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Pop: Die Stimme eines Herrn

Addio, Palumbo: Donald Runnicles wird neuer Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin

„Mach keine Türen auf in diesem Haus! Gepresster Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten, nichts andres gibt’s in diesen Mauern!“, ruft in Richard Strauss’ „Elektra“ die Titelheldin ihrer Schwester Chrysothemis zu. Am Samstag hat eine Neuinszenierung des Musikdramas an der Deutschen Oper Premiere, die Regie führende Intendantin Kirsten Harms steckt mitten in den Endproben – da verkündet Berlins Regierender Kultursenator Klaus Wowereit am späten Mittwochnachmittag überraschend, dass Renato Palumbo mit sofortiger Wirkung sein Amt als Generalmusikdirektor des Charlottenburger Musiktheaters niederlegen wird. Sein Nachfolger ab Herbst 2009 heißt Donald Runnicles.

Der schottische Dirigent ist in Berlin kein Unbekannter: 2003 und 2006 hat er die Berliner Philharmoniker dirigiert, für Mitte Mai 2008 ist er erneut bei dem Spitzenorchester eingeladen. Und als er im Februar dieses Jahres an der Deutschen Oper – als Einspringer für den vorgesehenen Mikko Franck – den „Ring des Nibelungen“ dirigierte, flogen ihm nicht nur die Herzen der hauptstädtischen Wagnerianer zu, sondern auch die des Bismarckstraßen-Orchesters. Vor allem die jüngeren Musiker schätzen den souveränen, ergebnisorientierten Stil des Maestro.

Den am 16. November 1954 in Edinburgh geborenen Runnicles zog es nach dem Studium in seiner Heimatstadt und in Cambridge 1980 auf den Kontinent, nach Deutschland, wo er sich schnell einen Namen machte und 1989 Musikchef des Freiburger Theaters wurde. Hier lernte Runnicles auch seine Frau kennen. Seine erste Tochter wurde geboren, als er gerade „Tristan“ in Köln dirigierte: Sie heißt Ashley Isolde. Seine zweite kam 1994 zur Welt, während einer Serie von „Rosenkavalier“-Aufführungen in Berlin, und hört auf den Namen Tamara Sophie.

1988 landete Runnicles einen KarriereCoup in den USA, als er kurzfristig bei einer „Lulu“-Produktion an der New Yorker Met einsprang. Seine Interpretation von Wagners „Ring“ in San Francisco brachte ihm 1992 die Berufung zum Music Director an der Westküste ein. Hier war Pamela Rosenberg von 2001 bis 2006 seine Chefin. Die heutige Intendantin der Berliner Philharmoniker lobt im Gespräch mit dem Tagesspiegel den Dirigenten: „Berlin hätte keine bessere Wahl treffen können. Für mich ist er einer der besten Wagner-Dirigenten weltweit, aber sein Repertoire ist auch sonst extrem vielfältig. San Francisco hat sich unter seiner Leitung zu einem der Top-Opernorchester entwickelt. Für mich als Intendantin war er immer ein höchst anregender Partner – denn er schenkt der Szene genauso viel Beachtung wie der musikalischen Seite. Hinzu kommt seine positive Ausstrahlung: Er schafft es, dass Sänger über sich hinauswachsen.“ Auf die Frage, ob Runnicles, der zeitgleich mit seinem Berliner Engagement 2009 auch die Chefdirigentenposition beim BBS Scottish Symphony Orchestra übernimmt, genug Power für zwei Jobs hat, zögert Pamela Rosenberg keine Sekunde: „Na klar – er hat genauso viel Energie wie Staatsopern-Chef Daniel Barenboim!“

Die Zeit von Renato Palumbo an der Deutschen Oper geht damit nun sang- und klanglos zu Ende. Die Sympathie, die dem Italiener zunächst entgegengeschlug, ist vollends verbraucht, nicht nur beim Orchester ist er mittlerweile nicht mehr gut gelitten. Aus Musikerkreisen ist zu hören, dass er die Premiere des „Fliegenden Holländers“ zurückgegeben hat, seine „Aida“-Neuproduktion aber dirigieren wird. Drei ausverkaufte „Traviatas“ mit Anna Netrebko im November werden seine letzten Amtshandlungen an der Bismarckstraße sein.

Dieser künstlerische Totalausfall geht auf das Konto von Kirsten Harms, die bis zuletzt ihre Loyalität zu Palumbo betonte. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Intendantin den blutjungen Letten Andris Nelsons als Palumbo-Ersatz favorisierte – verhandeln durfte sie mit dem Shootingstar allerdings offenbar nicht. Kulturstaatssekretär André Schmitz hatte das Nachfolgeverfahren sicherheitshalber an sich gezogen. Schmitz, der lange als Geschäftsführender Direktor der Deutschen Oper gearbeitet und nach dem Tod von Götz Friedrich das Haus interimistisch geleitet hatte, weiß nur zu gut um die Stärken und Schwächen der Deutschen Oper.

Vierzig Vorstellungen pro Spielzeit soll Donald Runnicles dirigieren. Er will aber auch hinter den Kulissen präsent sein: In den Vertragsverhandlungen hat er deutlich gemacht, dass er stilprägend für das von Krisen gebeutelte Haus wirken will. Deshalb bekommt er ein klar definiertes Mitspracherecht in allen künstlerischen Fragen. Dass er im Gegensatz zu Palumbo, der bis zuletzt auf eine Dolmetscherin angewiesen war, fließend Deutsch spricht, dürfte ihm dabei zugutekommen. Und weil er ungern viel herumreist, hat Runnicles sogar angekündigt, er werde sein geliebtes San Francisco verlassen, um nach Berlin zu ziehen.

Dass Klaus Wowereit am Mittwoch mit dem Neuen vor die Presse trat, hat eine doppelte Symbolkraft. Zum einen unterstreicht der Regierende damit ganz deutlich, dass er weiterhin zur Deutschen Oper steht, dass er die Institution aus dem ewigen Streufeuer der Kritik nehmen will. Zum anderen entmachtet er damit Kirsten Harms zumindest teilweise. Die Zukunftsmusik für die Bismarckstraße, das macht Runnicles’ Vertragsunterzeichnung deutlich, wird im Roten Rathaus komponiert.

Die Mitarbeiter der einst so ruhmreichen Musiktheaterbühne dürfen nun darauf hoffen, dass künftig wieder mehr über die Kunst gesprochen wird, die hier stattfindet. Zum Beispiel über die neue „Elektra“. Samstagnacht wird es in Hugo von Hofmannsthals Worten über die Bühne der Deutschen Oper schallen: „Überall in allen Höfen liegen Tote, alle, die leben, sind mit Blut bespritzt und haben selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle umarmen sich ...“

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