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H.P. Daniels: Johnny Dowd im King Kong Club

Die Songs vom hervorragenden neuen Album "Wake Up The Snakes" klingen im Konzert mit erweiterter Besetzung schon wieder ganz anders, doch nicht minder interessant als auf Platte.

Eben noch standen sie an der Bar vom kleinen King Kong Club in Berlin-Mitte, haben geredet, getrunken, beiläufig beobachtet, wer so reinkommt und wer da so rumsitzt in den tiefen Ledersofas und durchgesessenen Fauteuils. Plötzlich waren sie weg, und jetzt kommen sie auf die Bühne – nein, da haben gar nicht alle sieben Musiker Platz. Drei stehen oben, drei unten, im Halbkreis Johnny Dowd zugewandt, der mit weißen, zurückgekämmten Haaren im knitterigen schwarzen Anzug, in Turnschuhen und mit schwarzer E-Gitarre im Mittelpunkt steht: ein cooler Rock 'n' Roller mit 62. 

Seit Jahren betreibt er in Ithaca, New York, ein kleines Umzugsunternehmen. Da hat er gelernt, wie die Dinge anzupacken sind, um schwere Sachen von der Stelle zu bewegen, Sperriges leicht zu machen. So macht er es auch mit seinen Songs, bringt düstere schwere Klänge zum Schweben und einen Pulk junger Frauen vor der Bühne zum Tanzen. Unterstützt von einer fabelhaften Band. 

Dunkles Schwirren über einem vibrierenden Moll-Akkord des Organisten Michael Stark. Dazu Johnny Dowds leicht zittrig näselnde Stimme: "I hear voices in my head". Tiefer Sprechgesang zwischen dräuendem Irrsinn, schwarzem Humor und ironischem Augenzwinkern. Er blättert um im großen Buch auf dem Notenpult: der nächste Song sei eine Geschichte über Religion, Damenunterwäsche und Lebensmittel. Immer geht es ums Leben in dieser dunklen Beat-Prose, ums Ganze: Glaube, Liebe, Hoffnung. Mord und Totschlag. Genuss und Glück. Und was man nicht alles tun würde für einen guten Drink. 

Die blonde Kim Sherwood-Caso wechselt Gesangsstrophen mit Dowd und spielt eine zum Akkord gestimmte Danelectro-Gitarre mit einfachem Einfinger-Barré. Dowd wiederum tauscht grobe Gitarren-Soli mit einem Gast-Gitarristen, während Willy B., sein früherer Drummer, einen trockenen Motown-Bass übers Griffbrett einer Bariton-Gitarre wandern lässt. Am Schlagzeug sitzt jetzt Matt Saccuccimorano, trommelt wirbelig, federnd jazzig. Immer wieder teilt Dowd den Mitstreitern einzelne Soli zu, ausgedehnte dunkelblaue Jazzimprovisationen, dreht sich Zigaretten zwischendrin, das Tabakpäckchen zwischen den Zähnen. Ein weiterer Gastmusiker rotzt schöne rostige Riffs aus einem Altsaxophon. 

Die Songs vom hervorragenden neuen Album "Wake Up The Snakes" klingen im Konzert mit dieser erweiterten Besetzung schon wieder ganz anders, doch nicht minder interessant als auf Platte. Das ist grober Rhythm And Blues alter Schule zeitgemäß interpretiert. Dazwischen eine rasante Version des Stückes, das Dowd, ginge es nach ihm, zur amerikanischen Hymne machen würde: "Green Onions" von Booker T. And The MGs. Vor Jahrzehnten habe ihm ein Freund die 45er-Single geschenkt. 

Zwischendrin liest Dowd ein paar seiner dunklen Gedichte, eingebettet in flirrend improvisierte Klänge der Band, wobei seine tiefe, vibrierende Stimme ein wenig an die des Beat-Poeten William S. Burroughs erinnert. 

Nach einer bewegenden sprechgesungenen Version von Etta James' Soul-Klassiker I'd Rather Go Blind und nachdem er sich von fast allen Konzertbesuchern per Handschlag verabschiedet hat, singt er nach anderthalb Stunden noch a cappella in seiner stimmlos knarzigen Art den alten Shirelles-Hit "Soldier Boy" von 1962. "Kennt noch jemand die Shirelles?" Keine Antwort, Ratlosigkeit, Schulterzucken. "Ach, was kennt ihr jungen Leute schon?" 

Johnny Dowd weiß, wie man etwas bewegt und Sperriges leicht macht. Er ist rauh, echt, ehrlich und witzig.

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