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HIT Parade: "Beruhigend und kraftspendend"

Die Zisterziensischen Mönche von Stift Heiligenkreuz sind nach Falco und DJ Ötzi der dritte Act aus Österreich, der es in die britischen Top Ten geschafft hat. Diese Woche sind sie in Deutschland auf Platz acht mit "Chant – Music For Paradise".

Niemals seit Erfindung der Popkultur schien der Untergang des Abendlandes weiter entfernt als in diesen Wochen. Wohin man blickt: solide konservative Werte. Auf Platz eins der Album-Charts und Platz drei der Single-Charts steht der britische Casting-Show-Gewinner Paul Potts mit seinem bunten Strauß an Opernarien, ebenfalls in Album- und Single- Charts: der eilig nachgeschobene Pavarotti. Und endlich sind die sonst als Hort schnöder Oberflächlichkeit dienenden Verkaufslisten auch wieder eine Heimstatt für das Wort des Herrn, übermittelt durch die Mönche des Stifts Heiligenkreuz bei Wien.

Die Pophistorie ist nicht arm an Versuchen, gregorianische Choräle in weltlichen Zusammenhängen zu verwenden. Abschreckende Beispiele sind überliefert von Enigma. Oder von der in Kutten verkleideten Bruderschaft „Gregorian“, die Popsongs in psalmodierendem Duktus nachspielt, darunter sogar „Losing My Religion“ von R.E.M. Es war also hohe Zeit, diesem blasphemischen Treiben endlich the real thing entgegenzusetzen. Es begab sich aber, dass erst ein Plattenfirmengewaltiger in London auf die Idee kommen musste, mal wieder ein Gregorianik-Revival einzuläuten. Er inserierte in verschiedenen kirchlichen Blättern und rief ein Casting aus. Bruder Karl, in Heiligenkreuz zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit, mailte einfach mal einen Link zu einem Video, dass er bereits ins Internet gestellt hatte. Und, Hosianna!, er wurde erhört. Die Brüder bekamen den Deal.

„Ein Album, das gleichzeitig beruhigend und kraftspendend ist“, frohlockt die Plattenfirma. Da Lateinkenntnisse in den letzten Jahrhunderten stark zurückgegangen sind, kann man vermuten, dass viele Hörer die Mönche eher als exotische Klangtapete wahrnehmen, so wie früher mal die Gesänge der Buckelwale. Die Zisterzienser wurden nach Falco und DJ Ötzi, der dritte Act aus Österreich, der es in die britischen Top Ten schaffte. Inzwischen sei der „Hype größer als beim Papstbesuch“, sagt Bruder Karl. Noch zuckt er beim Vergleich mit weltlichen Boygroups zusammen. Doch er wird sich vielleicht daran gewöhnen. Das 875 Jahre alte Stift hat schon die Türken und die Nazis überlebt. Benediktiner und die von ihnen abgespaltenen Zisterzienser sind eben keine Bettelorden. Jetzt lassen sie einfach mal den Klingeltonbeutel rumgehen. Ralph Geisenhanslüke

Ralph Geisenhanslüke

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