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Hitparade: AC/DC: Der Ernst der Lage

Jede Woche bespricht der Popkritiker Ralph Geisenhanslüke hier ein Album aus den aktuellen Charts. Diesmal auf Platz 1: AC/DC mit „Black Ice“.

In Großbritannien scheint die Stimmung derzeit noch düsterer zu sein als bei uns. Am Montag brachte der „Guardian“ auf der ersten Seite einen Artikel mit der Überschrift: „Die Lage muss ernst sein – AC/DC sind wieder Nummer eins“. Der Text verkündete, dass die australische Band erstmals seit 28 Jahren wieder an der Spitze der Verkaufslisten steht. Seit ihrer Gründung 1973 (während der Ölkrise) hätten Erfolge von AC/DC immer wirtschaftliche Tiefpunkte markiert. 1980 bei „Back In Black“ lag die Inflation bei 20 Prozent, 1990 beim Comeback mit „The Razor’s Edge“ sei Großbritannien in die letzte Rezession gestürzt. Die fünf Millionen Exemplare, die von „Black Ice“ binnen einer Woche weltweit verkauft wurden, seien mithin kein gutes Omen.

Einer beliebten Theorie zufolge beginnen Männer in Wirtschaftskrisen wieder Krawatten zu tragen, um Seriosität zu signalisieren. In unsicheren Zeiten wird das Bedürfnis nach Bewährtem stärker. AC/DC sind so zuverlässig wie Strom aus der Steckdose, und auch unter Krawattenträgern längst Konsens. Seit 35 Jahren verfolgen die Gebrüder Young ihren Kurs einer maximalen musikalischen Ökonomie. Einen AC/DC-Song sollten auch Quizshow-Kandidaten ohne Vorbildung nach vier Takten zuordnen können. Im Grunde gibt es nur eine Handvoll davon, die immer wieder neu paraphrasiert werden. Dennoch wird jedes Album aufgenommen wie eine päpstliche Enzyklika. Die Konzerte im nächsten Frühjahr waren nach 12 Minuten ausverkauft. In den deutschen Charts sind diese Woche noch zwei DVDs und zwei ältere Alben platziert. Das mag daran liegen, dass die Titel von AC/DC nicht online verkauft werden und physische Tonträger in den nach Umsatz gewichteten Charts automatisch höher rangieren. Oder daran, dass die Lage nun auch bei uns wirklich ernst wird.

Fünf Titel zugleich in den Top 100, das gelang bisher nur Elvis Presley. Und das wirkt wie ein Schlag gegen den New-Economy-Digital-Schwurbel, der die ganze Musikbranche in den Abwärtsstrudel gerissen hat. Schon deshalb sind AC/DC auf sympathische Weise altmodisch. Angus Young trug zur Schuluniform ja schon immer Krawatte.

Ralph Geisenhanslüke

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