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Rebel_Diaz

© David Heerde

Hip-Hop: Gegenwind für Gangsterrapper

Aus der Bronx nach Berlin: Das New Yorker Hip-Hop-Trio Rebel Diaz rappt mit Weddinger Jugendlichen.

Gangs. Girls. Drogen. Kampf. Macht. Ein Dutzend Jungs mit weiten Hosen und Panzerketten hat sich in einem Berliner Industriegebäude versammelt. Ohne langes Nachdenken soll jeder sagen, was ihm zum Thema Hip-Hop als Erstes einfällt. Ein junger Mann mit langen Zöpfen und kurzer Tarnhose schreibt die Begriffe auf eine Tafel. Mit seiner übergroßen Baseballmütze sieht er nicht gerade aus wie ein Seminarleiter und die Jugendlichen auf den Stühlen wirken auch nicht, als würden sie gerne Nachhilfestunden nehmen. Aber dies hier ist kein gewöhnlicher Lehrer. Schon sein Heimatort ist Anlass für Respekt. Gonzalo Venegas, Straßenname AK1, ist Musiker im HipHop-Trio Rebel Diaz. Er kommt aus der Bronx.

Der Workshop im HipHop-Stützpunkt Prenzlauer Berg ist Teil einer ungewöhnlichen Konferenz, die eine Linie von Berlin zum nördlichsten New Yorker Bezirk schlägt. „PROPZ – People respect other People seriously“ – unter diesem klangvollen Motto versammelt Literaturwissenschaftlerin Susanne Stemmler vom Berliner Haus der Kulturen der Welt ganz unterschiedliche Gruppen unter einem Motto: Wissenschaftler, Aktivisten aus der Bronx und Jugendliche aus dem Wedding. Ein ehrgeiziges Vorhaben, schon die Sprachbarriere macht die Sache mühsam. Doch als Gonzalo erzählt, wie der Breakdance aus afrikanischem Tanz, Kung-Fu und brasilianischem Capoeira entstand, hat er die Zuhörer schlagartig auf seiner Seite. Und der HipHop stammt aus der Bronx. Über kaum einen großstädtischen Bezirk sind so viele Mythen im Umlauf. Noch immer zementieren Filme und Rap-Songs das Image eines Ghettos, das von Schießereien und Drogenhandel beherrscht wird. Mit diesem Klischee will Gonzalo aufräumen. „Da, wo ich lebe, sind die Menschen arm, aber keine Gangster. Sie halten zusammen, um gemeinsam ihre Lebensbedingungen zu verbessern, aber nicht als Banden.“ Hip-Hop sei die Sprache der Immigranten. Die Jungs mit den Panzerketten horchen auf. Sie kommen aus dem Libanon, der Türkei, Pakistan und Syrien. Viele von ihnen machen selbst Musik.

Am nächsten Tag kommt Mark Naison aus New York zur Konferenz. Er unterrichtet African-American Studies an der Fordham Universität. Sein Büro liegt auf einem idyllischen Campus inmitten der Bronx, unweit von Crotona Park, dem Ort legendärer Hip-Hop-Partys. Damals baute man einfach ein Soundsystem auf und zapfte den Strom von der nächstgelegenen Straßenlaterne ab.

Im Telefunkenhaus stöpselt der 62-Jährige, den manche „Hip-Hop-Professor“ nennen, seinen Computer in eine Musikanlage. Aus den Boxen scheppert das Stück „The Message“ von Grandmaster Flash, ein Klassiker der Sozialkritik. In seinem Vortrag führt Naison die Wurzeln der oft vulgären Hip-Hop-Sprache auf alte Erzähltraditionen zurück. Gangster-Geschichten wie die Sage von Stagger Lee, dem Bösewicht schlechthin, ziehen sich durch die schwarze Musik seit den Tagen des Rythm & Blues.

„Ich war nicht die Einzige, die ihren ersten guten Jazz in einem Bordell hörte“, schrieb etwa die Sängerin Billie Holliday 1956 in ihrer Autobiografie. Ihr Buch steht in einer Reihe mit populären Schriften, die das Schweigetabu über die Lebensbedingungen schwarzer Frauen unter der Apartheid brachen, die in den USA bis weit in die sechziger Jahre dauerte.

In einer Welt, die Menschen noch immer aufgrund ihrer Hautfarbe oder sozialen Herkunft benachteilige, sei das Brechen sprachlicher Tabus ein Akt des Protestes, sagt Mark Naison. Das teils vulgäre Gebaren des Hip-Hop sieht er in einer langen Tradition expliziter Sprache, die bewusst gegen die herrschende Moral verstößt, weil das herrschende System selbst unmoralisch sei. Die Grenze ist jedoch schmal. Der gewaltverherrlichende Gangsterrap wird längst auch von Nachbarschaftsorganisationen in den Problemvierteln von Los Angeles oder New York kritisch gesehen.

„Conscious Hip-Hop“ nennt sich die Gegenbewegung. Mit durchdachten Texten sollen frauen- und schwulenfeindliche Stereotypen abgebaut werden. Wie sie die Darstellung von Frauen in HipHop-Videos fänden, fragt Gonzalo Venegas die Weddinger Jugendlichen im Workshop. „Positiv“, schallt es ihm einhellig entgegen. „Würdet ihr es ‚positiv' finden, wenn sich eure Schwestern oder Mütter in String-Tangas auf einer Motorhaube räkeln müssten?“ Die Jungs wehren entsetzt ab. „Na, also“, sagt Venegas.

Am Abend steht er mit seinen Mitstreitern Rodrigo und Lah Tere auf der Bühne des Café Zapata. Eine langsame R&B- Nummer unterlegen sie mit spanisch-englischen Texten, die zum Kampf gegen Armut aufrufen. Die jungen Hip-Hopper aus dem Wedding sind auch da und begrüßen die Musiker aus der Bronx mit Handschlag. Sie haben gelernt, dass „Hello Motherfucker“ keine adäquate Begrüßung ist, nicht mal in der Bronx. Dann drehen sie den Spieß um: Ein DJ mischt traditionelle türkische Musik mit Hip-Hop, dazu rappt ein MC deutsche Texte. Jetzt lernt die Delegation aus der Bronx ihre Lektion in multikultureller Musik aus Berlin. Die letzten Beats gehen im Johlen auf der Tanzfläche unter. Irgendwo zwischen hundert hochgerissenen Armen tanzt auch Mark Naison, der New Yorker Professor. Am Ende seiner Hip-Hop-Geschichtsstunde hatte Gonzalo die Jugendlichen ein zweites Mal nach Wörtern gefragt, die für Hip-Hop stehen könnten. Diesmal fielen andere Begriffe. Ganz oben stand das Wort Community.

Rebel Diaz treten am heutigen Freitag ab 14 Uhr beim Festival für junge Politik Berlin 08 im FEZ Wuhlheide auf.

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