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Polarkreis

© Universal

HIT Parade: Die Kälte in uns allen

Die Dresdner Mittzwanziger scheinen den Nerv einer Generation getroffen zu haben. Polarkreis 18 sind diese Woche auf Platz 2 mit: "Allein Allein".

Wer schon bei Frostwerten von minus 15 oder 20 Grad bibbert, dem müsste eigentlich ein Blick in den hohen Norden genügen, damit ihm wieder warm ums Herz wird. Dort, wo im Winter die Sonne nicht mehr aufgeht, in den spärlich besiedelten Regionen Grönlands, Sibiriens und Nordnorwegens um den Polarkreis herum, werden schon mal Rekordtemperaturen von minus 50 oder 70 Grad gemessen. Ein DDR-Forscher, diese Anekdote erzählt der Sänger Felix Räuber gern, war einst mit unzureichender Ausrüstung zum Polarkreis aufgebrochen. Als er zurückkehrte, waren ihm zwei Zehen erfroren, ihm blieben also nur noch acht Zehnen. Aus der Verballhornung dieses Vorgangs entstand der Name von Räubers Band: Polarkreis 18. Ob es sich bei dem bemitleidenswertenden Reisenden um einen Bekannten der Gruppe oder gar um Räubers Vater handelte, ist unklar. Der Bandname funktioniert aber auch als Metapher: für einen inneren Zustand.

Die Musik von Polarkreis 18 handelt, pathetisch gesprochen, von der Kälte in uns allen. „Emo-Rock“ wird diese Spielart des Indie-Pop genannt, die Trauer und Verzweiflung feiert und dabei vor keinem Bombast zurückschreckt. Das Sextett aus Dresden, das bereits seit Oberschultagen gemeinsam musiziert, hat damit die deutsche Pop-Erfolgsgeschichte des Jahres 2008 geschrieben. Die Produktion ihres zweiten Albums „The Colour of Snow“ musste die Band teilweise aus eigener Tasche bezahlen, weil die Aufnahmen mit dem 70-köpfigen Filmorchester Babelsberg das Budget sprengten. Aber die Single-Auskopplung „Allein Allein“ eroberte bald nach der Veröffentlichung im Oktober Platz 1 der deutschen Charts.

Mit fistelnder Falsettstimme beschwört Räuber da zu schwellenden Streichern und tackernden Neo-Eighties-Beats das Gefühl des Eingesperrtseins im eigenen Ich, und ein Chor aus 1500 Stimmen, mitgeschnitten bei einem Konzert, antwortet ihm: „Wir sind allein, allein.“ Zusammen, so lautet die Botschaft, ist die Einsamkeit am schönsten. Ein Paradox, mit dem die Dresdner Mittzwanziger den Nerv einer Generation getroffen zu haben scheinen, die ihr Leben in den isolierten Paralleluniversen des Internet organisiert und dabei doch von der Gemeinschaft träumt. Felix Räuber singt in einem Mischmasch aus Deutsch und Englisch, so wie einst sein Idol Falco. Wie Falco will er nun auch die Welt erobern. In England werden Polarkreis 18, die Kälterocker aus Deutschland, bereits als nächstes heißes Ding gefeiert. 

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