlin macht einen missglückten Eindruck. Wir alten Europäer waren schon weiter.

Es dauert eine Weile, bis einen dieses amerikanische Gefühl beschleicht. Jenes Gefühl von Amokläufern, stickiger Geistlosigkeit und kollektivem Übergewicht. Kaum hat Intendantin Kirsten Harms mit frisch onduliertem Nancy-Reagan-Scheitel dem Publikum ihre leitende Hut- und Putzmacherin vorgestellt, auf dass diese Herrn Wowereit vor dem Vorhang und namens der Gewerkschaft Verdi auffordert, sein Versprechen eines Haustarifvertrages für das nichtkünstlerische Personal der Stiftung Oper in Berlin endlich einzulösen – da surft man auch schon durch die amerikanische Seele.

„Aida“: ein Spiel unter Gotteskriegern. Was dem alten Verdi und seinen Librettisten 1871 zur Eröffnung des Suezkanals das alte Ägypten ist, das übersetzt Regisseur Christopher Alden nun, kaum weniger platt, ins Sektenwesen der Neuen Welt. Der Andachtsraum, die „Kirche“ einer solchen Glaubenskongregation: Holzgetäfelte Wände, in der Mitte ein Taufbecken samt Marmorsäule, aus der Priester Ramphis orakelt (Raymond Aceto), dazu jede Menge Plastikstühlchen zum Auf- und Zuklappen sowie Bibeln zum Vorsichhertragen und Beschwören (Bühne: Andrew Lieberman). Die Brüder und Schwestern: im Wir- sind-die-Spießer-von-nebenan-Einheitslook, weißes Oberhemd und Schnürsenkelschlipse für die Herren, Rock, Bluse und Highschool-Frisur für die Damen (Kostüme: Doey Luethi).

Nicht nur, dass es denkbar mühsam ist, im Angesicht eines derart trüben Ambientes seine Augen drei Stunden lang getreulich offen zu halten; auch die rituellen Verrichtungen jener geschlossenen Gesellschaft sind so vorhersehbar rituell und banal, dass Aldens Repertoire sich rasch erschöpft. Da hat sich ein Regieteam wie in der guten alten Zeit hanebüchner Aktualisierungen ganz offensichtlich mit dem Rechenschieber an die Partitur gesetzt, um durchzudeklinieren, welche Szene der einmal gefassten Idee am besten wie zu unterjochen wäre.

Entsprechend ist Aida keine exotische Sklavin, sondern die amtierende Putzfrau (Hans Neuenfels’ Frankfurter „Aida“ anno 1981 lässt grüßen!), die Priesterin (Andion Fernandez) gebiert unter mächtigen Zuckungen einen Revolver, das Ballett im Rahmen des Triumphmarsches wird von einer zugegebenermaßen entzückenden Cheerleader-Group übernommen, statt zur üblichen Kriegsbeuteschau blasen die „Aida“-Trompeten hier zum Apple-Pie-Wettessen – und alles Feindliche und mutmaßlich „Äthiopische“ west natürlich längst in respektive unter den Gleichgeschalteten. Zum Erbarmen, in der Tat, wie die derart „Gefangenen“ alias Abtrünnigen zitternd und zagend aus ihren Uniformen steigen, um sich in wenig vorteilhafter Feinrippunterwäsche einer neuerlichen Ganzkörpertaufe zu unterziehen.

Wäre jener Vorgang nicht so unerhört albern, hätte dies der Moment sein können, in dem die Szene etwas von der Schizophrenie, der Hybris der Musik enthüllt: Was will uns der rasante Wechsel des Intimsten mit dem Pompösesten in dieser Partitur? Ist alles tösende Kolorit und pseudopatriotische Gekreische nur Staffage für eine erst in ihren psychologischen Verästelungen radikale Operndreiecksgeschichte? Christopher Alden, der US-Amerikaner, der bislang hauptsächlich in Amerika tätig war, scheint hier eher mit Zeffirelli-Elefanten im Kopf ans Werk gegangen zu sein, weniger mit dem, was etwa ein Peter Konwitschny einst als kammerspielartiges Destillat aus dem Stück zog: „Aida“, so sagt seine Grazer Inszenierung von 1994, dokumentiert unseren jahrtausendealten Fremden- und Frauenhass. Was bis heute ganze Erdteile gegeneinander aufbringt, gerinnt hier in ein musikdramatisches Du, erhält ein zwingendes menschliches Antlitz.

Dass der mäßig befehdeten „Aida“-Premiere an der Bismarckstraße („Frau Harms, wie heißt dieses Stück?“) ein solches Reflexionsniveau fast vollständig fehlt, ist allerdings auch der musikalischen Ausführung zu verdanken. Renato Palumbo, der scheidende Generalmusikdirektor, gestaltet seinen Abschied zwar ordentlich, lässt jenseits einer gewissen musikantischen Fleischeslust jedoch keinen weiteren Differenzierungswillen aufkommen. Rhythmisch wirkt das Orchester der Deutschen Oper oft verunsichert, kaum eine Phrase dirigiert Palumbo wirklich zu Ende, und wenn gar nichts hilft, dann helfen veritable Fortissimi.

Im äußerst stabilen Sängerensemble sind keine größeren Ausreißer zu verzeichnen. Carlo Ventre ist ein in der Mittellage zwar leicht heiserer, in der Höhe aber strahlend stabiler Radamès, Irina Mishura eine lebenskräftige Amneris, Zeljko Lucic ein Baum von einem Amonasro, Ante Jerkunica ein verlässlicher König, Joel Prieto ein netter Bote. Und auch Annalisa Raspagliosi in der Titelpartie macht ihre Sache gut, ein paar wackelige Spitzentöne hin oder her. Die musikalische Krone des Abends indes trägt der Chor in der Einstudierung von William Spaulding davon: Solche seidenweichen Piani, solch saubere Artikulation hat man hier lange nicht mehr vernommen.

Zum Schluss wird Aida von Radames, dem neuen König, gegen das Libretto und die Musik eigenhändig geopfert und ersäuft. Der Liebestod im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Da schlägt man ganze Opern über einen Leisten, und diese hauen nicht einmal zurück. Wir alten Europäer waren schon weiter.

Wieder am 6., 16., 20., 24., 28. März.

Christine Lemke-Matwey

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