zum Hauptinhalt
Die österreichische Sängerin Meena.

© Promo

Im Kesselhaus: 1st European Blues Challenge 2011

Immer noch der Blues. Immer wieder. Jetzt im Kesselhaus der Kulturbrauerei, ein europäisches Festival, weißer Blues, blue-eyed-Blues: "1st European Blues Challenge 2011".

Eine Herausforderung? Ein Bluesmusikerwettbewerb über zwei Tage, Endausscheidung unter achtzehn Bands, Duos, Trios und Einzelmusikern, die in ihren Ländern bereits die nationalen Sieger der Vorrunde waren.

Angesichts der vielen silberhaarigen Senioren im Auditorium, die aus den unterschiedlichsten Ecken Deutschlands, Europas und den USA angereist sind, zeigt sich, dass der Blues immer noch international verbindet zu einer großen Gemeinde. Etwas in die Jahre gekommen allerdings, bemüht sie sich nun mit dem Brüsseler Verein "European Blues Union", die guten alten musikalischen Werte zu bewahren. Unter jüngeren Musikfans gelten der Blues, seine Fans, seine Konzerte und Festivals – abgesehen von jungen hippen Blues-Pop-Mainstream-Stars wie Joe Bonamassa - inzwischen überwiegend als konservativ, altbacken und angestaubt.

Das war nicht immer so. Als in den 60ern das "American Folk Blues Festival" jährlich durch Europa reiste, hatten diese Konzerte etwas geradezu Avantgardistisches, Umstürzlerisches und Richtungsweisendes. Das haben damals auch Teenager begierig aufsogen. Die gründeten daraufhin selber Bands, die sie dann Yardbirds, Pretty Things oder Animals nannten.

Der Veranstalter Fritz Rau erzählt in seinem Buch "50 Jahre Backstage" die nette Anekdote über das "American Folk Blues Festival" in England 1962: "Zu dieser Veranstaltung war auch eine Gruppe etwa zwanzigjähriger, komisch und wild aussehender junger Leute aus London angereist. Sie schafften es, bis zu den Künstlergarderoben der Bluesmusiker vorzudringen, und hingen dann backstage bei ihren Idolen herum. Unter diesen ungebetenen Besuchern waren auch Mick Jagger, Keith Richards und Brian Jones, die noch im gleichen Jahr eine Band namens The Rolling Stones gründeten…" Auch der junge Jimmy Page sei bei diesem Konzert in Manchester aufgekreuzt. Er gründete sechs Jahre später Led Zeppelin. Der Rest ist Geschichte.

Die Befürchtung, dass dem Blues und seinem Umfeld inzwischen etwas ungeheuer Biederes anhaftet, scheint sich auch beim 1st Blues Challenge 2011 im Kesselhaus zunächst zu bestätigen: "Hallo Berlin! Wie isses euch? Seid ihr gut drauf?" Und noch einmal: "Seid ihr gut drauf?" und immer wieder die schreckliche Frage: "Seid ihr gut drauf?"

Aber dann nimmt der Abend Fahrt auf und es geht Schlag auf Schlag: "The Suitcase Brothers", zwei Brüder aus Barcelona in weißen Hemden mit Hosenträgern, Panamahut, Akustikgitarre und Mundharmonika picken, heulen und stampfen in den Fußstapfen von Sonny Terry und Brownie McGhee.

"King Mo" aus Holland spielen elektrischen Blues mit stilechter Hammond-B3-Orgel. Zwischen den alten Haudegen ragt ein kleiner gezauster, ledriger Gitarrist hervor, der so gut ist wie seine Grimassen gruselig. Wie einst Jimi Hendrix spielt auch er als Linkshänder eine umgedrehte Rechtshänder-Stratocaster. Mit seinem exquisiten Ton ohne Effektpedale verleiht er dem schmutzigen Rhythm 'n' Blues, der gelegentlich an Dr. Feelgood denken lässt, eine eigene, zeitgemäße Note.

Richie Arndt & The Bluenatics aus Westfalen kommen als klassisches Bluesrock-Trio mit Schlagzeug, Bass und Stratocaster. Mit Bottleneck, Wah-Wah-Pedal und allem Drum und Dran. "I'm Drowning In My Soul" singt der Gitarrist in einem langsamen Blues in Moll, dessen Gitarrenthema starke Erinnerungen weckt an den Song "Still Got The Blues" des kürzlich gestorbenen Iren Gary Moore.

"How was it so far?" fragt der lustige Moderator und kündigt die einzige weibliche Frontfrau des zweitägigen Festivals an. Die Tatsache ihrer Weiblichkeit lässt die österreichische Sängerin Meena dann auch selber ganz offensiv raushängen. Mit umgehängter Akustikgitarre, tiefem Ausschnitt, über die Schulter rutschendem Träger eines kessen Kleidchens und einer fein gesungenen Version von Etta James' Soul-Klassiker "I' Rather Go Blind". Begleitet wird sie von einer knackigen Band, die sich mehr der rockenden Variante des Blues verschrieben hat. Mit einer zierlichen Bassistin, die einen umso kräftigeren Bass spielt, einer dünnen Schlagzeugerin mit fettem Drumsound und einem rasanten Gitarristen.

Gegen den knalligen Klang elektrischer Bands haben einzelne Musiker keine Chance. Denkt man, bevor der Däne Tim Lothar mit Batschkapp, Bart und Akustikgitarre sich setzt und loslegt. Mit brillantem Fingerpicking, rhythmischem Stampfen auf den Gitarrenkoffer, in dem ein Mikrofon liegt. Bumm-Bumm-Bumm-Bumm. John-Lee-Hooker-Riffs. Open Tuning. Ry-Cooder-Melodik. Und eine tolle, natürliche Kratzstimme. Brillant.

"Micke & Lefty feat. Chef" sind ein lustiges akustisches Trio aus Finnland. Wabbelnder Bo-Diddley-Beat zu Resonatorgitarre, kleinem Reiseschlagzeug und akustischer Bassgitarre. Ratternder Rockabilly-Blues. Und jeder von den dreien hat eine tolle Leadstimme oder fügt sich prächtig ein in betörenden dreistimmigen Harmoniegesang mit wunderbaren A-Cappella-Passagen. Großes Vergnügen.

Die "Boogie Boys" sind ein Trio aus Polen und spielen mit zwei E-Pianos und einem Schlagzeug Boogie und Rock 'n' Roll mit Jerry-Lee-Lewis-Touch, Talk-Show-Tauglichkeit und tollen Turnereien.

Kurz vor Mitternacht kommt der Kroate Tomislav Goluban mit Band und lässt noch mal eine Mundharmonika kreischen und heulen, einen Dampfzug rattern und seine Stimme knödeln. Doch nach sieben Bands ist der Zuhörer beim besten Willen nicht mehr aufnahmefähig.

Ein kurzweiliger Abend, an dem der Blues nicht nur aus zwölf Takten und "I woke up this morning…" bestand.

Zur Startseite